Martin Mosebach: „Krass“

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Martin Mosebachs 2021 erschienener neuer Roman „Krass“ ist ein Meisterwerk der Verführung. In geschmeidiger Sprache und mit raffinierter formaler Gestaltung präsentiert er seine Figuren. Alles dreht sich zunächst um die Wirkung des Unternehmers Krass, der sein Vermögen offenbar mit mehr oder weniger illegalen Geschäften im Waffenhandel u.a. mit Ägypten und Russland gemacht hat. Krass ist ein Spielertyp, der das ganz große Risiko nicht scheut, Hochs wie Tiefs gleichermaßen einkalkuliert, dabei Schwäche und Ängstlichkeit verachtet.

Krass umgibt sich mit Menschen, die ihm entweder nützen oder aber mit ihrer Bewunderung seinem Ego dienen. Geld spielt keine Rolle, mit lässig-großmütiger Geste wird es für die ihn begleitende Entourage ausgegeben. Dafür fordert er absolute Unterwerfung unter seinen Willen. Er gibt Anweisungen, Diskussionen sind nicht erwünscht. Sein Motto ist „Ich habe keine Zeit“, was seine eigene Wichtigkeit demonstriert.

In diesem Spiel gibt es Mitspieler, die bis zu einem gewissen Grade mithalten können, aber nie Gewinner sind, allerdings durchaus ihren Nutzen aus der Nähe zum Meister ziehen. Das ist zum einen der undurchsichtige geschäftliche Strippenzieher Levcius. Zum anderen sind es die Frauen, d.h. die Ehefrau und Lidewine, die als attraktive Begleiterin für Krass in Neapel angeheuert wird. Beiden gelingt es, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Zu den Spielverlierern gehört Jüngel, der promovierte Historiker, der sich für ein attraktives Entgelt als Assistent für eine Neapelreise von Krass hat anheuern lassen. Er lässt sich auf das Mitspielen ein, nur um sich jedoch schließlich „außerhalb des Spielbretts“ wiederzufinden, verstoßen vom Großmeister und seiner Verachtung preisgegeben.

Die Namensymbolik ist nicht zu übersehen. Der krasse Lebenskünstler Krass, der vor Männlichkeit und Selbstbewusstsein strotzt, wird das blasse, magere akademische Jüngelchen nie anerkennen.

Jüngel spielt auch in der Gliederung des Romans eine Assistentenrolle, aus der er die Ereignisse analysiert und kommentiert, ohne selbst die Handlung voranzutreiben. Genaue Zeitangaben suggerieren die Authentizität der Erzählung.

Entsprechend sind die drei Teile des Romans um seine Figur herum arrangiert. Der erste Teil mit dem Titel „Allegro Imbarazzante“ umfasst die vier Tage vom 24.11. bis zum 28.11. 1988, die Jüngel als Organisator und Mädchen für alles mit Krass und seiner Entourage in Neapel und auf Capri verbringt. Ein allwissender Erzähler schildert die Figuren und die Situation, Jüngel kommentiert alles in seinen Faxberichten an seine Freundin Hella. Er durchschaut zwar den Herrschaftsanspruch von Krass, ist ihm aber gleichzeitig in Bewunderung als beflissener Erfüllungsgehilfe – vom Erzähler auch als „Faktotum“ bezeichnet – ergeben.

Im zweiten Teil „Andante pensiero“ erleben wir Jüngel ein Jahr später – 27.10. bis 8.12. 1989 – in der Provinz in Westfrankreich allein in einem Ferienhaus von Freunden. In seinem Tagebuch sinnt er über die Ereignisse des vergangenen Jahres und über seine Lebenssituation nach: Von Krass Knall auf Fall entlassen und um das vereinbarte Entgelt geprellt, von seiner Ehefrau Hella betrogen und verstoßen, vom Verlag gekündigt, steht er vor dem Nichts. In zermarternder Selbstreflexion analysiert er sein Versagen in jeder Hinsicht, starke Männlichkeit und Tatkraft gehen ihm ab. Die Begegnung mit dem ebenfalls verlassenen Schuster Desfosses erscheint zunächst tröstlich, endet aber ebenfalls im Desaster. Die ländliche Idylle kann Jüngel nicht retten, Aufbruch ist angesagt.

20 Jahre später, im dritten Teil „Marcia funebre“, treffen wir Jüngel in Kairo wieder. Nun ist es der allwissende Erzähler, der die Situation und die Ereignisse erzählt. Jüngel hat im gutbürgerlichen Leben als Universitätsprofessor Fuß gefasst, ist aber nach zwei weiteren gescheiterten Ehen wieder allein, ob auch frei, bleibt offen. In Kairo soll er an einer Konferenz teilnehmen. Krass hingegen hat sich in seinen Waffen-Deals mit den Ägyptern verzockt und steht von Nun auf Jetzt vor dem Aus. Letzte Versuche, das Spiel zu retten, scheitern, aber heroisch besteht er auch das letzte Kapitel seines Lebens als Gestalter, nicht als Opfer. In dem jungen Ägypter Mohammed, der ihn als Vater „adoptiert“, findet er den Betreuer für seine letzten Stunden. Offenbar kann er auch als heroisch Gescheiterter noch Menschen in seinen Bann ziehen. Jüngel gerät über Lidewine, die sich ebenfalls als inzwischen erfolgreiche Geschäftsfrau in Kairo aufhält, wieder in den Dunstkreis von Krass. Der aber bleibt auch jetzt für ihn ungreifbar, nicht einmal sein Grab ist auffindbar. Ebenso entschwindet Lidewine als mögliche Mitspielerin wieder aus seinem Blick.

Soweit der Plot. Was aber macht die Erzählung einerseits so mitreißend, andererseits inhaltlich so problematisch?

Da sind zunächst die Bezüge zu Thomas Mann, die erfahrenen Leserinnen und Lesern ins Auge springen. Wer denkt nicht an „Mario und der Zauberer“, wenn zu Beginn des Romans der Zauberer Renó mit Taschenspielertricks die Runde um Krass in seinen Bann schlägt? Krass wischt kritische Stimmen mit einem Machtwort vom Tisch. Seine Anerkennung gilt dem selbstbewussten Spieler mit dem Willen der Menschen, während Thomas Mann die Verführungskraft als Gefahr sieht. In einer späteren Episode kämpft Krass beim Schwimmen um sein Leben. Wie Hans Castorp im Schneesturm ist er, auf sich selbst gestellt, den Elementen ausgesetzt. Aber er ist ein Kämpfer und besiegt aufkommende Schwäche. Die Auftritte Lidewines an der Seite von Krass lassen an Madam Chauchats Türknallen im Zauberberg erinnern. Auch sprachlich begibt sich Mosebach in die Nachfolge Thomas Manns mit langen, kunstvoll konstruierten Satzperioden, differenziertem Vokabular und einer ausgefeilten Motivtechnik. Das ist traditionelles Erzählen, liest sich aber sehr süffig.

Wo ist nun das Aber?

Es liegt in der inhaltlichen Botschaft. Mosebachs Männerfiguren sind entweder die starken, männlichen Heroen, die unbeirrt durchs Leben gehen, dem eigenen Plan folgend, keinen weichlichen Bedenken oder Rücksichten nachgebend. Sie gewinnen oder verlieren, sie benutzen die Menschen und lassen sie fallen, wenn sie sie nicht mehr brauchen. Nur das Gesunde, Starke gilt. Diesen Ansatz vertieft Mosebach in einer Tiersymbolik, die sich durch den Roman zieht. Da ist der Stier in Frankreich, „ein königliches, in seiner Übergröße aber auch tragisch vereinzeltes Tier, wie aus Marmor“, dem die blöden Kühe gegenüberstehen. Da ist der Kater, der den Wellensittichen auflauert, und das grüne Wellensittich-Männchen, dem das Böse innewohnt. Mosebach charakterisiert den Kater als Machtwesen: „Ich will kein Gestreichel und Kraulen hinter dem Ohr, scheint es zu sagen, ich will Blut“. In dieser Welt gibt es – wie in der Welt von Krass – nur Fressen oder Gefressen-Werden. Auch der Hahn in der verfallenen Villa Faraone ist ein Kämpfer. Er hat einen „imponierenden Grundriß“, den er nach der Freilassung durch Lidewine auch noch der alten Bewahrerin gegenüber mit Flügelschlagen vergrößert.

Der starke Mann, der die Vitalität des Naturburschen verkörpert, ist unabhängig von der sozialen Stellung. Der alte, stumme Bauerngehilfe in Frankreich, der der Kuh den übervollen Euter selbst erleichtert, ruft in Jüngel solche Assoziation hervor: „Bequemlichkeit, reichliche Nahrung, das Verschontwerden von Schmerzen und Kälte haben doch eine neue Art gezüchtet, die sich vom Grundmodell, wie Toussaint es für mich verkörpert, weit entfernt hat.“ Er selbst kommt sich daneben vor wie „ein wäßriger kalifornischer Pfirsich aus der Dose“. Jüngel übernimmt für sich die Krass`sche Weltsicht. In seiner Selbsteinschätzung bleibt er das Jüngelchen, allen akademischen Erfolgen zum Trotz. Er bleibt der von allen Verstoßene wie auch sein Freund Desfosses in Frankreich. Beide können nicht einmal eine Frau an sich binden, während Krass jede bekommen kann, die er haben will.

Diese traditionellen Rollenbilder schließen die Rolle der Frauen ein, die nur durch die Aufmerksamkeit eines Mannes etwas gelten. Auch Frauen wie Lidewine können offenbar nur scheinbar frei sein, sind sie doch ständig auf der Suche nach männlicher Anerkennung. Beruflicher Erfolg bleibt bei ihnen Nebensache, Glück oder Zufall.

Die rückwärtsgewandte Grundrichtung des Romans wird besonders sinnfällig in der Episode in der Villa Faraone auf Capri. Krass möchte eine Immobilie besichtigen, die etwas ganz Außergewöhnliches darstellen muss, anderes kommt für ihn nicht in Frage. Jüngel hat die Villa mit dem bedeutungsvollen Namen gefunden, die nun von der ganzen Neapelgesellschaft besucht werden muss. Mosebach beschreibt die noch im Verfall sichtbare ehemalige Schönheit der Villa mit einer Präzision, die die Villa vor den Augen der Leserschaft wiedererstehen lässt, dazu den Blick auf die Bucht von Neapel und die wildromantische Natur rundherum. Der Blick zurück in eine prunkvolle Vergangenheit, die Schönheit und Macht („Faraone“!) vereinigte, ist hier unverkennbar.

In diesem Zusammenhang versteht sich auch die Wahl der drei Handlungsorte: Neapel / Capri und Ägypten, Orte mit großer Vergangenheit und immer noch sichtbarer Schönheit, Neapel zudem mit der kraftvollen Aura des Vesuvs. Im Mittelteil steht die französische Provinz, die an sich nichts Großes verheißt, aber mit ihren halb verfallenen romanischen Kirchen auf längst vergangene Bedeutung verweist. In der Gegenwart bietet die Provinz den Rückzug in die geschlossene Welt des Klosters, die dem verlassenen Desfosses in der reinen Männerwelt Geborgenheit gibt. Desfosses selbst ist ein Sinnbild für die „gute, alte Zeit“: Er kann noch gute, alte Schuhe so reparieren, dass sie wieder wie neu aussehen und noch eine Ewigkeit halten.

Für Zwischentöne hat Mosebach nicht viel übrig. Es gibt stark und schwach, gut und böse; Differenzierung, akademische Bedenken erscheinen dekadent. Dass es „das Böse“ schlechthin von Natur aus gibt, belegen für ihn die Beispiele aus dem Tierreich. Wie menschliches – oder auch tierisches -Verhalten bedingt ist durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, denen sie ausgesetzt sind, interessiert ihn nicht. Genauso wenig interessiert ihn, welche gesellschaftlichen und politischen Bedingungen Existenzen und Geschäftemacher wie Krass hervorbringen. Sie sind die Starken, die aus sich heraus Großes vollbringen. Alles Mittelmaß bedeutet Schwäche, aus einem Jüngelchen kann kein Mann werden.

Dennoch: Ich habe diesen Roman mit großem Lesegenuss gelesen, sogar gleich ein zweites Mal, um dem Verführer Mosebach auf die Spur zu kommen. Da gibt es sicher noch mehr herauszufinden, als sich in diesem Rahmen berichten lässt.

Der Roman erfordert wachsame Leserinnern und Leser.

Der Roman ist im Rowohlt Verlag erschienen, hat 525 Seiten und kostet 25 Euro.

Elke Trost 

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