Der Roman spielt im Berliner Stadtviertel Prenzlauer Berg. An der dortigen Grundschule wird eine „weltoffene Woche“ ausgerufen. Der Schulamtsleiter persönlich hat ein Schreiben herausgegeben, in dem er den Rektor der Grundschule aufforderte, die Schule in Sachen Völkerverständigung nach vorne zu bringen. Das Ganze soll kurz vor Weihnachten stattfinden.
Die Motivation im Kollegium ist eher gebremst, bis auf eine junge Kollegin, die es als Chance für all die Kinder sieht, die zu Hause nicht Weihnachten feiern, weil sie aus anderen Kulturkreisen kommen. Der kleine Minh aus der zweiten Klasse fragt seine vietnamesische Familie nach einem „Kulturgut“ aus Vietnam, das er für die Feier in der Aula seiner Grundschule mitbringen kann. Sein Vater Sung, der genauso wie Minh in Deutschland aufgewachsen ist, kann mit der Frage seines Sohnes wenig anfangen und schickt ihn zur Großmutter. Sie ist als einziges Mitglied der Familie noch in Vietnam aufgewachsen. Vielleicht fällt ihr etwas zum Thema „Vietnam“ ein.
Am nächsten Tag machen sich ein kleiner vietnamesischer Junge von acht Jahren und seine sechzigjährige Großmutter mit einer großen hölzernen Puppe von mehr als achtzig Jahren auf den Weg zur Schule. Einigen kleinen Mädchen fällt besonders das knöchellange meergrüne Prinzessinnenkleid der Großmutter auf. Unter der Überschrift „Dinge der Welt“ lädt die Bühne die Schülerinnen und Schüler zur Präsentation ihrer Objekte ein.
Und dann ist die Großmutter Hien auch schon auf der Bühne, und ihre durchdringende Stimme gellt durch den Raum: „Good morning, Vietnaaam!“. Sie zieht sofort die Aufmerksamkeit aller Gäste auf sich. Aus ihrem meergrünen Ärmel zieht sie ein langes Tuch von gleicher Farbe und umschließt damit die hölzerne Puppe. Sie schiebt die Puppe nach vorne, um sie den Kindern vorzustellen, und erzählt von Vietnam, einem Land, das halb dem Meer und halb der Erde gehört, ein schönes, armes Land. Sie berichtet vom Krieg, der ihr Land zerriss und am Ende verunsicherte Menschen zurückließ. Die Menschen waren voller Angst und arm … bitterarm. Da machte sich eine junge Frau auf nach Ostberlin, denn dort sollte es Arbeit geben. Doch unglücklicherweise wurde die junge Frau schwanger und musste sofort die DDR verlassen, um ihr Kind in Vietnam zur Welt zu bringen. Doch bald nach der Geburt kehrte sie ohne Kind zurück nach Ostberlein, denn sie musste eine Familie ernähren. Das Kind blieb bei ihrer Schwester in Vietnam.
So berichtet die Großmutter der staundenden Kinderschar und ihren Prenzlauerberg-Eltern von ihrem eigenen Schicksal. Die Puppe, eigentlich für das Wassertheater gedacht, lässt die Geschichte lebendig werden.
Bei der Geschichte bleibt es natürlich nicht. Sie ist nur der Auslöser für weitere Aktionen: Lehrerinnen basteln mit ihren Schülerinnen und Schülern anschließend ähnliche Puppen, und die vietnamesischen Geschäfte im Viertel stehen plötzlich im Fokus der Bewohner des Viertels. Man interessiert sich für die vietnamesische Sprache, und umgekehrt wollen Vietnamesen Deutsch lernen. Der typische vietnamesische Bauernhut wird im Sommer zum Renner im Prenzlauer Berg. Dann spannen sich vietnamesische Affenleitern durchs Viertel, und schließlich wird sogar ein Teich mit den hölzernen Puppen bespielt….
Vor Jahresfrist kannte niemand hier am Prenzlauer Berg vietnamesische Wasserpuppen, heute kennt man keinen, der diese Puppen nicht kennt. Wie doch ein kleines Schulfest ein ganzes Stadtviertel bewegen kann!
Karin Kalisa hat mit „Sungs Laden“ einen lesenswerten Roman geschrieben, der zeigt, wie Völkerverständigung gehen kann.
Das Buch ist im Droemer-Verlag erschienen, umfasst 246 Seiten und kostet 19,95 Euro.
Barbara Raudszus
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