In der Literatur und dem Kino ist die Spionage seit jeher eines der zentralen Themen. Das Geheimnisvolle einerseits und der nahezu beliebige Bruch gesellschaftlicher Konventionen oder gar Tabus hat die Menschen seit jeher fasziniert und ein – mehr oder minder wohliges – Gruseln verursacht. Als Beispiele seien John le Carré als Romanautor oder James Bond als „Kult-Agent“ angeführt.
Die Frankfurter Kunsthalle Schirn hat sich dieses Themas jetzt ganz gezielt angenommen und zeigt in der Ausstellung „We never sleep“, wie sich Künstler aller Gattungen dieses mehr als ambivalente Thema zu eigen gemacht und in je eigene Werke umgesetzt haben.
Wenn man den Ausstellungsraum betritt, trifft man gleich auf einen Stapel künstlerisch verfremdeter Magnetbänder, wie man sie aus früheren Spionagefilmen kennt. Anschließend betritt man die eigentliche Ausstellung durch einen labyrinthartigen Eingang, der die Weglosigkeit nur vortäuscht und einen eindeutigen Weg anbietet. Dazu laufen Tonaufnahmen, die Verhöre simulieren. Doppelte Metaphorik: Das Labyrinth der Geheimdienste, das aber nach ganz einfachen Regeln funktioniert und als Labyrinth selbst wieder eine Täuschung ist.
Drinnen, im „Arcanum“, reihen sich dann die künstlerischen Auseinandersetzungen mit diesem Thema, wobei zum Geheimdienst im weiteren Sinne auch Propaganda und Desinformation gehören. So gibt es eine Fotoserie über die USA, die 1959 auf einer großen Ausstellung in Moskau lief und die USA technisch, gesellschaftlich und geschäftlich als Paradies darstellt. Auch der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea spiegelt sich in Video-Szenen wieder, die von extremen Verhörmethoden und Folter handeln.
Die Frauen spielen eine zentrale Rolle, da sie von Geheimdiensten bewusst als Lockvögel auf gegnerische Männer angesetzt wurden. So erscheint Mata Hari sowohl in verschiedenen bildlichen Darstellungen als auch in einem Film über sie. Andere Frauen spielen in Spionagefilmen wichtige Hauptrollen. Überhaupt der Film: er bildet in seiner Ausprägung als Spionagefilm natürlich einen Schwerpunkt. Eine ganze Reihe berühmter Spionagefilme des 20. Jahrhunderts ist sowohl in Gestalt zeitgenössischer Kinoplakate als auch „live“ vertreten. Dabei werden die Filme insofern verfremdet, als der Ton bis zur Unhörbarkeit gedämpft ist. Ziel der Ausstellung ist nämlich nicht, den Besuchern ein Kinoerlebnis zu vermitteln, sondern die Präsentation des Films als Ikone. Da reichen dann auch die stummen Szenen, die angesichts der berühmten Darsteller sofort einen fast schon nostalgischen Wiedererkennungseffekt bewirken.
Der „kalte Krieg“ gilt als Hochzeit der Spionage und ihrer künstlerischen Umsetzung. Filmserien wie „James Bond“ oder die (verfilmten) Romane von John le Carré spielen hier eine genau so wichtige Rolle wie eine Ausstellung verschiedener Spionagekameras und Kommunikationsgeräte, die in der Verkleidung harmloser Alltagsutensilien ganz andere Funktionen zur Verfügung stellten. Die Video-Szene eines Austauschs von Spionen auf einer einsamen Straße im öden Niemandsland zwischen zwei fiktiven Staaten zeigt das Misstrauen und die latente militärische Eruptionsgefahr dieser Epoche. Eine andere Variante der Spionage bestand in der „Romeo-Strategie“ der DDR, bei der attraktive Männer – natürlich Spione – auf einsame Sekretärinnen wichtiger Institutionen angesetzt wurden – meistens erfolgreich. Die Schirn greift diese Methode auf, indem sie den Besuchern der Ausstellung in einem Plakat inmitten der Ausstellung – ist es Kunst?? – mitteilt, dass eben solche „Romeos“ – oder auch Julias? – auf die Besucherinnen zukommen werden und sie freundlich-charmant in ein Gespräch verwickeln werden. Die Tatsache, dass der Rezensent nicht auf diese Weise angesprochen wurde, lässt auf den ausschließlichen Einsatz von „Romeos“ bei der Schirn schließen.
Neben der Spionage zwischen Staaten spielt auch die Überwachung der eigenen Bürger in autoritären Staaten eine zentrale Rolle. So steht gleich am Eingang eine schwarze Rundum-Kamera, die eine geradezu düster drohende Botschaft aussendet. Am Ende des lang gezogenen Ausstellungsraums, der durch seine Enge und durch simulierte Korridore die Atmosphäre einer undurchdringlichen Behörde frei nach Kafka verbreitet, laufen in einem bewusst beengten Raum Videos über das Innere der (panisch) verlassenen Stasizentrale in der Normannenstraße nach der Wende 1989. Die kalte Spießigkeit der Einrichtung, die vielfältigen technischen Apparaturen (nun nutzlos) und die abweisenden Kellergewölbe verursachen noch heute ein grummelndes Grauen beim Betrachter.
Eine Künstlerin hat sich eben diese Wende vorgenommen. Zu Videosequenzen der Demonstrationen vor dem Mauerfall kommentiert ein DDR-Bürger die Situation in der späten DDR und weist auf die Zwangsläufigkeit des Zusammenbruchs hin. Die Installation dieser Videosequenz wird ergänzt durch eine vermeintlich edle – oder besser „edelspießige“ – Wohnungseinrichtung, mit der die Künstlerin auf die heutige Situation der neuen „Revolutionäre“ von AfD, Pegida, Reichsbürgern und anderen Rechtsextremen verweist. Auch hier bereitet man sich auf einen „Tag X“ vor, der diesen Gruppen ebenso zwangsläufig wie die Wende von 1989 erscheint.
Für den interessierten Besucher öffnet sich in dieser Ausstellung eine Büchse der Pandora künstlerischer Ideen zu Spionage, Überwachung und Manipulation. Man sollte aber viel Zeit für einen Besuch investieren, denn viele Werke enthalten derart viele zeit- und problemspezifische Details, dass man zwecks Entzifferung leicht eine viertel bis halbe Stunde vor ihnen verbringen kann.
Die Ausstellung ist vom 24. September 2020 bis zum 10.Januar 2021 geöffnet. Näheres dazu auf der Webseite der Schirn.
Frank Raudszus
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