Dieses Buch ist weder eine politikwissenschaftliche noch eine soziologische Abhandlung über das gesellschaftliche System des heutigen China, sondern ein Erlebnisbericht einer siebenjährigen journalistischen Präsenz in diesem Land. Daher lebt es mehr von den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen als von wissenschaftlichen Theorien und Thesen. Das hat natürlich eine fragmentarische Wirkung zur Folge, da Anzahl und Art der (journalistischen) Erlebnisse und Aktivitäten nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeit planbar sind, sondern dem aktuellen Geschehen unterliegen. Dafür liefert dieser Bericht jedoch sehr anschauliche und im wahrsten Sinne des Wortes „volksnahe“ Eindrücke des repressiven Systems im heutigen China.
Marcel Grzanna und seine Ehefrau Pia gingen gegen Ende der ersten Dekade aus eigenem Entschluss nach China, um das Land aus einer journalistischen Perspektive kennenzulernen. Dazu mussten sie sich erst Medienpartner in Deutschland suchen, denn sie gingen nicht als Angestellte eines Medienkonzerns dorthin. Sie arbeiteten für wechselnde Zeitungen (Marcel) und Fernsehsender wie RTL (Pia), wobei Marcel für die Texte und Pia für die Filme zuständig waren.
Schon bei der Zusammenarbeit mit den Medienpartnern mussten die beiden ihre ersten Lektionen lernen, denn einige Medienunternehmen weigerten sich, besonders brisante kritische Berichte zu veröffentlichen, weil sie die wirtschaftlichen Reaktionen Chinas fürchteten. Ein ähnliches Verhalten mussten die beiden bei Wirtschafts- und Regierungsvertretern feststellen, die Menschenrechts- und Umweltverstöße der chinesischen Behörden entweder bis zur Leugnung marginalisierten oder gar aufrechneten gegen den wirtschaftlichen Aufschwung oder andere „Wohltaten“ der Regierung. Dazu äußerten diese Vertreter der deutschen Gesellschaft auch deutliche Kritik an der kritischen Berichterstattung der beiden Journalisten.
Trotz dieser „Dolchstöße“ [Begriff vom Verfasser dieser Rezension] aus der Heimat blieben die beiden ihrer Linie treu und berichteten kritisch und unter hohem persönlichen Risiko über das repressive System Chinas, dessen Regierung vor nichts mehr Angst hat als vor der eigenen Bevölkerung. So berichteten sie über die brutale Enteignung von Hausbesitzern für neue Bauprojekte, wobei die Bewohner nicht selten direkt in der Obdachlosigkeit landeten. Oder sie interviewten Opfer eines Milchpulverskandals, bei dem eine große Zahl von Kindern starb oder schwere Schäden davontrug und bei dem die Behörden den Mantel des Schweigens über den Skandal legten. Auch mit einem Überlebenden des Tianmen-Massakers von 1989 sprachen sie unter geradezu konspirativen Bedingungen sowie mit Opfern des HIV-Skandals, den die Behörden ignorierten, da es Aids in China „per definitionem“ nicht gab.
All diese Recherchen erfolgten stets unter viel Geheimhaltung und Täuschungsmanövern, da die Behörden Bewegungen des Paares genau beobachteten und versuchten, sie trotz der offiziell zugesicherten vollen Bewegungsfreiheit mit vielerlei vorgeschobenen Begründungen an Interviews und Recherchen zu hindern. Dabei gerieten die verschiedenen Behörden glücklicherweise des Öfteren aneinander, da etwa das Außenministerium in Zeiten großer öffentlicher Aktivitäten wie den Olympischen Spielen keine Presseskandal wünschte. Der Sicherheitsdienst knirschte dann mit den Zähnen und ließ seine Wut verbal an den Journalisten aus.
Das Journalistenpaar hatte sogar den Mut, während ihrer aufreibenden und nie ganz ungefährlichen journalistsichen Tätigkeit noch zwei Kinder in die Welt zu setzen, die sie in den ersten Jahren einzeln oder sogar zusammen mit auf die Recherche-Reisen nehmen mussten. Die Situation nimmt dabei bisweilen nahm dabei bisweilen sogar unfreiwillig komischen Charakter ein, so wenn der Säugling trotz latenter Bedrohung durch die Sicherheitsbehörden noch in aller Ruhe gewickelt werden musste.
Überhaupt geht ein großer Teil von Grzannas Bericht als Kompliment an seine Frau, die trotz Schwangerschaft oder kleiner Kinder nie den journalistischen Impetus verlor und auch unter den widrigsten Umständen nie den Mut und die Übersicht verlor. Das Buch ist auch eine Hommage an Grzannas Frau.
Den Lesern bringt dieses Buch die brutale Repression der chinesischen Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung, aber auch – in gebremster Form – gegenüber ausländischen Journalisten anhand „hautnaher“ Beispiele zum Ausdruck. Grzanna beendet denn auch das Buch mit dem Appell an Politiker und Wirtschaftsbosse, den despotischen Charakter dieses Regimes nicht länger aus wirtschaftlichen Gründen schön zu reden.
Das Buch ist im Goldmann-Verlag erschienen, umfasst 319 Seiten und kostet 15 Euro.
Frank Raudszus
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