Die Innenwelt der Helfer

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NGOs – „Non Government Organisations“ – sind an allen Fronten des Leids und Elends in der Welt aktiv tätig, vornehmlich auf dem von Vielen als „gescheitert“ betrachteten Kontinent Afrika oder auf den Fluchtrouten des Mittelmeers. Sie gelten als leuchtende Beispiele für Selbstlosigkeit und Hilfsbereitschaft und pflegen dieses Image auch aus nachvollziehbaren weil mildtätigen Gründen. Rainer Merkel wagt mit seinem Stück „Lauf und bring mir dein nacktes Leben“ eine ungeschönte Innenansicht dieser Organisationen, verfällt jedoch trotz aller teilweise beißenden Kritik nie in das typische „Gutmenschen-Bashing“.

Ensemble

Merkels Plot ist einfach: fern in Zentralafrika, bei Ebola und ehemaligen Kindersoldaten, arbeiten zwei Vertreter der NGO „Everyday Ghandi“ mit traumatisierten ehemaligen Kindersoldaten, als der Geschäftsführer Edgar (Mathias Znedarec) und der Vorstandsvorsitzende Reno (Thorsten Loeb) zu einem Routinebesuch(?) einfliegen. Schon das Verhältnis des Personaltableaus ist entlarvend: zwei jüngere und eher subalterne lokale Betreuer, Conny (Ulrike Fischer) und Max (Murat Seven), und zwei fachlich eher inkompetente Organisatoren aus der (deutschen) Zentrale. Ein Schelm, wer hier an einen satirische Seitenhieb auf die Bürokratie der NGOs denkt.

Doch es kommt noch schlimmer: Conny und Max sind zwar – wohl aufgrund der lokalen Enge und des psychischen Drucks durch die schlechten Verhältnisse – ein Paar, aber bewegen sich schon wieder langsam auseinander. Conny ist Idealistin und kämpft um alles und für jeden, Max ist eher desillusioniert, nicht zuletzt durch die sachliche weil räumliche Distanz der Organisation, und wird dann auch noch krank. Zwar wird diese Krankheit im Stück auf einen Virus zurückgeführt, aber im Grunde genommen krankt er an dem geradezu paradoxen Widerspruch zwischen den unlösbaren lokalen Problemen und den hehren und öffentlichkeitswirksamen Zielen der Organisation. Seine Krankheit ist letztlich Resignation.

Murat Seven, Thorsten Loeb

Die beiden Manager kommen bei Merkel extrem schlecht weg. Edgar schaut die meiste Zeit in sein Handy, um keine der Nachrichten seiner „ach so süßen“ Tochter zu verpassen, und Reno stilisiert sich als kosmopolitischer Rettungsmanager. Ihn interessiert in erster Linie die äußere Wirkung der NGO-Projekte und damit sein Ego. Die Menschen, für die seine NGO sich in Afrika einsetzt, sind bei diesem Spiel notwendige Verfügungsmasse und haben gefälligst eine ordentliche Opferbiographie zu liefern, die man gut für heimische Werbung und großherzige Projekte nutzen kann. Reno schwebt buchstäblich aus der Höhe des „guten“ weil demokratischen (und reichen) Westens in die Niederungen Afrikas ein und neigt sein Haupt schon einmal in gnädiger Weise einer jungen afrikanischen Stewardess (Ernest Allan Hausmann) zu, um ihr unter dem halb väterlich-freundlichen, halb lüsternen Hinweis auf die Liebe zwischen den Menschen ein kurzes Zusammensein im Hotelzimmer anzubieten. Die Abweisung nimmt er als bloßes Geziere einer unbedarften Eingeborenen nicht ernst und setzt seine Avancen mit paternalistisch-aufdringlicher Attitüde und augenzwinkernd fort. Erst nach dem dritten „Nein“ der irritierten jungen Frau sucht er mit einem gedachten „blöde Kuh“ den Weg zur Toilette.

Regisseur David Stöhr zeigt diese zum Rassismus sich steigernde Nichtachtung auch in einem kleinen Prolog. Ernest Allan Hausmann, selbst mit dunklerer Hautfarbe ausgestattet, steht zu Beginn ratlos vor den Zuschauern und fragt „wer bin ich“ und „was soll ich hier“? Dann kleidet er sich langsam in eine Frau um und wird schließlich zu der besagten Stewardess Rachel. Ihm wird sozusagen eine Rolle oktruiert, die nicht seinem Wesen entspricht, die er aber zu erfüllen hat: unterwürfiges Dienstpersonal, das zu funktionieren hat.

Später wird Hausmann in die Rollen seiner Mitspieler schlüpfen und als deren kurzfristiges Double auftreten, teilweise sogar mit dem identischen Text. Diese seltsame Doppelung wirft einige Rätsel auf, könnte aber darauf verweisen, dass die Afrikaner – stellvertretend für alle nicht-weißen, nicht-männlichen Nicht-Europäer – nur deren Ausführungen wiederholen dürfen, aber keine eigene Identität in Konkurrenz zum „weißen Modell“ entwickeln dürfen.

Zusätzlich tritt noch die ehemalige NGO-Mitarbeiterin Charlotte (Gabriele Drechsel) auf, die wohl einmal mit Reno liiert war und jetzt mittellos dasteht. Sie ist offensichtlich ebenfalls ein Archetypus der NGO-Kultur, der sich wegen der psychischen Verdichtung der Arbeitsbedingungen und der räumlichen wie gesellschaftlichen „Ghetto-Situation“ der NGOs nicht mehr im normalen Leben zurechtfindet. Auf penetrante Weise versucht sie sich in die aktuelle NGO-Gruppe hineinzudrängen und mitzureden, obwohl die anderen sie weitgehend ignorieren. Diese Rolle ist ein wenig fragwürdig, da es unwahrscheinlich erscheint, dass sich Dritte „einfach so“ an diesen entlegenen und durchaus nicht ungefährlichen Gegenden einfinden können. Der Autor scheint das Bedürfnis gehabt zu haben, diesem seltsamen Typus auch ein Denkmal zu setzen.

Ulrike Fischer, Murat Seven, Ernest Allan Hausmann

Das Stück besteht überwiegend aus Diskussionen und entbehrt einer Handlung im klassischen Sinne. Reno steht für westlichen Managementstil, der überschwängliches (und damit unglaubwürdiges) Lob der lokalen Mitarbeiter mit geschickten Bevorzugungen und Zurücksetzungen nach dem Motto „Divide et impera“ beinhaltet, Conny und Max für physisch wie psychisch überlastete Mitarbeiter, die den täglichen Frust des fehlenden Erfolgs (wie ist der zu bewerten?) mit störrischem Idealismus zwar bekämpfen aber nicht besiegen können.

Die fehlende Handlung führt zu einigen Längen vor allem in der Mitte des Stücks, wenn es im herkömmlichen Sinne nicht „voran“ geht. Die werden noch verstärkt durch die an sich gute Idee, den Aufführungsort zu verteilen. Corona-bedingt können die Kammerspiele nur sehr wenige Zuschauer beherbergen. Kurzerhand hat man das Foyer des Kleinen Hauses dazu genommen und überträgt die am jeweiligen Ort stattfinden Szenen per Video in den jeweils anderen. Praktischerweise übernehmen die Schauspieler dabei auch gleich die Rollen des Aufnahmeteams, was natürlich einen entsprechenden Zuschnitt der Szenen verlangt und auch zu Verzögerungen beim Wechsel des Spielortes führt. Doch letztere ist eine weniger ins Gewicht fallende Einschränkung.

Insgesamt legt Regisseur David Stöhr hier eine im wahrsten Sinne des Wortes „denkwürdige“ Arbeit vor, die sich weder in überbordender Empathie noch in satirischer Abwertung erschöpft. Es gelingt ihm und den Darstellern, die psychologische, gesellschaftliche und politische Doppelbödigkeit der NGO-Welt ohne wohlfeile Denunzation darzustellen. Und das in Zeiten von Corona!

Das Publikum spendete akustisch begrenzten aber herzlichen Beifall.

Frank Raudszus

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