Der mitten im Wald zwischen Darmstadt und Trautheim gelegene „Melita-Brunnen“ ist eines der „Markenzeichen“ von Darmstadt. Was lag da näher, als ihn als virtuellen Spielort für die neue Produktion der „Hessischen Spielgemeinschaft“ zu wählen. Dafür hatte man sich ein so bekanntes wie kompliziertes Plot ausgedacht.
Ein angeblich kürzlich aufgefundenes Stück des Darmstädter Lokaldichters Niebergall über das mythische Paar Pyramus und Thisbe soll wegen des Überraschungseffekts heimlich geprobt werden, und so beschließt man, sich zu diesem Zweck nächtens mitten im Wald am Melita-Brunnen zu treffen. Zufälligerweise tragen vier der Darsteller auf einmal die Namen Hermia, Helena, Lysander und Demetrius und sind unglücklich über Kreuz ineinander verliebt. Helena „stalked“ Demetrius, der eigentlich ein Auge auf Hermia geworfen hat. Der Regisseur hat eine sehr ähnliche Geschichte namens „Ein Sommernachtstraum“ von einem eher unbekannten Autor aus England ausgegraben, und so bettet er diese den meisten Zuschauern hoffentlich unbekannte Geschichte samt ihrer gereimten Verse einfach in das eigene Stück um Pyramus und Thisbe ein.
Die Ereignisse am Melita-Brunnen nehmen dann ein derart groteskes Ausmaß an, dass man alles zusammenschreibt und auf der Terrasse des Staatstheaters sozusagen als „Docutainment“ dem Darmstädter Publikum darbietet. In einer fast surrealistischen Kulisse aus Überresten eines Lindwurms, einem überdimensionierten Damenschuh und verschiedenen Lichtspielen aus dem Fundus des nicht stattfindenden jährlichen Heinerfestes stellt die Spielgemeinschaft ihre verwirrenden Erfahrungen im nächtlichen Wald nach, und das alles in hessischer Mundart und in Schlegelschen Reimen.
Der „Puck“, Spaßvogel und Unruhestifter in dem englischen Liebesverwirrspiel, kommt hier in genderkorrekter Form gleich doppelt daher: als sprunghaft-naiver Jüngling und als spitzzüngig gegen diesen giftende junge Frau. Die beiden bereiten dem König des Zauberwalds zwischen Darmstadt und Trautheim, Oberon mit Namen, mit ihrer Unberechenbarkeit nur Ärger, wo er doch mit seiner kapriziösen Frau Titania und ihren drei Elfen genug zu tun hat. Da hilft nur ein Trank, der Titania in eine lammfromme Liebende verwandeln soll. Dass dieser Trank dank dem Puck-Paar an die Falschen kommt, nämlich an Lysander und Demetrius, bringt den gesamten Hormonhaushalt aller Betroffenen durcheinander. Am schlimmsten aber trifft es Zettel, die in moderner Regiemanier den Pyramus spielen soll (Thisbe wird dann logischerweise von einem Mann gespielt), an die liebestolle Titania gerät und von der in einen Esel verwandelt wird. Zettels Albtraum!
Klar, dass Oberon irgendwann – kurz vor Morgengrauen – Schluss mit dem Vexierspiel macht und die Verhältnisse so einrichtet, dass alle glücklich sind. Demetrius liebt jetzt Helena, Lysander wieder Hermia, Titania ist wieder lieb zu ihrem Gatten und Zettel darf wieder mit einem normalen Kopf herumlaufen.
Die Darsteller der Hessischen Spielgemeinschaft legen wie immer Wert auf das typische Darmstädter „Schlappmaul“ und zitieren eine Reihe schöner alter lokaler Begriffe wie „Hannebampel“, den sie auch gleich ins Lateinische übersetzen. Trotz einiger Längen in der Mitte der Inszenierung, als es nicht so recht vorangehen will, ist das gesamte Ensemble mit viel Engagement, trockenem „Datterich“-Witz und – vor allem die Damen – energischen Worten bei der Sache. Natürlich leidet auch diese Inszenierung an dem corona-bedingt kleinen und verstreut sitzenden Publikum, denn gerade die schlichten mundartlichen Sprachwitze entwickeln sich eigentlich erst bei dicht gedrängt sitzendem Publikum im vollen Haus zu Selbstläufern. Das Lachen ist nur unterhalb eines Abstandes von 1,5 Metern ansteckend und weicht ansonsten einem versteckten Schmunzeln.
Dennoch kam der Beifall des Publikums von Herzen und lockte das Ensemble noch zwei Mal auf die mittlerweile recht kühle Terrasse des Staatstheaters.
Und wir warnen alle Liebespaare, in der Nacht in der Nähe des Melita-Brunnens spazieren zu gehen, weil man nie weiß, was dort alles passieren kann!
Frank Raudszus
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