Ian McEwan: „Die Kakerlake“

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Ian McEwan setzt auf Überraschungseffekt am Beginn seiner Politik-Satire „Die Kakerlake“. Klar, weiß der bewanderte Leser sofort, dass Jim Sams, wie Gregor Samsa aus unruhigen Träumen erwachend, sich als ein verwandeltes Wesen erlebt, wenn auch nicht verwandelt „zu einem ungeheueren Ungeziefer“, sondern in „eine ungeheure Kreatur“. Weil unser Wahrnehmungsapparat so funktioniert, dass er Neues zunächst auf Bekanntes bezieht, liest man diese Verwandlung auch als eine in einen Käfer, denn man kann ja alles überlesen, was nicht passt. Bis man dann doch stutzig wird, zum Beispiel, warum das Fleisch auf einmal außerhalb des Skeletts liegt. Irgendetwas passt nicht! Also zurück auf Anfang und die erste Seite noch einmal lesen: Ach so, hier hat sich ein Ungeziefer in einen Menschen verwandelt, und zwar geplant von einer höheren Instanz, die dieses neue Wesen mit einem Auftrag versehen hat, der umgehend zu erfüllen ist.

Nun wird auch klar, warum der Weg von „Westminster Palace“ in das neue Apartment so schwer zu bewältigen war, die Kakerlake ist aller Fährnis der menschlichen körperlichen Übermacht ausgeliefert, solange sie nicht im neuen Körper ist.

In diesem neuen Körper hat sie den Auftrag, die Macht zu übernehmen, nachdem die Dame mit den High Heels den Sitz in Downingstreet 10 verlassen hat. Es muss endlich Ordnung geschaffen werden in diesem Land, in dem nichts mehr vorangeht.

Mit der Machtübernahme durch die Kakerlaken, die diese eine an die Front der Regierung geschickt haben, wird mit allen Mitteln der populistischen Rhetorik, mit Fake News und mit der Auswahl des passenden Personals radikale Politik gemacht. Wer Kritik übt, fliegt raus oder wird lächerlich gemacht. So kann das Land, natürlich ist es Großbritannien, wieder nach vorne gebracht werden.

Schnell lernt die Kakerlake in der Rolle des Premierministers, wie man negative Schlagzeilen, die die Opposition lanciert, per Twitter umfunktioniert, schlagkräftig, nur ein paar Details werden weggelassen oder hinzugefügt, und schon stimmt die Darstellung wieder. Wie man diese Twitter noch schlagkräftiger und knapper in kurzen, moralisch aufgeblähten Vokabeln formuliert, macht ihm Archie Tupper, der amerikanische Präsident, vor.

Und wie wird Großbritannien wieder groß und einzigartig? Durch den Reversionalismus. Man krempelt das ganze Finanz- und Wirtschaftssystem um. In Zukunft bezahlt man für seinen Job, das Geld holt man dann durch exzessives Shoppen wieder rein. So werde die Wirtschaft angekurbelt, zwar werde der Übergang etwas schwierig sein, solange alle anderen Nationen nicht mitziehen, aber das sei nur eine Übergangszeit, bis alle die Vorteile erkennen würden.

Besonders die deutsche Kanzlerin kann nicht verstehen, warum der Premier dieses System durchsetzen will, das die Nation spalte und alle bisherigen Errungenschaften in Frage stelle. Die britische Antwort: „Weil wir das wollen“.

Als aber der amerikanische Präsident mitziehen will und eine große britische Abordnung zu einer Konferenz nach Washington einlädt, scheint die Schlacht gewonnen. Doch inzwischen formiert sich zu Hause der Widerstand gegen das Reversionalismus-Projekt, und das unmittelbar vor der entscheidenden Abstimmung im britischen Unterhaus am 19. Dezember. Doch mit einem hinterhältigen Wahlbetrug setzt der Premierminister das neue Finanz- und Wirtschaftssystem durch, und der Reversionalismus wird Gesetz.

So ist Großbritannien schließlich unabhängig, frei und – allein.

Das ist der Zeitpunkt, an dem sich die Kakerlaken – sie hatten übrigens alle wichtigen Ministerposten besetzt – wieder zurückziehen. Jim Sams, nun wieder wie die anderen in seiner ursprünglichen Gestalt, lässt sich für seinen Sieg über die Menschen feiern. Er selbst hält eine Lobrede an alle, die ihm bei diesem Sieg geholfen haben.

Wann immer die Menschen sich selber ruinierten, beginne die Zeit der Kakerlaken, die am besten von der Armut und dem Schmutz der Menschen leben. Nach langen Jahren der Entbehrungen durch Hygiene, gesundes Wasser, saubere Städte werde jetzt eine neue gedeihliche Ära für die Kakerlaken anbrechen, denn der völlige Blödsinn des Reversionalismus werde die Menschen wieder arm machen. Zwar würden nun auch ehrbare Menschen, die sich hätten täuschen lassen, betroffen, aber das sei nun eben ein Kollateralschaden, den man hinnehmen müsse.

Und so treten sie dann ihren Triumphzug an zurück hinter die Vertäfelung in Westminster, von wo aus sie die weitere Entwicklung menschlichen Handelns wieder genüsslich verfolgen können. Leider ist bei der Überquerung der Straße ein Todesopfer zu beklagen, aber der Tote wird als Held gefeiert und in Ehren nach Hause getragen.

Hier muss wohl nicht das große Rätsel aufgelöst werden, wer hinter dem Kakerlaken- Premier steckt und um welches britische Problem es geht. Das ist dann doch alles etwas sehr durchsichtig, wenn auch streckenweise ganz amüsant zu lesen.

Oder ist das einfach britischer Humor, mit ein paar schnellen Strichen ein Problem aufzufächern und der Lächerlichkeit preiszugeben? Zumindest sind diese Striche hier doch etwas sehr grob geraten. In der Abschlussrede des zurückverwandelten  Premiers trieft es sehr von politischer Moral mit dem Rundumschlag eines besseren Menschen gegen die schlechten Politiker und die uneinsichtigen Bürger, die alle nur ihren eigenen Interessen verfolgen, statt die Probleme der Gegenwart und der Zukunft anzupacken.

Oder ist das McEwans etwas hilfloser Versuch, noch schnell vor dem 19. Dezember die Wahl zum britischen Unterhaus zu beeinflussen?

Es gibt bessere Bücher von McEwan. Aber da der Autor uns nur 112 Seiten zumutet, die man gut in einem Nachmittag bewältigen kann, lohnt es vielleicht doch, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen.

Das Buch ist im Diogenes Verlag erschienen, hat 112 Seiten und kostet 19 Euro.

Elke Trost

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