Amelie und Eva sind gerade in der Prüfungsphase für die Mittlere Reife. Sie haben irgendwie die Nase voll von Schule, und der Selbstmord ihres schwulen Klassenkamerads und Freunds Effe hat sie aus dem Gleichgewicht geworfen. Beide sind Fans der Sängerin Amy Winehouse, und deshalb hat sich Amelie in „Amy“ umbenannt. Spontan beschließen die beiden, Effes letzten Gruß, eine ambivalente Zeichnung, zusammen mit einer Flasche Schampus am Grab der Sängerin in London abzulegen.
Doch da beginnt das Problem, denn sie müssen dafür die letzte Prüfung schwänzen. Eva kommt aus einem Akademikerhaushalt – Mutter Richterin – und erhält über verschiedene Kanäle die Gelegenheit, die ausstehende Prüfung nachzuholen. Doch Amy, die aus eher prekären Verhäültnissen stammt, – wegen Berufsunfähigkeit des Vaters herrscht ständige Geldnot -, wird dieses Entgegenkommen versagt. Während Eva irgendwann das Abitur ablegen und studieren wird, geht Amy einer ungewissen Zukunft entgegen.
Die Herkunft der beiden schlägt sich in ihrem Verhalten nieder. Die behütete Eva geht allen Menschen vertrauensvoll, ja, oft ein wenig naiv entgegen, während Amy grundsätzlich misstrauisch ist. Eva spricht in ausformulierten Erwachsenensätzen, während sich Amy bewusst einer provokativen Teenager-Sprache bedient. Außerdem hat sie gerade eine Abtreibung hinter sich, für die der ziellos in den Tag hinein lebende Marco verantwortlich ist.
Trotz dieses Kontrastes der Herkunft und des Auftretens halten die beiden zusammen und haben sogar das mehrdeutige Motto „Amy4Eva“ entwickelt, das sie auf ihrer Reise nach London vor sich her tragen. Amy hat Marco noch um ganze 49 Euro erleichtert, muss jedoch erfahren, dass Eva über ein Konto von „einskommafünf“ verfügt, was sie in ihrer Welt mit ein Euro fünfzig gleichsetzt. Als sie die wahre Größenordnung dieser Zahl erfährt, ist sie schwer gekränkt und will die Reise abblasen, doch Eva kann sie zum Mitfahren überreden.
Doch die EC-Karte und das gefüllte Konto helfen nicht, da Evas Mutter die Karte gesperrt hat. So beschließen die beiden, als Tramperinnen nach London zu fahren. Sie treffen auch gleich den dubiosen Österreicher Marek mit seinem angeblich ukrainischen Begleiter Wasia, der nur zwei Töne von sich gibt. Man kann sich lebhaft die Probleme vorstellen, in die zwei Mädchen von 16/17 geraten, wenn sie mit dubiosen jungen Männern „per Anhalter“ durch Europa fahren, und Amy sieht diese Probleme im Gegensatz zu Eva sofort. Da sie die gutgläubige Eva jedoch nicht davon abhalten kann, beschließt sie, ihre Freundin zu beschützen.
Wer jetzt glaubt, das Stück entwickle sich zu einer pessimistischen Dystopie mit allem katastrophalen Drum und Dran, sieht sich getäuscht. Die beiden Mädchen entgehen durch Glück und Chuzpe allen möglichen oder eingebildeten Gefahren und verwirklichen ihren Traum am Grab von Amy Winehouse. Dann aber schlägt die Realität zu. In einer Rückschau aus einer deutlich späteren Zeit erzählt Eva, dass der Zusammenhalt damit aufgezehrt war, dass Amy arbeiten gehen musste, Kinder bekam und aus ihrem Blickfeld geriet, während sie selbst Abitur machte und studiert. „Amy4Eva“ gilt eben doch nicht für die Ewigkeit – eben wegen der unterschiedlichen Herkunft.
Der Autor Dirk Laucke veranschaulicht in seinem Stück den Einfluss des Elternhauses und generell der sozialen Schicht für das spätere Leben. Für Eva ist trotz aller offener Fragen nach dem „Sinn des Lebens“ der Lebenslauf mit Abitur, Studium und akademischer Karriere vorgezeichnet und selbstverständlich, während Amy von vornherein ahnt, dass sie dem Milieu ihres Elternhauses – Vater behindert, Mutter ob des Unglücks klagend und schimpfend – nie entrinnen wird. Daher rührt auch ihre provokante Art sich zu geben, die letztlich nur als seelischer Panzer dient. In wenigen Momenten lässt sie diese „coole“ Maske fallen und zeigt ihre Verletzlichkeit und Zukunftsangst. Doch Eva steckt selbst viel zu tief in jugendlichen Zweifeln und Auflehnung gegen ihre eigenen Eltern, als dass sie die Therapeutin für Amy spielen könnte.
Die beiden Mädchen werden durchgängig von zwei jungen Schauspielerinnen gespielt, Marielle Layher (Eva) und Edda Wirsch (Amy). Für alle anderen Personen – die jeweiligen Eltern, ein Lehrer, Marko, Marek und Wasja, sind Jonas Gruber und Clara Pazzini zuständig, mal mit, mal ohne Kostümwechsel. Das gelingt recht gut und glaubwürdig und verleiht der Inszenierung Tempo und Witz. Jonas Grubers authentischer österreichischer Dialekt trägt nicht unwesentlich zu dieser heiteren Note bei, und Clara Pazzini bringt die sprachlichen und emotionalen Eigenarten der so unterschiedlichen Mütter deutlich auf den Punkt.
Marielle Layher und Edda Wirsch sind in ihrer Gegensätzlichkeit ein überzeugendes Paar und spielen ihre beiden Rollen mit viel Engagement, darstellerischem Können und Konsequenz. Vieles kommt vor allem den älteren Zuschauern sehr bekannt vor, und trotz des durchaus ernsten Hintergrund kommt der Humor nie zu kurz.
Man sollte aber dieses Stücks nicht als lustige Komödie im Sinne von „so sind die Teenager halt“ missverstehen. Hier wird nicht nur die Adolszenz und ihr Verhältnis zu der Welt der Erwachsenen verhandelt, sondern eben diese Welt durchaus kritisch „vorgeführt“. Trotz aller verbalen Zuspitzungen vor allem von Amy enthalten die Dialoge der beiden Mädchen sehr viel Wahres.
„Amy4Eva“ handelt zwar von Jugendlichen, ist aber durchaus nicht ein Stück nur für Jugendliche. Auch ältere Generationen können hier einige nicht nur bequeme Erkenntnisse mitnehmen.
Das Premierenpublikum war begeistert und spendete allen Akteuren kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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