Franz Schuberts Traum

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Im ersten Kammerkonzert der neuen Saison stellten der Pianist und Komponist Michael Gees und die Sopranistin Anna Lucia Richter ein ganz besonderes Programm vor: unter dem mehrdeutigen Titel „Wahn und Sinn“ hatten sie nicht nur eine Reihe von Liedern Franz Schuberts, Richard Strauss´ und Gustav Mahlers zusammengestellt, sondern darüber hinaus hatte Michael Gees das von Franz Schubert verfertigte reimlose Gedicht „Mein Traum“ vertont und in Gestalt dreier „Extempores“ in das Programm einfließen lassen. Dieser versartige Text Schuberts lässt sich als spirituelle Verdichtung seines Lebens und musikalischen Wirkens lesen, da,er von Liebe, Enttäuschung, Vertreibung, Einsamkeit und vom ziellosen Wandern spricht.

Die Sopranistisn Anna Lucia Richter

Neben diesen Komponisten war auch Goethe als Textgeber stark vertreten. Geradezu paradigmatisch stand am Beginn des Programm sein Gedicht „Gretchen am Spinnrad“ aus dem „Faust“ in der Vertonung von Franz Schubert. Dieses Lied spiegelt den schmalen Grat zwischen dem Sinn der Liebe und dem Wahn der Enttäuschung wider, auf dem Gretchen wandelt und schließlich auf die Seite des Wahnsinns kippt. Wegen seiner Nähe besonders zu Schuberts Leben und Leiden stand dieses Lied ganz bewusst wie ein Motto am Anfang des Programms.

Danach schloss sich gleich das erste „Extempore“ aus Schuberts „mein Traum“ an, wie um die emotionale Dichte des ersten Liedes noch zu erhöhen. Von Schubert folgten vor der Pause noch die Romanze aus „Rosamunde“, „Suleika I“ sowie die drei Mignon-Lieder nach Goethe(!) und das zweite Extempore aus dem „Traum“. Dazu steuerte Michael Gees eine Vertonung von Franz Werfels „Mondlied eines Mädchens“ bei, gesungen von Anna Lucia Richter. Allen diesen Liedern ist der Ausdruck der Sehnsucht, des Verlustes und der Einsamkeit gemeinsam, wortwörtlich in dem berühmten Mignon-Lied „Nur wer die Sehnsucht kennt“.

Anna Lucia Richter interpretierte diese Lieder mit einer weichen, variantenreichen Stimme, die sowohl die leise resignierende Sehnsucht als auch die immer wieder aufflammende Hoffnung auf Erfüllung überzeugend zum Ausdruck brachte. Michael Gees begleitete sie dabei mit einem zurückhaltenden aber nie nachrangigen Stil. Hier trat nicht eine Sängerin mit ihrem Klavierbegleiter auf, sondern zwei Künstlerpersönlichkeiten interpretierten das vorgetragene Liedgut gemeinsam auf Augenhöhe.

Pianist und Komponist Michael Gees

Der zweite Teil führte an das Ende des Jahrhunderts, das mit Schubert begonnen hatte, und erinnerte zum Beginn im dritten Extempore noch einmal an Schuberts „Traum“. Nach den drei „Ophelia“-Liedern von Richard Strauss, deren mittleres sich zu einer fast frivolen Heiterkeit aufschwingt und von zwei dem Tod gewidmeten Liedern eingerahmt wird, folgte eine weitere Komposition von Michael Gees, in dem er einen Nietzsche-Text mit dem symbolträchtigen Titel „Vereinsamt“ in schubertscher Manier vertont hat. Die schreienden Krähen, der nahende Schnee , die starre Kälte und die stummen und kalten Wüsten erinnern nicht nur an die „Winterreise“, sondern dieses Lied erweist Schuberts wichtigstem Werk geradezu eine Reverenz.

Goethes drei Mignon-Lieder aus dem ersten Teil erklangen noch einmal in der Vertonung von Richard Strauss, und man konnte in diesem Vergleich die Entwicklung der Liedkunst in einem knappen Jahrhundert nachvollziehen. Eine ganz andere Welt tat sich hier auf, obwohl die Texte unverändert blieben. Den Abschluss bildeten vier Lieder von Gustav Mahler, die nach all den Klagen über Einsamkeit und unerfüllte Sehnsucht noch ein wenig deftige Komik brachten, so im Lied über den Kuckuck und den Esel (nicht das bekannte Kinderlied!) oder der musikalische Exkurs darüber, wie man „schlimme Kinder artig macht“. Hier sah man manchen Zuhörer schmunzeln oder hörte sogar kurzes Lachen. Die beiden Künstler hatten die Reihenfolge kurzfristig umgestellt, um das Publikum mit einer leicht humorigen Stimmung aus dem Abend zu entlassen.

Das gelang ihnen denn auch, und das Publikum dankte ihnen für die intelligente Zusammenstellung sowie die feinsinnige und nie ins Sentimentale abgleitende Interpretation dieses bei aller Ähnlichkeit variantenreichen Programms. Als Zugabe trugen die beiden noch Franz Schuberts Lied „Bei dir allein“ vor.

Frank Raudszus

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