Das Sommerfest auf Schloss Vollrads in Oestrich-Winkel gehört schon lange zum festen Programm-„Inventar“ des Rheingau Musik Festivals. Seine Attraktion besteht in der Mischung aus einer Flaniermeile in der geräumigen Schlossanlage mit Schlosshof, Garten, Teichen, Restaurants und Wiesen sowie musikalischer Veranstaltungen, die das am Nachmittag beginnende Fest einerseits auflockern und ihm andererseits Struktur verleihen. Im Gegensatz zu konzertanten Veranstaltungen sitzt man hier nicht von Anfang bis Ende auf einem festen Platz, sondern kann sich zwischen Kaffeetrinken mit Kuchen, Sekt oder Wein schlürfen und einfach nur umherspazieren frei entscheiden. Wenn dann noch ein solch freundliches Sommerwetter herrscht wie an diesem frühen August-Samstag, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Musikalisch begann der Nachmittag mit der irischen Band FLOOK, die das Publikum mit einem ganz eigenen Klangerlebnis betörten. Der Folklore-Charakter dieser Musik mutet streckenweise fast orientalisch an, wenn die Flöten im Wechselspiel über ungewohnte Harmonien improvisieren. Die richtige Musik, um einen solchen Nachmittag in Ruhe angehen zu lassen und sich langsam dem Sog der Musik zu öffnen.
Nach diesem etwa einstündigen Konzert unter Sonnenzelt und schattigen Bäumen im Garten war wieder Zeit, die großzügige Architektur des gepflegten Schlosses sowie das vielfältige gastronomische Angebot kennen zu lernen, bevor das nächste Musikprogramm begann.
Dieses wurde von der fünfköpfigen Band „Soultyzer“ bestritten, die um den US_Sänger David A. Tobin herum aufgebaut ist. Tobin besticht durch seine ausgesprochen kräftige und wohlgeformte Stimme, mit denen er ohne Probleme den halben Schlossplatz füllte, obwohl die Bühne hinten am Herrenhaus aufgebaut war. Tobin ist aber nicht nur Sänger, sondern auch ein Entertainer, der immer wieder das Publikum anspricht und zum Mitmachen anregt. Die akustische Basis für seine mit ganz individuellem Sound vorgetragenen Soul- und Jazz-Standards lieferten Oliver Gross (Keyboard), Andreas Dahle (Gitarre) Klaus Wittig (Bass) und Albi Hisen (Schlagzeug). Zusammen zelebrierten diese fünf Musiker sowohl melancholischen Soul als auch rhythmisch vorwärts drängende Beat-Nummern oder Jazz-Standards.
Nach einem weiteren Zwischenspiel von FLOOK im Garten folgte dann auf der großen Bühne im Schlosshof der Auftritt der „Hauptband“: Jan Josef Liefers´RADIO DORIA, ein Anagramm als Bandname. Aus guten Gründen hatte man die zahlreichen Stuhlreihen abgesperrt und öffnete den Zugang erst eine halbe Stunde vor Beginn. So war zumindest die Möglichkeit für alle Besucher gegeben, einen guten Platz zu ergattern. Andernfalls hätten die Fans dieser Band die besten Plätze schon zwei Stunden früher besetzt. Auch so kam der Sturm vor allem auf die ersten Reihen einem Kampf ums Überleben gleich.
Der Andrang zu diesem Konzert ist mit Sicherheit auf die Beliebtheit von Jan Josef Liefers zurückzuführen, und hier zählt mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit seine Rolle als Professor Börne im Münsteraner „Tatort“, der als der beliebteste der ganzen Reihe gilt. Vor allem die Damen zeigten ihre Bewunderung des Schauspielers und Sängers auf unterschiedlichste Weise. Eine ferne Erinnerung an die Auftritte Elvis Presleys in den fünfziger Jahren wurde wach. Welch ein Kompliment für Jan Josef Liefers!
Dieser revanchierte sich für den begeisterten Empfang mit einem so souveränen wie humorvollen Auftritt. Bewusst beschränkte er sich nicht auf das Singen, sondern streute Anekdoten und Erinnerungen ein, die einerseits etwas über sein Leben aussagten und andererseits stets eine kleine, aber nie aufdringliche „Moral“ mit sich führten. Etwa, wenn er eine Studie zitierte, die die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland geboren und aufgewachsen zu sein, mit einem „Fünfer“ im Lotto vergleicht. Die dahinter stehende Aussage konnte sich jeder selbst zusammenreimen. Darüber hinaus vermied Liefers es konsequent, seinen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad aus der „Tatort“-Serie als Zugpferd auszunutzen. Hier war er nicht Börne, sondern nur und alleine Jan Josef Liefers. Als treuer Tatort-Zuschauer musste man sich erst daran gewöhnen, den Münsteraner Rechtsprofessor auszublenden, dann aber kam Liefers umso deutlicher zum Vorschein.
Musikalisch präsentierten die fünf Musiker – Liefers als Sänger, Jens Nickel an der Gitarre, Gunter Papperitz am Keyboard, Christian Adameit am E-Bass und Timon Fenner am Schlagzeug – rockige Pop-Musik mit starkem Beat. Sowohl klanglich als auch textlich distanziert sich diese Gruppe deutlich von der üblichen deutschen Schlagerszene. Die Eigenkomposition sind harmonisch und melodisch anspruchsvoll, und die von Liefers gesungenen Texte sind, soweit verständlich, durchweg von einem gewissen Lebensernst durchdrungen, auch und gerade, wenn es um die Liebe geht.
Hier lag aber auch der kleine Schwachpunkt des Konzerts: die Band spielte über weite Strecken eine Spur zu laut und überdeckte damit die Texte zum großen Teil. Außerdem hielt Liefers das Mikrofon bisweilen zu dicht an den Mund, so dass auch hier Verzerrungen das Verständnis erschwerten. Schade, denn man hätte die Texte gerne vollständig mitbekommen, um ihren Inhalt zu würdigen. Diese Schwäche wurde aber weitgehend kompensiert durch Liefers´ temperamentvollen Vortrag, der oft mit vollem Körpereinatz erfolgte, sowie durch seine ergänzenden Kommentare und Ausflüge in die Philosophie des Alltags. Dass er auch auf die Fans vor der Bühne einging und sogar mit einer Dame ein Tänzchen hinlegte, war ein weiterer Pluspunkt, der die Distanz zwischen Bühne und Publikum auflöste und für ein echtes Miteinander sorgte. Jan Josef Liefers bewies in diesem Konzert, dass er ein wahres Multitalent ist, das sowohl den anspruchsvollen Pop-Gesang als auch den (schauspielerischen) Umgang mit dem Publikum beherrscht. Es wurde an diesem Abend keine Sekunde langweilig, und am Schluss hingen die weiblichen Fans dicht vor der Bühne förmlich an seinen Lippen, bis er eine von ihnen sogar umarmte – und küsste?
Der Abend klang aus mit einer zweiten Hommage an den Soul, wobei sich bei nun einsetzender Dunkelheit das langsam abnehmende Publikum vor der „Soul“-Bühne drängte und noch einmal der voluminösen Stimme von David A. Tobin und den Klängen der „Soultyzer“ lauschte.
Gegen 22 Uhr endete dann schließlich ein Sommerfest, das von Anfang bis Ende von Erfolg gekrönt war.
Frank Raudszus
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