Als habe die Konzertdirektion des Staatstheaters Darmstadt die aktuelle Präsenz der Jugend – Stichwort „Rezo“ – geahnt, hatten sie das 7. Sinfoniekonzert der Jugend gewidmet. Das galt weniger den Komponisten der gespielten Werke – obwohl einer von ihnen nur 38 Jahre alt wurde – sondern dem Solisten und dem Dirigenten. Der Geiger Tobias Feldmann hat sich bereits mit 28 Jahren ein hohes internationales Renommee erspielt, und sein Mitstreiter am Dirigentenpult, der Brasilianer Eduardo Strausser, ist als Mittdreißiger ebenfalls bereits ein bekannter und begehrter Dirigent.
Diese beiden präsentierten im Darmstadt drei Werke, die einen reizvollen, wenn nicht herausfordernden Kontrast bildeten: Jean Sibelius´ „Karelia-Suite“, Felix Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert in e-Moll sowie Dmitri Schostakowitschs 15. Sinfonie in A-Dur.
Die „Karelia-Suite“ ist eine vom Komponisten selbst zusammengestellte Auswahl aus drei Stücken eines umfangreichen Werkes aus dem Jahr 1893, das die Finnlands östliche Region Karelien, die heute zu Russland gehört, patriotisch-musikalisch beschwört. Die weiten Seen- und Waldlandschaften luden vor allem Ende des 19. Jahrhundert musikalisch zu lang gezogenen, schwelgenden Klangräumen ein, und Sibelius war ein wahrer Könner auf diesem Gebiet. Seine Kunst bestand darin, dass die nicht zu überhörende Programmatik seiner Musik nie ins nur Sentimentale oder gar Kitschige abgleitet, sondern stets einen nachdenklichen, ja: spannungsgeladenen Gestus bewahrt.
Der erste Satz („Intermezzo“) beginnt mit einem getragenen, satten Hörnerklang, aus dem das Stück langsam zum Leben erwacht. Später nimmt dieser Satz sogar einen tänzerischen Ausdruck an, und wenn die Hörner über einem äußerst feinen Streicherteppich agieren, lädt sich dieser Satz förmlich mit Spannung auf. Der zweite Satz („Ballade“) beginnt mit warmen Holzbläsern und weiten Bögen der Streicher, verfällt jedoch trotz der getragenen Themen nie in falschen Schmelz, sondern bewahrt gestochen scharfe musikalische Linien und verströmt damit eine herbe Lyrik. Der dritte Satz („Alla marcia“) schreitet lebendig vorwärts und atmet mit den strahlenden Trompeten sogar ein wenig Militäratmosphäre. Kein Wunder bei dem patriotischen Hintergrund des späten 19. Jahrhunderts.
Das Orchester bestach unter der Leitung von Eduardo Strausser durch die präzise und perfekte Intonation der Bläser, die Feinfühligkeit der Streicher in allen Lagen sowie durch einen ausgesprochen homogenen Klang. Der junge Dirigent hatte sich offensichtlich sehr schnell auf dieses Orchester eingestellt und brachte dessen Qualitäten zum Ausdruck.
Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll besticht durch seine eingängigen Themen und durch den hohen technischen Anspruch. Außerdem ist das Orchester nicht nur Begleitinstrument, sondern vollwertiger Partner des Solisten. Strausser zeigte dies gleich zu Beginn dadurch, dass er das von Tobias Feldmann mit Verve vorgestellte Hauptthema mit einem ausgesprochen präsenten Auftritt aufnahm und fortführte. Bei den anschließenden Passagen des Solisten nahm Strausser das Orchester jedoch deutlich zurück, nur um bei den Zwischenspielen des Orchesters wieder „aufzutrumpfen“. Dieses Wechselspiel zwischen hochvirtuosem Solo-Instrument und kraftvollem Orchester macht dieses Konzert so eindrucksvoll. Tobias Feldmann glänzte bereits in diesem ersten Satz, vor allem in der ausgedehnten Solo-Kadenz, in der er seine ganze Virtuosität zeigen konnte. Dabei diente sein Spiel jederzeit dem Werk und nicht der Selbstdarstellung. Obwohl Feldmann an der Rampe der Bühne stand, stand die Musik im Vordergrund und er im Hintergrund. Kleine Blickkontakte mit dem erstem Geiger und dem Dirigenten sicherten Einsätze und Intensitätswechsel ab. Besonders gelungen war der „attacca“-Übergang zum Andante des zweiten Satzes: mitten aus dem „forte“ gespielten Schlussakkord des Orchesters schält sich eine einzelne Fagottstimme heraus, die mehrere Sekunden lang alleine im Raum steht, ehe die Violine mit dem Thema des Satzes einsetzt. Dieser Übergang enthält ein hohes Spannungsmoment und lässt die Konzentration des Zuhörers nicht absinken. Die Wirkung war auch dem klaren und konstanten Ton des Fagotts zu verdanken.
Tobias Feldmann zeigte in diesem Satz seine feine, intensive Musikalität, die sich in der Phrasierung und Intonation niederschlug. Die leisesten Töne kamen ebenso leicht daher wie die kräftigen in den Crescendi. Überhaupt hatte man den Eindruck, das Geigenspiel sei eine einfache, fast natürliche Beschäftigung, so unangestrengt und im wahrsten Sinne des Wortes „gespielt“ erschien diese Interpretation. Bestechend auch die Variabilität des musikalischen Ausdrucks, die jedoch in jedem Augenblick der Eigengesetzlichkeit der Partitur und nie einem subjektiven Gefühl zu folgen schien. Auch hier wahrte die Musik den Vorrang gegenüber dem Vortragenden.
Der dritte Satz funkelte dann noch einmal vor Esprit und Virtuosität, und dabei fiel vor allem die Harmonie zwischen Solist und Dirigent auf, die durch genaue Beobachtung und kleine Kopfbewegungen aufrecht erhalten wurde. Man hatte den Eindruck, dass hier zwei junge Leute großen Spaß an einem gemeinsamen Spiel hatten, ohne dass dieses „Spiel“ jemals ausartete in eine Selbstdarstellung oder gar „nur Spaß“. Und so wurde das freudige Finale dieses Werkes seinem musikalsichen Charakter im wahrsten Sinne des Wortes gerecht.
Nach dem Schlussakkord fielen sich Feldmann und Strausser in die Arme und bestätigten dadurch noch einmal, welche Freude sie bei diesem Vortrag empfunden hatten. Das Publikum zeigte sich ebenfalls derart begeistert, dass es durch kontinuierlichen Beifall noch eine Zugabe erreichte: eine Sarabande von Johann Sebastian Bach für Violine Solo. Noch einmal kräftiger Beifall.
Den zweiten Teil mit Schostakowitschs 15. Sinfonie konnte der Rezensent wegen Terminproblemen leider nicht mehr wahrnehmen, und deshalb endet die Rezension an dieser Stelle.
Frank Raudszus
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