Eindimensionale Umsetzung eines komplexen Stoffes

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Eine alte – nur selten bezweifelte – Theaterweisheit besagt, dass jegliche Bühneninszenierung aus sich selbst heraus verständlich sein soll. Das erscheint im Fall der klassischen Bühnenstücke nahezu banal, da die meisten Stücke als eigenständige Kunstwerke ihren gesamten Hintergrund mitbringen und meist im ersten Akt ausbreiten. Im Fall der Romanbearbeitungen ändern sich jedoch die Randbedingungen, da eine Bühnenbearbeitung nicht die epische Breite eines typischen Romans abbilden kann. Die Aufgabe des Regieteams besteht darin, die Abfolge der Handlungselemente und -stränge derart anzuordnen, dass die Logik der Romanvorlage erhalten bleibt.


von links nach rechts: Daniel Scholz, Thorsten Loeb, Jörg Zirnstein

Das gestaltet sich jedoch im Falle des Romans „Solaris“ des polnischen Autors Stanislaw Lem (1921 – 2006) als besonders anspruchsvoll, weil dieser Roman ausgesprochen ambivalente Züge trägt und keiner alltagstauglichen Logik folgt: Wissenschaftler einer Raumstation im Orbit des Planeten Solaris beobachten den flächendeckenden Ozean, der über eine hohe, aber kaum verständliche Intelligenz zu verfügen scheint. Als der Wissenschaftler Chris die Station wegen seltsamer Anzeichen der Bewohner besucht, sieht er sich nicht nur mit in hohem Maße verstörten Kollegen , sondern auch mit weiteren Personen konfrontiert, die es gar nicht geben dürfte. Eine davon ist seine ehemalige Freundin Harey, für deren Selbstmord er sich verantwortlich fühlt. Anscheinend erschafft der geheimnisvolle Ozean aus den schuldbeladenen Erinnerungen der Menschen in seiner Nähe nach Belieben lebensechte Kopien anderer Menschen. Auch die Wissenschaftler auf der Raumstation haben solche „Begleiter“, die sie aber nach Möglichkeit verstecken.


Anabel Möbius

Ist diese Gemengelage schon schwierig in einer typischen Inszenierung nachvollziehbar darzustellen, verzichtet Christoph Mehler in seiner Inszenierung in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt von vornherein auf eine irgendwie geartete textliche Einführung in die Situation. Das Bühnenbild von Jennifer Hörr beschränkt sich auf eine Reihe hängender Leuchtstoffröhren, die in verschiedenen Farben leuchten und den gesamten Bühnenraum beherrschen. Sie symbolisieren den geheimnisvollen Ozean und verändern schlagartig die Farbe, wenn der Ozean in irgendeiner Weise agiert. Kann man diese Metapher nach Lektüre des Programmhefts noch nachvollziehen, verliert sich dieses Handlungsverständnis jedoch bereits in der ersten Szene. Snaut und Sartorius, die beiden Stationsbewohner, reden auf die Leuchtstäbe – sprich: den Ozean – ein, wobei Sartorius (Daniel Schulz) u. a. Rilkes „Panther“ zitiert und Snaut und Snaut (Jörg Zirnstein) auf Russisch sein schweigendes Gegenüber zum Reden auffordert („govori“). Das trägt natürlich wenig zum Handlungsverständnis bei, zumal nur wenige Zuschauer den Imperativ des russischen Verbs „govoritj“ kennen werden.

Diese Szene zieht sich überdies über eine viel zu lange Dauer ohne eine sprachliche oder szenische Entwicklung hin. Nur das zwanghaft-rituelle Gemurmel der beiden Figuren, der Nebel als Metapher für das Geheimnisvolle und eine synthetische Musik zwischen Bachs Präludien und Philipp Glass´ „minimal music“ füllen die Bühne, wobei die Musik überdies einen Teil der gesprochenen Worte überdeckt.


von links nach rechts: Jörg Zirnstein, Anabel Möbius, Daniel Scholz

Wenn dann Chris (Thorsten Loeb) auf der Bühne erscheint, wird mitnichten die Situation erklärt, sondern nur Snauts und Sartorius´ Verstörung und damit der Schock für Loeb gezeigt. Dieser Schock verstärkt sich noch, wenn plötzlich Chris ehemalige Freundin Harey (Anabel Möbiuu) erscheint. Doch auch hier bleibt der Dialog auf der Ebene einer gestörten Beziehung, wie Edward Albee oder Yasmina Reza sie zu beschreiben pfleg(t)en. Wer jetzt nicht über genaues Romanwissen verfügt, hört und sieht nur Hareys aggressiven Vorhaltungen gegenüber einem schuldbewussten Harey. Die üblichen Beziehungsprobleme halt zwischen einer sensiblen, enttäuschten Frau und einem wenig empathischen Mann, der zu retten versucht, was noch rettbar erscheint. Wenn er ihr sagt, dass sie nur in seiner Einbildung existiert, scheint das die typische metaphorische Verteidigung des Mannes gegenüber den Vorwürfen der Frau zu sein. Dass Harey tatsächlich eine „ex nihilo“ entstandene, lebensechte Kopie des Gegenstands seines schlechten Gewissens ist, wird aus dem Text und seiner szenischen Umsetzung nicht klar. Auch die Tatsache, dass Chris sie unter Gewaltanwendung loswerden will und die laut schreiende und sich heftig wehrende Harey deswegen minutenlang an Armen und Beinen über die Bühne zerrt, wird nicht als das Abwehren dieser Nachschöpfung seiner Schuldgefühle wahrgenommen, sondern als Darstellung der fast schon trivialen Gewalt von Männern gegenüber Frauen.

Natürlich hilft auch die gewaltsame Entfernung nicht, denn als gedankliche Schöpfung erscheint Harey in der nächsten Szene wieder, und die Auseinandersetzungen beginnen non Neuem, streckenweise sekundiert von den teils verwirrt, teils zynisch agierenden Snaut und Sartorius. Im Laufe des fast eineinhalbstündigen Abends erkennt der Zuschauer langsam, dass sich Chris hier von einer Obsession befreien muss, was ihm jedoch bis zum Schluss nicht gelingt.


von links nach rechts: Jörg Zirnstein, Thorsten Loeb, Daniel Scholz

Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und der Schuld könnte man psychologisch vielgestaltig inszenieren, mit allen Schattierungen zwischen leiser Abbitte, unerfüllbarer Sehnsucht, gegenseitiger Abhängigkeit und deprimierter wie aufbegehrender Verzweiflung. Doch Mehler wählt den Castorfschen Weg und lässt die Protagonisten, vor allem Chris und Harey, die meiste Zeit aufeinander einschreien. Vor allem Harey wirft Chris ihre Frustrationen über ihre zunehmend wahrgenommene virtuelle Existenz unter Aufbietung aller Stimmkräfte in einer Endlosschleife der Verzweiflung an den Kopf. Dadurch verzichtet die Inszenierung von Vornherein auf die Vorteile einer breiten psychologischen Palette und setzt nur auf eine geradezu stereotype Expressivität, die letztlich die Zuschauer abstumpft.

Auch die teilweise szenisch unverständlichen akustischen Einspielungen wirken eher kontraproduktiv. Die synthetische Musik weicht dann einer Collage aus Redetexten von Politikern und Prominenten aller Couleur und aller Zeiten seit der Möglichkeit akustischer Speicherung. Eine politische Aussage ist aber wegen der fragmentarischen und geradezu beliebigen Auswahl berühmter Stimmen von vornherein unmöglich („Isch bin ein Berliner“, „Mr. Gorbatschov, tear down this wall“…..). Diese Collage ist nur als Wiedergabe ungeordneter Erinnerungen in den Köpfen der Protagonisten, vor allem von Chris, zu verstehen, lenkt aber vordergründig und kurzfristig von der Handlung ab zu den jeweils Sprechenden.

Wenn die „virtuelle“ Harey nach den langen Auseinandersetzungen mit Chris in einem kurzen Monolog vor dem Publikum so etwas wie eine Erklärung aus der Sicht einer Frau abgibt, wirkt das eher peinlich, weil hier vordergründig tatsächliche, „irdische“ Emanzipationsbestrebungen mit der Problematik virtueller, nur in der Einbildung vorhandener Vorgänge vermischt werden. Mehler dreht die (neuro)logisch und gedanklich hoch komplexen Überlegungen in Lems Roman kurzfristig in eine belehrende Ansprache ans Publikum, das sich nur denkt „Na ja….“.

Am Ende erscheint dann die Anfangsszene wieder, womit Mehler zeigen will, dass sich nichts geändert hat: der ewig unergründliche Ozean
von Solaris – „Gott“, das menschliche Wesen? – lässt sich nicht vom Menschen beherrschen und bleibt eine ewige Konstante. Die Archetypen Snaut und Sartorius werden ewig an diesem seltsame Wesen „Welt“ herumforschen und darüber ihren Verstand verlieren. Dieser szenische Einfall ist durchaus nachvollziehbar und rundet die Inszenierung sozusagen ab, ohne jedoch die großen Schwächen deswegen ausgleichen zu können.

Ein Kompliment sei aber den Darstellern ausgesprochen, die alle vier mit hohem Engagement und unter Aufbietung all ihrer darstellerischen und physischen Kräfte an dieser Inszenierung mit wirken. Eigentlich schade um diesen großen persönlichen Aufwand, der eine schlüssigere Botschaft verdient gehabt hätte.

Frank Raudszus

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