Der Titel dieser Ausstellung in der Kunsthalle Schirn spricht bereits für sich: „Nathalie Djurberg & Hans Berg. A Journey Trough Mud And Confusion With Small Glimpses Of Air“. Wenn man die Ausstellungsräume betritt, ist der erste Eindruck der einer bunten Vogelschar, die sich in verschiedensten Stellungen in einem ausgedehnten Areal auf dem Boden tummelt. Die Vögel sind nach echten Vorbildern in Lebensgröße aus Knetmasse geformt, jedoch mit einer ordentlichen Portion Phantasie, vor allem farblich, frei gestaltet. An den Wänden ringsum laufen Video-Animationen eben dieser Vögel – und anderer Tiere -, die auf den ersten Blick ebenfalls eher lustig anmuten. Man fragt sich fast, ob man in einer Ausstellung für Kinder gelandet ist.
Je länger man jedoch die Vogelmodelle betrachtet, desto stärker fallen ihre Posen und Körpersprache auf. Augen und Schnabel, also der „Gesichtsausdruck“, strahlen bestimmte Emotionen aus, wie man sie nur bei Menschen kennt. Angst, Wut und Bösartigkeit entdeckt man ebenso wie Hochmut, Arroganz oder Verachtung. Doch dabei spielt das Auge des Betrachters eine ebenso wichtige Rolle wie die Knetfiguren, denn der Ausdruck dieser „toten Tiere“ ist nicht vordergründig menschlich, das heißt platt, sondern eher hintergründig und entwickelt sich erst im Laufe der Betrachtung.
Die Videoclips verdeutlichen die Absichten der Künstlerin in einer kompromisslosen Weise. Denn hier sind die Tiere tatsächlich in quasi-menschliche Umgebungen und Situationen versetzt, in denen sie wie Menschen reagieren. Dabei wurden die Tiermodelle offensichtlich für eine Reihe „bewegter Bilder“ ständig in Haltung und Aussehen modifiziert und neu fotografiert, um damit, wie im klassischen Comic, eine Handlung darzustellen. Die Videoclips haben eine Länge von fünf bis zehn Minuten und beginnen dann von Neuem.
Die Inhalte lassen sich auf archetypisches menschliches Fehlverhalten reduzieren: Konsum, Sucht, Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern, Sex, Sadismus und Gleichgültigkeit. Dazu wird die Fauna erweitert um alle möglichen Landtiere, von der Maus (auf einem Motorrad) über den Fuchs (als Halbwelt-Dame) bis zum sinnlos mampfenden Krokodil. Im Hintergrund der Videoszenen erscheinen, wie Graffitis auf die Wände gesprüht, englische Sätze in losen Lettern, die Befindlichkeit, Gedanken und Motive der Knet-Kreaturen widerspiegeln.
Die angrenzenden Räume variieren die im „Empfangsraum“ vorgegebenen Themen. Da sitzen vier Tiere um einen verwahrlosten, abgegessenen Tisch und zeigen sich durch ihre Körperhaltung ihre gegenseitige Gleichgültigkeit und Abneigung. Eine zweite Konstellation anderer Tiere variiert diese Beziehungsleere mit anderen Elementen und Ausdrucksvarianten. In abgedunkelten Räumen laufen Videoclips, die verschiedene menschliche Anomalien und soziale Defekte thematisieren. Dabei stehen immer wieder die Sexualität sowie die damit zusammenhängende Unterdrückung und Diskriminierung der Frau im Mittelpunkt. Dabei scheuen die Künstler auch nicht vor plakativen Bildern zurück, etwa wenn sie eine schwarze Frau als Opfer sadistischer weißer Männer darstellt, die sich wie egozentrische Tänzer an der schwarzen Frau bedienen.
Auch größere Installationen sind Teil dieser Ausstellung, so die „Potato“, eine überdimensionale begehbare Kartoffel, in deren Innenraum Videoclips über sexuelle und andere Quälereien ablaufen. Spezielle Tafel weisen an verschiedenen Stellen drauf hin, dass die Videoclips Gewalt und (sexuelle) Quälereien beinhalten und daher für Kinder nicht geeignet sind. Auch zart besaitete Erwachsene sollten zumindest darauf vorbereitet sein.
In dem anderen Ende der Ausstellungsräume wandert der Besucher durch einen künstlichen Urwald exotischer Pflanzen in Menschengröße, die natürlich ebenfalls aus Knetmasse geformt sind, aber in allen Farben erstrahlen. Hier herrscht eine geradezu schwüle Dschungelatmosphäre, wobei die Pflanzen mit ihren schwellenden Formen eine untergründige Sexualität entwickeln. An der Rückwand läuft ein Videoclip mit drei geistlichen Würdenträgern in dunklen, langen Gewändern und mit knochigen, altersstarren Physiognomien. Unter den Soutanen kriechen von Zeit zu Zeit nackte Frauen hervor, die jedoch jedes Mal von den Greisen wieder eingefangen und unter die Soutanen geschoben werden. Der Gesichtsausdruck der alten Männer lässt dabei auf die Tätigkeit der Frauen unter der Soutane schließen.
Das Künstlerpaar Nathalie Djurberg und Hans Berg – beide Jahrgang 19778 – hat hier eine beklemmende Welt der menschlichen Ängste, Grausamkeiten und Triebkräfte geschaffen, die auf den ersten Blick harmlos aussieht, aber auf den zweiten und dritten Blick ein kompromissloses und kritisches Abbild der menschlichen Gesellschaft darstellt. Man kann sich dem beklemmenden Eindruck nicht entziehen und muss nach dem Besuch der Ausstellung draußen an der frischen Luft erst einmal kräftig durchatmen, um die von den Künstlern durchaus beabsichtigte Beklemmung abzuschütteln.
Die Ausstellung ist noch bis zum 26. Mai zu besichtigen. Näheres ist der Webseite der Schirn zu entnehmen.
Frank Raudszus
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