Das 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt führte ein „No Name“-Ensemble auf die Bühne des Kleinen Hauses. „No Name“ in dem Sinne, dass hier fünf Musiker zusammen musizierten, die keinem etablierten Ensemble mit eigenem Markenzeichen, sprich einem Namen, angehörten. Jede und jeder ist ein Meister des jeweiligen Instruments, hat sich bereits eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen erspielt und lehrt Musik an verschiedenen Hochschulen. Doch selbst der Umstand, dass der fest eingeplante Kontrabassist kurzfristig absagen musste, stellte dieses Ensemble nicht vor unlösbare Probleme: man fand in dem Rumänen Petru Iuga kurzfristig einen Bassisten, der die Position lückenlos ausfüllte.
Lena Neudauer lernte bereits mit drei Jahren Geige und bekleidet heute eine Professur. Ähnliches gilt für den Cellisten Danjulo Ishizaka und für den Bratschisten Wen Xiao Zheng. Die Pianistin Silke Avenhaus kann – wie auch die anderen Ensemblemitglieder – auf eine langjährige Spielpraxis mit renommierten Orchestern und Kammermusik-Ensembles verweisen und ist Honorarprofessorin. Alle Musiker sind unter oder um die vierzig, also noch jung.
An diesem Abend in Darmstadt spielten sie zwei bedeutende Kammermusikwerke des 19. Jahrhunderts: Robert Schumanns Klavierquartett op. 47 für Violine, Viola, Violoncello und Klavier sowie Franz Schuberts Klavierquintett (obige Besetzung plus Kontrabass) op. posthumus 114, das sogenannte „Forellenquintett“.
Schumanns Klavierquartett entstand etwa siebzehn Jahre nach Schuberts „Forellenquintett“, und doch vermittelt es musikalisch einen völlig anderen Eindruck. Die typische Liedstruktur der klassischen und auch Schuberts Kammermusik mit Haupt- und Nebenthema sowie einem längeren, zusammenhängenden Gefüge ist einer eher klanglichen Anordnung einzelner Motive gewichen. Ein durchgehendes Thema erscheint nicht mehr im Rahmen eines festen Schemas sondern wiederkehrend in verschiedenen Instrumenten und Konstellationen. Im Vordergrund steht der emotionale Ausdruck des jeweiligen Klanges. Das macht vor allem Schumanns Kammermusik zum unmittelbaren Spiegel seiner jeweiligen Gefühlslage. Man schaut durch seine Musik sozusagen in den Menschen Schumann hinein.
Der erste Satz beginnt extrem langsam und entwickelt sich dann zu einer lebhaften, konzertant-mehrstimmigen Form. Die expressiven Momente stehen dabei gegenüber einer durchgehenden melodischen Linie deutlich im Vordergrund. Das Scherzo des zweiten Satzes beginnt mit einem geradezu subkutanen „Gegrummel“ aller Instrumente, bis das Klavier das Hauptthema einführt. Trotz des lebhaften Duktus entwickelt dieser Satz einen fast abgründigen Charakter. Der dritte Satz – Andante – beginnt mit einem elegischen Thema des Cellos, das sich anschließend in verschiedenen Variationen durch alle Instrumente zieht. Hier fallen vor allem die transparente Strukturierung und das präzis abgestimmte Zusammenspiel der einzelnen Stimmen auf. Den Finalsatz eröffnet ein fanfarenhafter Auftakt, der dann in eine vorwärts drängende, fast atemlose Jagd aller Instrumente übergeht.
Die vier Musiker präsentierten dieses vielschichtige Werk mit ausgeprägter Akzentuierung und betonten dabei vor allem die expressiven Momente. Dabei wahrten sie jedoch nicht nur höchste Transparenz der einzelnen Stimmen, sondern tarierten vor allem auch das Gewicht der einzelnen Stimmen sorgfältig aus. Kein Instrument dominierte die anderen, und keines ging im Klangraum der Mehrstimmigkeit verloren.
Franz Schuberts „Forellenquintett“, benannt nach dem Liedmotiv der „lustigen Forelle“ im vierten Satz, ist eines der bekanntesten und beliebtesten Musikstücke überhaupt. Diese Beliebtheit verdankt es nicht zuletzt seinen weit ausgedehnten und eingängigen Melodielinien nicht nur in dem erwähnten vierten Satz. Die Besonderheit dieses Werks liegt einerseits in der Erweiterung um den Kontrabass, der die Bassführung des Violoncellos übernimmt und diesem dadurch thematische Gestaltungen ermöglicht; andererseits sprengt es mit seiner Fünfsätzigkeit den üblichen Rahmen des Streichquartetts. Diese Erweiterung ist wohl dem Wunsch des Widmungsträgers nach einer Einbeziehung des Forellenthemas zu verdanken.
Der erste Satz beginnt expressiv und stürmisch-heiter, trägt auch tänzerische Züge und ist von ausgreifender Länge – fast ein Drittel der Gesamtdauer. Man kann ihn durchaus als Paradebeispiel für Schuberts berühmten „himmlischen Längen“ nehmen. Den Musikern gelang es dabei auf beeindruckende Weise, die Spannung über die gesamte Länge des Satzes hoch zu halten und damit bereits den „Auftakt“ dieses Quintettes zu einem musikalischen Erlebnis werden zu lassen. Den langsamen zweiten Satz (Andante) nahmen die fünf Musiker mit viel Herz und Elan. Den langen emotionalen Bogen dieses Satzes würzten sie mit ausgeprägten Akzentuierungen und hoher interpretatorischer Intensität. Der dritte Satz, ein Scherzo, kam ausgesprochen energisch und doch leichtfüßig daher. Nie verlor dieses Scherzo an Heiterkeit. Das titelgebende Thema des vierten Satzes ging in verschiedensten Konstellationen durch alle Instrumente, wobei vor allem der kraftvoll-warme Vortrag des Violoncellos zum Tragen kam. Auch hier überwog der tänzerisch-luftige Charakter des Liedthemas. Der Finalsatz beginnt eher verhalten, steigert sich dann jedoch zu einem fülligen Allegro und entwickelt zeitweise fast sinfonischen Charakter. Ruhige, streckenweise lyrische Einschübe bereiten den Boden für die nächsten Steigerungen und verleihen dem Satz eine ganz eigene Kontur.
Das Ensemble brillierte auch bei diesem Werk mit der Konturierung der einzelnen Stimmen, die jedoch nie in Dominanz mündete und das wohl abgestimmte Zusammenspiel in den Mitte rückte. Dabei arbeiteten die Musiker die dynamischen Effekte und vor allem den heiteren Grundtenor dieses Werkes erfolgreich heraus. Diese Ensembleleistung mündete in eine geradezu bezwingende musikalische Interpretation eines „Klassikers“ des 19. Jahrhunderts, der dadurch aufregende und alle Aufmerksamkeit fesselnde Züge annahm. Solche Sternstunden der Kammermusik vergisst man so schnell nicht.
Das Publikum spendete derart begeisterten Beifall, dass die Musiker noch eine Zugabe spielten: ein modernes Stück, das Schuberts Forellenthema auf ganz eigene Weise im Stil einer unrund laufenden alten Schellackplatte verarbeitete. Auch hier war also zum Schluss wieder der Humor am Werk, und das Publikum dankte es den Musikern durch erneuten kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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