Frank Schulz: „Anmut und Feigheit“

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Frank Schulz ist Norddeutscher mit besonderem Bezug zum Großraum Hamburg. So spielen viele seiner Geschichten auch in dieser Region und mit eindeutig autobiographischem Hintergrund. Zentrale Geschichten befassen sich mit einem geisteswissenschaftlich gebildeten – studierten? – Mann Ende fünfzig, der nicht nur seine gesellschaftliche Umwelt bis ins letzte psychologische Detail beobachtet, sondern vor allem sich selbst ironisch hinterfragt. Dabei entlarvt er die Selbstironie – wiederum ironisch! – als eine höhere Stufe des Hochmuts, weil Selbstironie das selbstbeweihräuchernde Gefühl einer höheren Selbst- und damit Welterkenntnis vermittelt. Diese nächste Ebene der Selbstironie erleidet natürlich dasselbe Schicksal wie die vorherige.

Dieser latent unendlichen Schleife entgeht der Autor letztlich nur durch eine gehörige Portion bodenständigen Humors. Er begnügt sich mit der ersten Ebene der Selbstironie, durchaus um die anderen wissend, vermeidet jedoch den Sturz in die unendliche Rekursion der Selbsthinterfragung.

Gleich die erste Geschichte ist archetypisch für diesen Autor. Ein Mann Ende fünfzig mit kulturellem Bildungshintergrund trifft zufällig auf einen älteren Herrn in der typischen Senioren-Ausstattung – Stichwort „beige Weste mit vielen Taschen“ – und entwickelt an diesem Gegenüber spontan eine Typologie des Alters, wobei er sich fast sofort seines eigenen Distinktionsbedürfnisses bewusst wird. Er verheddert sich buchstäblich in dieser ironischen Selbstentlarvung und kann sich ihr letztlich nur durch spontanen Wechsel zu erotischen Assoziationen entziehen – einfach, weil diese stärker als alle intellektuellen Rekursionen sind.

In einer anderen Geschichte lässt er einen halbwegs gescheiterten, aber dennoch sich intellektuell allen anderen überlegen dünkenden Journalisten auf einen alten, durch einen Roman zu Erfolg gekommenen Bekannten treffen. Der Ruhm des Romanciers hätte ihm eigentlich zugestanden, doch die unglücklichen Umstände haben dies nicht zugelassen. So rächt er sich – natürlich ironisch! – mit seiner wesentlich jüngeren, blonden russischen Geliebten an den schnöden Opportunisten des kapitalistischen Literaturbetriebes und fühlt sich mit sich wieder eins – zumindest bis zur nächsten Krise.

In diesem Stil geht es weiter, wobei nostalgisch-ironische Rückblicke in die eigene Jugend, psychologische Horrorgeschichten über einsam Alternde oder schreckliche Urlaubsbekanntschaften das Bild auflockern. Nur eine Geschichte fällt vollständig aus dem Rahmen, weil sie jeder Ironie entbehrt und ungeschminkte Authentizität transportiert: der Tod der eigenen Mutter, dessen literarischer Kontext in Gestalt der auf ihre Initialien verkürzten Namen biographische Wahrhaftigkeit verbürgt. Hier schildert der Autor aus eigener Erfahrung die Wirkung des unvermuteten Todes des nächsten Menschen mit einer emotionalen Tiefe und Wucht, die er in allen anderen Geschichten hinter mehr oder minder feiner Ironie verbirgt.

Frank Schulz‘ Kurzgeschichten lohnen auf jeden Fall – trotz oder wegen des ironischen Grundrauschens – die Lektüre, denn die Beobachtungen seiner Mitmenschen sind derart treffend, dass man sich als Leser des Öfteren ertappt fühlt. Sein sicherer und der jeweiligen Szenerie stets fein angepasster Stil erhöht das Lesevergnügen noch.

Das Buch ist im Galiani-Verlag erschienen, umfasst 331 Seiten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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