Gustavos triumphale Himmelfahrt

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Vor fünfzehn Jahren stand Guiseppe Verdis Oper „Ein Maskenball“ zuletzt auf dem Darmstädter Opernprogramm, damals in der Ursprungsfassung „Gustavo III.“ Die damaligen Anmerkungen des Rezensenten vor allem zum Libretto treffen zwar noch immer zu, doch Valentin Schwarz, der Regisseur der Neu-Inszenierung, hat diesem Werk neues Leben eingehaucht, wobei emotionales Pathos eine der überzeugendsten Eigenschaften ist.

Ensemble

Dabei stand die Premiere auf Messers Schneide, als nacheinander beide Tenöre für die Rolle des Gustavo krankheitsbedingt ausfielen. Die Nerven der Theaterleitung müssen aus Drahtseil sein, denn den Ersatz aus Italien – Leonardo Caimi – fand man erst (wahrscheinlich über das Internet) am Donnerstag vor der samstäglichen Premiere. Doch Leonardo Caimi erwies sich als Volltreffer: nicht nur stimmlich überzeugte er ohne Abstriche, sondern er integrierte sich in das Ensemble, als hätten sie sechs Wochen intensiv zusammen geprobt.

Soviel vorweg. Valentin Schwarz setzt bei seiner Inszenierung ganz auf den Konflikt zwischen einer rigid-puritanischen Gesellschaft, die Begriffe wie Ehre und Moral als eherne Pfeiler betrachtet, und einem lebensfrohen Hedonisten, der zwar nicht diversen Lastern, aber der sinnlich-emotionalen Selbstverwirklichung den Vorzug gibt. Bereits in den ersten Szenen präsentiert sich Gustavo, König von Schweden, als sympathischer Charmeur, der den leichten Witz genauso liebt wie die schönen Frauen. Seine – noch unerfüllte – Liebe zu Amelia, der Frau seines besten Freundes Renato, betrachtet er als ein emotionales Recht, das alle moralischen Grenzen überschreitet. Die Konsequenzen, vor allem in dieser Gesellschaft, durchdenkt er dabei gemäß seinem Naturell nicht. Erst später wird er sich angesichts Amelias schwerer Gewissensbisse besinnen, Verzicht üben und alles unternehmen, um einen eventuellen Rufschaden von Renato fernzuhalten. Doch dazu ist es schon zu spät.

Leonardo Caimi (Gustavo), Cathrin Lange (Oscar) und Sergio Vitale (Renato)

Die dramatische Dreiecksgeschichte kleidet Regisseur Schwarz in ein leicht aktualisiertes Gewand. So lässt er in der ersten Szene heutige Touristen die Büste Gustav III. umschwirren, während dazu die „Sinfonia funèbre“ – ein Trauermarsch anlässlich Gustavs Tod – des Hofkomponisten Martin Kraus erklingt. Später wird Schwarz den finalen Maskenball durch ein heutiges Familienfest mit Kindern in Badekleidung, Luftballons und Biergartenatmosphäre ersetzen. Beiden Aktualisierungen fehlt jedoch eine zwingende Begründung. Weder lässt sich weit und breit ein gemeuchelter – guter! -Herrscher als Analogie finden, da selbst Angela Merkel nicht einmal metaphorisch vom Thron vom Thron gestoßen wurde, noch wirkt das Familienfest in irgendeiner Weise logisch. Es wirkt eher etwas grotesk, wenn drei Männer in der Kleidung des späten 18. Jahrhunderts und mit Masken auf diesem Gartenfest erscheinen. Verwechslungen sind da wohl kaum möglich, und so wirkt die Suche der verschwörer nach Gustavo ein wenig lächerlich.

Aber das tut der Wirkung dieser Inszenierung letztlich keinen Abbruch. Regie und Ensemble arbeiten die emotionale Seite dieser Geschichte mit einer solchen Konsequenz und Qualität heraus, dass diese aus sich selbst trotz der Schwächen des Librettos eine durchdringende Glaubwürdigkeit entwickelt. Dazu hat Bühnenbildner Andrea Cozzi ein Bühnenbild geschaffen, dass konsequent eine rigide Moralgesellschaft verkörpert. Ein hohes, entfernt an gotische Kathedralen erinnerndes Stahlgerüst dominiert die Bühne. Die fahle, grau-grüne Farbgebung verströmt eine freudlos-asketische Atmosphäre, die nur selten durch Lichterbögen aufgelockert wird. Auch wenn sich diese Kathedrale dreht, um eine andere Szenerie zu zeigen, bleibt das strenge, düstere Ambiente erhalten. Diese Grundhaltung gilt für alle Bühnen und alle möglichen Situationen, lautet  die Botschaft; ein Entrinnen ist nicht möglich. In dieser Szenerie lässt Valentin Schwarz die Darsteller in historischen Kostümen des späten 18. Jahrhunderts spielen, ohne dass die Inszenierung deswegen zu einem Ausstattungsstück gerät.

v.l.n.r.: Cathrin Lange, Keri Alkema (Amelia) und Sergio Alkema

Diese Gefahr bannt er durch eine straffe Regie, die den Handlungsbogen permanent gespannt hält und keine Längen entstehen lässt. Die Antipoden charakterisiert er von Anfang zwar als Gegensätze, jedoch nie als Klischees. Gustavo ist der dem Leben zugewandte Herrscher, der mit dem strengen Puritanismus nichts anfangen kann, am Ende aber ohne falsches Pathos oder gar Rührseligkeit die Gefahr erkennt, die er durch seine Liebe zu einer verheirateten Frau heraufbeschwört. Renato, sein bester Freund und nichtsahnender Rivale, ist bis zur Entdeckung der heimlichen Liaison ein stand- und prinzipienfester Freund. Doch der – vermeintliche? – Betrug durch den eigenen Freund lässt seine Welt zusammenbrechen und fordert blutige Rache. Amelia ist eine glaubensfeste und verantwortungsvolle Person, die sich jedoch den eigenen Emotionen nicht entziehen kann. Die Gewissensqualen angesichts des Konflikts zwischen ehelichem Pflichtgefühl und persönlicher Neigung kommen sowohl dramaturgisch als auch darstellerisch überzeugende zum Ausdruck.

Auch der Humor kommt hier nicht zu kurz. Die letzte Szene spielt vor einem lebensgroßen Denkmal Gustavs auf einem hohen Sockel. In dem Augenblick, als Gustavo  nach dem Attentat seine Seele aushaucht, entschwebt das Denkmal in die Höhe. Gustavos Himmelfahrt – „ist gerettet“. Die eigentliche Todesarie, die sich – wie in vielen Opern  – auch hier über Minuten hinzieht, trägt Leonardo Caimi als Geist des Gustavo mit fahl angestrahltem Anzug vor. Während Attentäter und Zuschauer in Schockstarre auf den virtuell dahingestreckten Körper des Sterbenden blicken, bewegt sich dessen Geist unerkannt durch die Menge und singt seine letzten, verzeihenden Worte.

Keri Alkema, Sergio Vitale, Ensemble

Der Erfolg dieser Inszenierung ist vor allem auf die großartigen Leistungen aller Beteiligten zurückzuführen. An erster Stelle ist der kurzfristig eingesprungene Leonardo Caimi zu nennen, der von Anfang an wie ein langjähriges Mitglied des Ensembles wirkt und seine Rolle mehr als ausfüllt. Stimmlich über jeden Zweifel erhaben, überzeugt er vor allem als Darsteller des Gustavo, indem er dieser Rolle Esprit, Lebensfreude und letztlich auch Ernsthaftigkeit verleiht. Durch sein Spiel gewinnt diese Figur wahre Größe. Das mindert jedoch die Leistung der anderen Darsteller in keiner Weise. Keri Alkema beschränkt sich als Amelia nicht auf schöne Arien, sondern verkörpert überzeugend die schwierige Rolle der Frau, die sich seit jeher einerseits über Gefühle definiert, diese aber nie frei ausleben darf. Sie beugt sich zwar dem patriarchalischen System bis an den Rand des Todes, behält dabei jedoch ihre Würde. Keri Alkema bringt diesen inneren Konflikt sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugend zum Ausdruck. Sergio Vitale verleiht dem Renato Ankerström einerseits den Ernst einer staatstragenden Figur, lässt aber andererseits die schwere Erschütterung angesichts der Zerstörung seines moralischen Bezugsystems erkennen. Seine Bühnenpräsenz sorgt für das nötige Gleichgewicht in diesem prekären Dreiecksverhältnis.

Die Spielfreude und Qualität dieser drei Hauptfiguren wirkt sich entsprechend auf die anderen Mitglieder des Ensembles aus. Da ist vor allem Cathrin Lange als Page Oscar zu nennen. Sie verleiht dieser Figur nicht nur Witz und Temperament, sondern in entscheidenden Momenten auch Angst, Sorgen und Hilflosigkeit. Dieser Page hängt an seinem Herrn, ahnt die Gefahr, verfügt aber letztlich nicht über die Macht, das Unglück zu verhindern.

Großartig auch Katrin Gerstenberger als Wahrsagerin Ulrica. Geradezu gespenstisch singt sie aus ihrem Korb, in dem die Richter die als Hexe Beschuldigte öffentlich in die Höhe gezogen haben. Ein verzweifelter Fatalismus spricht aus den Worten dieser gequälten Frau, die über die unglückselige Gabe der Prophezeiung verfügt. Die düsteren Vorhersagen verfehlen ihre Wirkung auf die anderen Figuren nicht, und auch das Publikum kann sich dem düsteren Eindruck der Szene kaum entziehen. Szenenapplaus!

David Pichlmaier gibt einen pointiert auftretenden Cristiano, Georg Feistl und Johannes Seokhoon Moon spielen die beiden Verschwörer mit wohltuend knappem Aufwand und degradieren sie nicht zu bloßen Schurken. In weiteren Rollen treten Jaroslaw Kwasniewski (Richter) sowie Andreas Donner, Myong-Yong Eom und John Dake auf.

Der Chor agiert in dieser Inszenierung auf Augenhöhe mit dem Ensemble. In vielfältig strukturierten Auftritten gilt es, stimmliche und darstellerische Präsenz zu zeigen, und die Mitglieder des Chores bewältigen diese anspruchsvolle Aufgabe mit hoher Beweglichkeit, nie nachlassender Konzentration und eindrucksvollen stimmlichen Leistungen. 

Ein maßgeblicher Anteil des Erfolgs gebührt dem Orchester, das der neue GMD Daniel Cohen in dieser Aufführung zu Höchstleistungen motiviert. Das Ensemble präsentiert Verdis Musik nicht nur mit der gewohnten Präzision, sondern vor allem mit einer ausgeprägten Spielfreude, die sich zu emotionalem Pathos in bestem Sinne entwickelt. Jede Aufwallung von Emotionen, sei es Lebensfreude, Liebe, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, hat ihren Ursprung in einer unverfälschten musikalischen Klangwirkung, die jederzeit echt und nie sentimental wirkt. An dieser Musik kann man erkennen, dass Emotionen stets als authentisch aufgefasst werden, wenn sie rückhaltlos und aus ganzem musikalischem Herzen präsentiert werden. 

Das Publikum erkannte die Leistung des Ensembles bereits durch kräftigen Szenenapplaus an und erzwang am Schluss sogar durch „stehende Ovationen“ eine weitere Öffnung des Vorhangs, hinter dem sich die Darsteller bereits in den Armen lagen. Zu Recht!

Frank Raudszus

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