Im Gegensatz zu so manchem Roman bietet sich Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ wegen ihrer fokussierten und konsequent auf die Katastrophe zusteuernden Handlung geradezu für eine Bühnenbearbeitung an. Der Weg eines honorigen Weltmannes zum Wüterich ergibt sich nahezu zwangsläufig aus einem schamlosen Betrug sowie der Verschleppung und anschließenden Niederschlagung der berechtigten Klage. Doch erst der Tod seiner Frau nach einer schweren Misshandlung seitens der Betrüger lässt ihn auf der Suche nach seinem Recht zum plündernden und brandschatzenden Rebellen werden.
Kleist hat diese Novelle nicht als empörter Rebell oder als Ankläger gegen alle Arten der Selbstjustiz verfasst. Er berichtet lediglich mit literarischen Mitteln über einen exemplarischen Fall. Doch die Eindringlichkeit der Darstellung spricht für sich. Der Betrug ist skandalös und die anschließenden politischen Intrigen bis in die höchsten Kreise sind noch viel skandalöser. Man kann hier durchaus eine bewusste Anspielung an das französische „Ancien Régime“ und die anschließenden Französische Revolution sehen, die im politisch zersplitterten Deutschland so nicht möglich gewesen wäre. Auch die Analogie zu Hiob ist unübersehbar, wobei Kleist jedoch nicht – wie die Bibel – den unerschütterlichen Glauben sondern – zumindest implizit – die Gerechtigkeit einfordert. Nicht blinde Rache treibt Kleists Kohlhaas an, sondern ein tief sitzender Glaube an Wiederherstellbarkeit des Rechts. Wenn eine Lehre aus dieser Novelle zu ziehen ist, dann die, dass ein Staat, der Gerechtigkeit oder zumindest Recht nicht garantieren kann, das Vertrauen seiner Bürger verliert. Der Rest ist Anarchie.
Das „Grabbe-Haus“ in Detmold ist ein altes Steingewölbe mit etwa fünfzig Zuschauerplätzen und einer sehr knapp bemessenen Bühne. Die erste Reihe sitzt quasi auf der Bühne und wird auch gerne entsprechend in das Spiel integriert. Bühnenbildner Franz Dittrich hat auf der schmalen Bühne ein mit Brettern vernageltes Podest errichtet, das wahlweise als Burg des Junkers von Tronka oder als Gefängnis dient. Die Handlung spielt sich vor und hinter diesem Podest ab, wobei die Szenen im Hintergrund per Handkamera auf die Vorderseite projiziert werden.
Die Regisseurin Konstanze Kappenstein lässt die Figuren von Beginn an durch die vier Darsteller laufen: Anton Becker, André Lassen, Alexandra Riemann und Adrian Thomser spielen nicht nur jeweils mehrere Rollen sondern vor allem alle den Michael Kohlhaas. Ein grüner Mantel mit Pelzbesatz markiert die Hauptfigur und wird entsprechend von Szene zu Szene weitergereicht. Diese changierende Darstellung des Protagonisten soll offensichtlich die positive oder negative Rezeption eines einzelnen Individuums „Kohlhaas“ verhindern. Kohlhaas ist nicht eine historische Figur, über deren Handlungsweise man streiten kann, sondern Kohlhaas steckt in jedem von uns, nur die Schwelle des Umschlagens ist unterschiedlich hoch. Dabei zeigt Konstanze Kappenstein in dieser Inszenierung keinerlei Präferenz für oder gegen die Selbstjustiz. Diese Entscheidung überlässt sie dem Publikum, wobei sie die Handlung durchaus drastisch zeigt. Vor allem der Tod seiner Frau durch die Hände der Betrüger spielt sich vor aller Augen mit viel Theaterblut ab. Die Regie fordert die Identifikation der Zuschauer mit Kohlhaas geradezu heraus, stellt den Zuschauern sozusagen eine Rezeptionsfalle. Man kann sich diesem Identifikationsreflex nur durch bewusste Reflexion entziehen. Quod erat demonstrandum!
Auch andere Regieeinfälle verdichten diese Inszenierung. Nach der Einreichung der Klage bei dem Dresdner Gericht bleibt die Bühne geschlagene fünf Minuten leer – eine wahrhaft lange Zeit im Theater. Erst dann kommt Kohlhaas – man erkennt ihn am Mantel – langsamen Schrittes auf die Bühne, stellt sich vor eine Zuschauerin und stellt mit fast versagender Stimme fest, dass es doch sehr lange dauere. In dieser Situation vermischt sich die fragende Ungeduld des Publikums mit dem endlosen Warten des Klagenden auf eine Antwort.
Wenn Kohlhaas dann – nach dem blutigen Tod seiner Frau – zur rebellischen Tat schreitet, zerschlägt er mit seinen Knechten das Bretterpodest und lässt säckeweise Papierschnitzel als metaphorische Asche ins Publikum flattern. Das Innere des Bretterpodests wird von der eingeäscherten Burg des Betrügers zu Kohlhaas´ kalter Behausung. Gleißendes Neonlicht stellt ihn einerseits an den Pranger und zeigt durch seine Kälte die Isolation des ehemals in der Gemeinschaft geborgenen Bürgers. Da kann und will auch Martin Luther nicht mehr helfen. Während Kohlhaas – gegen freies Geleit! – in dem kalten Podest der Isolation auf den Prozess gegen den betrügerischen Junker in Dresden weilt, nageln die Mitspieler es Brett für Brett wieder zu und verwandeln es erst in ein Gefängnis, dann in ein Schaffott. Der Rest ist Schweigen.
Das Landestheater hat hier eine sehr dichte Bühnenversion der Kleistschen Novelle inszeniert und die entscheidenden, durchaus ambivalenten Aspekte scharf herausgearbeitet. Die vier Darsteller agieren mit viel Engagement und der bei diesem Stück notwendigen Kompromisslosigkeit.
Frank Raudszus
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