Laut Wikipedia ist Mozarts „Zauberflöte“ die – zumindest in Deutschland – meistgespielte Oper. Man darf annehmen, das dies keine aktuelle Momentaufnahme ist sondern für lange Zeiträume gilt. Das kann sich – man denke nur an Beethovens „Fünfte“ – auch ermüdend auf Rezeption wie Gestaltungswillen auswirken, frei nach dem Motto „Die Leute lieben diese Oper auch im Alltagskleid“. Beim Staatstheater Darmstadt waren sich Intendant Karsten Wiegand und Co-Regisseur Dirk Schmeding dieser Gefahr durchaus bewusst und sannen darüber nach, wie man diesem Dauerbrenner neues Leben einhauchen könne, ohne ihn durch platte Aktualisierungen oder inhaltliche Änderungen zu verzerren. Dabei haben sie ausgesprochen gute Ideen entwickelt.
Wenn das Licht erlischt, strömt der Kinderchor des Staatstheaters in den Zuschauerraum und postiert sich vor dem Orchestergraben, der durch eine etwas höhere Anordnung als üblich einen guten Einblick aus dem Parkett erlaubt. Die Kinder drehen sich zum Orchester und beginnen, gemeinsam eine rudimentäre Form der Ouvertüre zu dirigieren, die – gelinde gesagt – eher ungewöhnlich klingt. Abbruch, Umdrehen und Ansprache des Publikums. Frisch, fromm, fröhlich, frei befragen die Kinder die Zuschauer über deren ersten Eindrücke und Erwartungen und lassen sie sogar zur Probe klatschen, bevor sie das Dirigentenpult großzügig Rubén Dubrovsky überlassen, um nun die Ouvertüre noch einmal professionell zu präsentieren.
Doch dieser Auftritt des Kinderchors ist kein „Gag“ zum Beginn, sondern zieht sich durch die gesamte Aufführung. Die Kinder ersetzen die drei Knaben und verleihen deren Gesang damit Fülle; sie stellen Papagenos Vögel dar und sind stets da, wenn es einem der Protagonisten schlecht geht oder er/sie anderweitig Unterstützung benötigt. Außerdem sorgen sie für das jeweils passende Bühnenbild, denn dieses ist nicht real aus Stoff und Stahl gestaltet, sondern kommt virtuell in Gestalt von Bildern auf einer übergroßen Leinwand auf der Bühnenrückwand daher. Dort erscheinen dann Landschaften, Himmelsgewölbe, das „wunderschöne Bild“ der – leider abgewandten – Pamina oder Tamino und Pamina im Feuer- und Wassertest. Bis zum Schluss ist der Kinderchor in diese Inszenierung intensiv integriert.
Doch das ist nicht die einzige Idee, mit dem das Regie-Duo seine Inszenierung anreichert. Die Tatsache, dass die Darsteller von Tamino (David Lee) und Sarastro (Johannes Seokhoon Moon) beide Südkoreaner sind, haben Wiegand und Schmeding kreativ genutzt. Da es in der „Zauberflöte“ auch viel um Fremdheit geht – Tamino, Pamina und Papageno finden sich in der völlig fremden, unheimlichen Welt des freimaurerischen Sarastro wieder -, kann man diese auch durch fremde Laute ausdrücken. So tragen denn die beiden Asiaten ihre Texte in ihrer Muttersprache vor und beschränken die deutsche Sprache auf die Arien. Da die Zuschauer bei dieser Oper aus nahe liegenden Gründen sowieso kein großes Textverständnis aufbringen müssen, stört das die Rezeption auch in keiner Weise.
Das ändert sich jedoch im zweiten Teil, wenn zu Beginn der Tempelrat unter Sarastro über die Zulassung der drei Kandidaten zur großen Prüfung berät. Die lange südkoreanische Rede Sarastros fasst sein Sprecher (Georg Festl) mit trockener Ironie in einem kurzen Satz zusammen. Allerdings überzieht die Regie diese Szene, die in einmaliger Ausführung gereicht hätte. So jedoch hebt Sarastro drei Mal zu einer längeren Rede an, und der Zuschauer weiß, dass daraus wieder nur ein kurzer Satz wird. So kann man eine gute Idee totreiten. Zwangsläufig kommen in dieser Szene Längen auf, zumal sie sich weitgehend musikfrei abspielt. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Doch in dieser Szene hat die Regie auch andere Ideen eingebracht. Da die Ratsmitglieder durchaus nicht mit Sarastro übereinstimmen (was hat er wohl gesagt??), muss Georg Festl erst einmal rund um den Tisch von Ohr zu Ohr gehen und die jeweils passenden Worte flüstern, bevor sich die Hände zur zögernden Zustimmung heben. Eine ironische Karikatur politischer Usancen.
An der Handlung hat die Regie so gut wie nichts geändert, vor allem sie nicht an aktuelle politische Ereignisse angepasst. Weder kommt Sarastro mit goldgelbem Toupet daher (die Läuterung wäre ja auch schiere Hoffung) noch die Königin der Nacht als Dame mit Raute oder einem „Ätschi!“. Auch die Kostüme halten sich in einem zeitlosen Rahmen, abgesehen von den Tempelmitgliedern, die bei der großen Abstimmung im gravitätischen Rokokko-Kostümen und mit silbernen Perücken auftreten, und später in goldenen Mönchsgewändern. Nebenbei müssen sie auch noch singen, denn es ist der Chor, der diese Menschenansammlungen bildet. Papageno trägt verbeulte Arbeitskleidung, die von oben bis unten mit Vogeldreck beschmiert ist. Der Vogelfänger ist er ja……
Doch einen weiteren „Gag“ konnte sich die Regie nicht verkneifen. Papagena tritt in doppelter Gestalt auf: zuerst als reife, gerundete Frau im weiten Reifrock (Elisabeth Hornung) und erst ganz zum Schluss als junges, quicklebendiges Mädchen (Aki Hashimoto). Papageno ist natürlich nicht besonders begeistert, als ihm erstere auf der Bank zu nahe rückt, und erst unmittelbar vor dem Duo Papageno-Papagena springt Aki Hashimoto unter dem breiten Reifrock hervor. Dieses Verwirrspiel ist wohl als eine Art Strafe für den ewig quasselnden Papageno zu verstehen, auf die Sarastros Truppe nicht gekommen war. Da musste halt die Regie einspringen. Dass Elisabeth Hornung die gereifte Papagena in tiefstem Alt nahe am Tenor singt, ist eine weitere Petitesse dieses Einfalls. Auch die Königin der Nacht (Rebekka Maeder) durchläuft in dieser Inszenierung eine Wandlung. Ist sie in ihrem ersten Auftritt noch „Grande Dame“ mit hoher Haltung und Glamour-Effekt, schleicht sie zu der berühmten Rache-Arie als alte Frau am Krückstock und mit wirrem, weißem Haar auf die Bühne. Sic transit gloria mundi!
Darstellerisch und auch stimmlich überzeugen vor allem Julian Orlishausen als Papageno und Jana Baumeister als Pamina. Rebekka Maeder läuft in der Rache-Arie zu großer stimmlicher Form auf, während sich David Lee streckenweise vom Orchester überdecken lässt. Das gilt auch für Johannes Seokhoon Moon, dessen Bass seinem schon statisch-gravitätisch gespielten Sarastro nicht immer die richtige Fülle verleiht. Zusätzliches Leben bringen die drei Damen (Katharina Persicke, Katrin Gerstenberger, Anja Bildstein) auf die Bühne, die im Outfit von Afrika-Forschern mit Khaki-Uniformen und Stiefeln durch die virtuellen Eindöden stapfen und sich gegenseitig den schönen Prinzen nicht gönnen.
Das Orchester unter Rubén Dubrovsky glänzt durch präzises und aufmerksames Spiel, lässt den Sängern auf der Bühne meistens den nötigen akustischen Freiraum und setzt die dynamischen Akzente an den richtigen Stellen. Vor allem das enge Zusammenspiel mit der Bühne – Zauberflöte, Papagnos Pfeife – klappt hervorragend, so dass man fast glauben könnte, Pamino erzeuge die schönen Töne tatsächlich auf dem alten Ast der „Zauberflöte“.
Das Premierenpublikum war begeistert und zeigte dies mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Stephan Ernst
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