Bei der mittlerweile fest etablierten „Ladies Night“ des Rheingau Musik Festivals auf Schloss Vollrads präsentieren stets zwei Sängerinnen aus dem Bereich Jazz/Soul/Blues ihr jeweils aktuelles Programm. Dabei treten überwiegend farbige Sängerinnen auf, da deren Stimmen erfahrungsgemäß die ihrer weißen Kolleginnen deutlich übertreffen. Das war auch in diesem Sommer mit der Französin Awa Ly und der US-Amerikanerin Ruthie Foster der Fall. Dabei stellt die erstere noch einen Sonderfall dar, der ein Paradebeispiel für die weltweite Migration darstellt. Awa Ly hat senegalische Wurzeln, wurde aber in Paris geboren und wuchs dort auf. Anschließend studierte sie in den USA – das erkennt man an ihrem fließenden Amerikanisch (nicht Englisch!) – und lebt seit Jahren in Rom. Obwohl afrikanischen Ursprungs, ist sie eine waschechte Europäerin – oder gar Kosmopolitin.
Sie bestritt dann auch den ersten Teil des Abends, der in gewissem Sinn stets das „Vorprogramm“ zum zweiten Teil darstellt. Das schlägt sich auch in den Biographien der beiden Sängerinnen wieder. Die noch junge Awa Ly hat zwar bereits sechs Alben veröffentlicht, aber im Gegensatz zu ihrer Kollegin Ruthie Foster noch keine größeren Preise gewonnen. Das kann – und wird aber noch kommen, denn sie verfügt über eine in allen Lagen kräftige Stimme mit rauchigem Einschlag sowie über ein ausgeprägtes „Entertainer“-Talent. Sie trägt nicht nur Songs vor, sondern bettet sie in eine eigene Moderation ein, die einem professionellen Conferencier Ehre machen würde. Das reicht bis in die Texte der Songs hinein, die meist eine Geschichte erzählen und sich auf der Grenze zwischen Lied und Sprechgesang bewegen. Diese Songs gehen dann fast nahtlos in die Moderation über – und zurück, so dass der gesamte Auftritt von Awa Ly ein wenig wie eine Botschaft an das Publikum wirkt.
Der Abend begann mit einem verhaltenen Trommelsolo in abwechselndem 5/4- und 3/4-Takt, das sofort eine exotische Atmosphäre verbreitete. Mit Awa Lys Einsatz gewann jedoch eine durchgehende Metrik die Oberhand, die für die „erzählten“ Songs einfacher einzuhalten ist. Dennoch blieb der Rhythmus das zentrale Element dieser Musik, die auf eine ausgeprägte Melodik verzichtet. Bei dem folgenden „Latin“-Stück sah man zum ersten Mal die Gestik von Awa Ly, deren Arme zum zweiten wichtigen Organ neben ihrer Stimme werden und den Vortrag mit weit ausholenden oder gezielten Bewegungen untermalen. Das dritte Stück wechselte nach einem Break von einem eher US-Pop-Stil zu einem markanten Reggae, bei dem auch der Gitarrist zu einem ausgedehnten Solo kam. Der vierte Song – „You will be mine“ – trug fast schon RAP-Züge, wirkte ein wenig wie eine Rede an das Publikum und beinhaltete dabei auch noch die Vorstellung der Band. Ein ausgedehntes Trommelsolo verlieh diesem Stück die musikalischen Höhepunkte.
Danach nutzte Awa Ly die Gunst der (Publikums-)Stunde, um angesichts der Ereignisse auf dem Mittelmeer an die „Humanity“ zu appellieren. Das wirkte jedoch angesichts eines hohen Pathos-Anteils und der situationsbedingten Folgenlosigkeit – keine Diskussion! – ein wenig aufgesetzt, und man wurde den Verdacht nicht los, dass die Sängerin die Situation (auch) für ihre Eigenvermarktung nutzte. Es folgte ein italienisches Lied – offensichtlich auch kritischen Inhalts aber unverständlich -, das noch ein intensives musikalisches Zwiegespräch mit dem Gitarristen enthielt.
Das Grundproblem bei Awa Lys Auftritt bestand darin, dass alle Texte sich durchaus kritisch mit gesellschaftlichen Zuständen – etwa Beziehungsproblemen oder Rassismus – beschäftigten, man aber aus musikalischen und sprachlichen Gründen nur einen Bruchteil davon verstand. So blieb der rein musikalische Eindruck, der jedoch oft hinter der erzählten (und nur rudimentär verstandenen) Geschichte zurückblieb. Man merkte das auch an dem freundlichen aber verhaltenen Beifall des Publikums. Da konnte auch der Versuch, das Publikum zum Mitsingen von so eingängigen Refrains wie „Let me, let me ….. love you“ aufzufordern, nur bescheidene Erfolge erzielen. Ein Publikum lässt sich erfahrungsgemäß nur dann zum Mitsingen motivieren, wenn es sich um eingängige UND bekannte Refrains handelt, die bei den Zuhörern sofort privat-emotionale Assoziationen auslösen. Das ist bei neuen Liedern fast nie der Fall.
Da kam die Texanerin Ruthie Foster von Anbeginn mit einem ganz anderen Konzept auf die Bühne. Die Sängerin und Gitarristen vertraute voll auf die musikalische Wirkung der Songs und ihrer Stimme. Auch sie ist verbal nicht auf den Mund gefallen und würzte ihren Auftritt mit vielen spontanen Anmerkungen, so etwa über die „chair dancers“, die in den hinteren Stuhlreihen kräftig mitwippten, doch ansonsten konzentrierte sie sich voll auf den musikalischen Part. Und da hat sie sowohl stimmlich als auch als Gitarristin einiges zu bieten. Ihre Stimme ist metallischer und noch präsenter als die ihrer eher weich singenden Vorgängerin, und das passte auch zu den Blues-, Soul- und Gospel-Songs aus ihrer südstaatlichen Heimat.
Es begann mit „Music in the Air“, einer Eigenkomposition, die nichts gemeinsam hatte mit dem anderen bekannten Stück desselben Titels und als langsamer Rock daherkam, dann folgten in schnellem Wechsel verschiedene Songs aus den Bereichen Blues, Soul und Reggae. Dazu gehörten „Sweet Baby“ oder auch „Singing the Blues“, das aber nichts mit dem gleichnamigen Schlager von Guy Mitchell aus den Sechzigern zu tun hatte. Der Titel „The Getto“ von Mavis Staples erinnerte spontan an Elvis Presley, jedoch nicht die Musik. Ähnliches galt für „The Ring of Fire“, das Ruthie Foster explizit als ihre Version von Johnny Cashs Original vorstellte. Doch auch hier kam deutlich zum Ausdruck: ihr geht es nicht um eingängige Melodien mit hohem Wiedererkennungseffekt für den Massenmarkt, sondern um den musikalischen Ausdruck der einzelnen Phrase und die individuelle Interpretation des Inhalts.
Es folgte mit dem „Mississippi Blues“ ein melancholischer 16-taktiger Blues mit ausgeprägt südstaatlichem Einschlag und eine Eigenkomposition mit dem Titel „Travelling Shoes“, die Ruthie Foster zu einer ganzen Reihe von eingestreuten Bemerkungen nutzte. Gegen Ende brach sie ihr Konzept des konzentrierten Vortrags von Standard-Nummern auf und ging mehr zu einem „Entertainer“-Stil über, bei dem sie Moderation, Publikumsansprache und Gesang kräftig mischte. Diese ausgefeilte Strategie führte prompt zu spontanen Publikumsreaktionen, die dem Abend einem kalkulierten Höhepunkt entgegenführten. Zusätzliche, ausgedehnte Soli von Bass und Schlagzeug taten ein Übriges für die musikalische Aufheizung der Zuhörer – schließlich war es gegen Abend ein wenig kühler geworden.
Frank Raudszus
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