Ein „Reiseführer“ durch Nordkorea wird vielen Lesern von vornherein als paradox, wenn nicht absurd erscheinen, ist dieses Land doch weithin als totalitär und isoliert bekannt. Aus der Perspektive von Touristen erfährt man meist Geschichten langjähriger Haftstrafen wegen lächerlicher Vergehen. Das Verhalten Kim Jong-Uns tut ein Weiteres, um die allgemeine und speziell die touristische Skepsis gegenüber diesem Lande zu rechtfertigen.
Das ist auch dem Autor bekannt, und das letzte, was er mit dem Buch bezweckt, ist ein Reiseführer im üblichen Sinne, der einem frei umher Reisenden Tipps für den touristischen Alltag vermittelt. Doch ein Reiseführer ist es dennoch, denn es gibt tatsächlich einen – wenn auch noch sehr dünnen – touristischen Strom in dieses Land. Rüdiger Frank, der das Land zum ersten Mal zu DDR-Zeiten bereiste und dort sogar eine Zeit lang studierte, kennt nicht nur das Land in all seinen widersprüchlichen Details, er ist auch selbst als Reiseleiter für verschiedenste Gruppenreisen tätig.
Das unter den internationalen Sanktionen schwer leidende Nordkorea braucht dringend Devisen, und der Tourismus ist eine der wenigen Geldquellen, die dem Land verblieben sind. Mit einiger treuherziger Naivität oder gar Dreistigkeit scheinen die Verantwortlichen zu glauben, mit einem streng regulierten und überwachten Tourismus finanziellen Erfolg erzielen zu können. Rüdiger Frank sieht dieses Bemühen zwar mit ironischer Skepsis und ist durchaus kein blauäuiger Anhänger dieses Staates und seines seltsamen Führers, er kann aber eine gewisse Achtung und auch Neigung gegenüber dem spröden Land und seinen schwer geprüften Bewohnern nicht verhehlen. Doch er verzichtet auf jegliche Schönfärberei und lässt diese stille Sympathie nur zwischen den Zeilen durchschimmern.
Da man als westlicher Interessent ohne größere Schwierigkeiten eine Reise durch Nordkorea buchen kann, ist ein Reiseführer durchaus angebracht, wenn nicht sogar besonders vonnöten. Der Autor ist sich dessen bewusst und hat dieses Buch deswegen weitgehend an die übliche Struktur eines Reiseführers angelehnt. Man erfährt viel über Sehenswürdigkeiten, Besonderheiten des Ablaufs, Gewohnheiten des Alltags und wichtige Details über Essen und Getränke. Ganz wichtig sind Verhaltensweisen, denn hier hat Frank schon einige schlechte Erfahrungen gemacht. Es liegt nahe, dass Interessenten an einer Reise durch Nordkorea weniger wegen der Schönheiten und der Gastfreundschaft des Landes kommen, sondern weil es einen besonderen „Kick“ verspricht, den man anschließend zu Hause statusträchtig zur Schau tragen kann. Diese Charakterzüge zeigen sich jedoch auch oft während der Reise in Form von Überheblichkeit und Besserwisserei. Der Autor denunziert seine Mitreisenden zwar nicht, aber er deutet immer wieder an, was man dort alles falsch machen kann und welche unangenehmen Folgen das haben kann. Dabei stellt er deutlich klar, dass jemand, der sein Recht auf freie Meinungsäußerung überall und immer ausüben will, besser keine Reise nach Nordkorea buchen sollte.
Die Einschränkungen beginnen schon bei der Tatsache, dass es nur geführte Reisen gibt, die stets von einem Fahrer und zwei Reiseleitern „überwacht“ werden. Dieser Ausdruck trifft den Sachverhalt insofern, als jeder Schritt vorgeplant ist und keinerlei individuellen Ausflüge der Reisenden erlaubt sind. Ein direkter Kontakt zum „Volk“ ist damit unmöglich. Geplante Treffen mit Einwohnern, die es durchaus gibt, betrachtet selbst Frank skeptisch und glaubt nicht an einen freien Austausch von Ansichten. Darüber hinaus verhindert auch die Sprachbarriere einen intensiven Austausch, wenn nicht die westlichen Touristen sich vorher intensiv mit der Sprache beschäftigt haben.
Frank zeigt, dass die Touristen von Armut und Not kaum etwas sehen, da die Hotels meist bis zu einem gewissen Grad westlichen Standards entsprechen und die Versorgung mit allen Gütern – auf Kosten der Bevölkerung! – gesichert ist. Um diesen Eindruck aufrecht zu erhalten, ist Photographieren in den meisten Fällen verboten: keine Militäranlagen (werden sowieso weiträumig umgangen), keine Soldaten (sind überall anzutreffen), keine auf der Straße sitzenden Menschen, keine dem Image des Landes abträglichen Szenen oder Zustände. Heimliche Photos werden dank genauer Beobachtung meist schnell entdeckt, und die Kenntnis westlicher Smartphones ist erstaunlich gut.
Rüdiger Frank bereist mit seiner „virtuellen“ Gruppenreise dieses Buches das ganze Land, von der Hauptstadt Pjöngjang im Südwesten zu den beiden Küsten im Westen und Osten, zu der demilitarisierten Zone im Süden mit der Grenze zu Südkorea und bis in den hohen Norden und Nordosten, an die Grenze zu China und Russland. Vor allem an den Grenzen zu China betont er immer wieder den Unterschied zwischen den westlich(!) erleuchteten, bunten und lebendigen chinesischen Grenzstädten und den meist abgeriegelten, nahezu „toten“ Grenzstädten auf der Gegenseite. In einer Art genereller Paranoia versucht die Regierung in Pjöngjang, jeglichen Kontakt der Bevölkerung mit anderen Ländern zu verhindern, auch mit China. Die desolate wirtschaftliche Lage und die beiderseitige Anziehung vor allem zwischen den chinesischen und nordkoreanischen Grenzprovinzen lässt die Machthaber jedoch beide Augen zudrücken, weil sie genau wissen, das eine dramatische Abriegelung dramatische Folgen haben würde.
Rüdiger Frank weist immer wieder auf die Paradoxien in diesem Land hin. So wird vor allem Staatsgründer Kim il-Sung allerorten mit großen Statuen und Büsten geehrt, vor denen sich auch westliche Besucher verbeugen müssen. Kim il-Sung wird dabei als glorioser Sieger über die (US-)Amerikaner dargestellt. Die zwangsläufig auftretenden Rückfragen nach Details dieses „Sieges“ werden selbst von Reiseleitern mit stoischer Gleichmütigkeit auf ideologiekompatible Weise beantwortet, was auch für viele andere sichtbare Widersprüche des Alltags gilt. Frank empfiehlt, die Aussagen als solche zu registrieren und nicht zu sehr nachzubohren, weil das negative Auswirkungen auf den Reiseverlauf, vor allem aber für die Karriere der Reiseleiter haben könnte.
Eine wichtige Information betrifft die Währung. Während der für die Bevölkerung verfügbare Won eine gegenüber Euro, Dollar und Genossen sehr schwache Währung ist (8000 Won = 1 Euro), gibt es einen „virtuellen“ Won in den für westliche Besucher reservierten „Intershops“, der nur der Umrechnung der Fremdwährungen dient und in deren Nähe liegt. Wer diesen Unterschied nicht kennt, schließt wegen der zugänglichen Preisangaben sofort auf einen westlichen Lebensstandard.
Die Sehenswürdigkeiten des Landes bestehen – abgesehen von der Landschaft – in den typischen Pracht- und Gedenkbauten totalitärer Systeme. Dabei fällt der Autor keine Geschmacksurteile, lässt aber keinen Zweifel über den architektonischen oder gar künstlerischen Wert. Die meisten Städte – außer der Vorzeigestadt Pjöngjang – sind meist trostlose Betonwüsten, die nach dem Flächenbombardement der Amerikaner im Koreakrieg schnell hochgezogen wurde, teils mit der Unterstützung befreundeter Länder wie China und der DDR. Man erkennt auch deren Baustile deutlich.
Es ist hier nicht der Ort, um alle Details dieses touristischen wie politischen Reiseführers zu erwähnen. Für jeden weltpolitisch interessierten Leser bietet dieses Buch jedoch einen tiefen und umfassenden Einblick in das heutige Nordkorea, und für potentielle Reisende dorthin ist es quasi eine Pflichtlektüre.
Das Buch ist in der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) erschienen, umfasst 350 Seiten und kostet 20 Euro.
Frank Raudszus
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