Ronen Bergman: „Der Schattenkrieg“

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Über die Arbeit der Geheimdienste gerät aus nachvollziehbaren Gründen nicht viel an die Öffentlichkeit, von Pleiten und Pannen einmal abgesehen. Dieses Vakuum füllen dann oft Schriftsteller und Filmproduzenten mit meist unrealistischen Fiktionen à la „James Bond“, die eher omnipotente Individuen anstelle einer detailversessenen Organisation in den Mittelpunkt stellen.

Der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad ist in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel, da Effizienz und Geheimhaltung aufgrund der politischen und geostrategischen Lage Israels  überlebenswichtig sind. So sind im Laufe der Jahrzehnte unzählige Legenden und Gerüchte entstanden und haben den Ruf absoluter Undurchsichtigkeit und höchster Professionalität dieses israelischen Dienstes etabliert.

Der israelische Journalist Ronen Bergman hat sich bereits vor langer Zeit auf Geheimdienste spezialisiert. Vor etwa zehn Jahren entstand die Idee, der Arbeit des Mossad und anderer israelischer Geheimdienste auf den Grund zu gehen. Die Motivation dazu rührte nicht zuletzt aus der Überzeugung, dass es trotz der prekären Lage des von Feinden eingekreisten Israels sowie der vollmundigen und durchaus ernst zu nehmender Äußerungen verschiedener arabischer Politiker, Israel „von der Landkarte tilgen“ zu wollen, Grenzen dessen gibt, was eine staatliche Organisation darf. Dabei geht Bergman jedoch nicht moralisch oder gar ideologisch vor, sondern ihm geht es in erster Linie um gesicherte Fakten, die er seinen Lesern präsentiert. Gezielte Tötungen ausgewählter Gegner sind nicht per se verboten, sondern müssen im Kontext gesehen werden. Bergmans zumindest skeptische Haltung zeigt sich nicht in Polemik oder selbstgerechter Moral, sondern darin, dass er jeden geschilderten Fall bis in die makabren bis unappetitlichen Details sachlich beschreibt und dabei auch nicht die kontroversen – fachlichen und ethischen! – Diskussionen innerhalb des jeweiligen Dienstes auslässt.

In der Einleitung beschreibt Bergman die brisante Entstehungsgeschichte dieses Buches. Verständlicherweise versuchten der Mossad und die anderen betroffenen Dienste, die Veröffentlichung dieses Buches mit allen – glücklicherweise legalen! – Mitteln zu verhindern. Tatsächlichen wie potentiellen Interviewpartnern redete man ins (Geheimdienst-)Gewissen oder drohte gar mit juristischen Maßnahmen, und auch die israelische Justiz wurde mit Verbotsanträgen eingeschaltet. Trotz aller dieser Widerstände gelang es dem Autor nicht nur, das Buch fertigzustellen, sondern es auch – international! – zu publizieren.

Wenn man vom israelischen Geheimdienst spricht, denkt man normalerweise an den Mossad. Doch Israel verfügt über mehrere solcher Dienste, die in der Vergangenheit oft nebeneinander wenn nicht gar gegeneinander arbeiteten – Parallelen zu deutschen Verhältnissen liegen auf der Hand. Neben dem für ausländische Aktivitäten zuständigen Mossad sind vor allem der Inlandsdienst Schin Bet und der militärische Dienst AMAN zu nennen. Jahrzehnte lang hütete jeder dieser Dienste nicht nur sein Revier, sondern auch das Wissen über Gegner, das auch den anderen Diensten sehr genutzt hätte. Da musste erst ein kompromissloser Charismatiker wie Meir Dagan – ein Mann der „ersten Stunde“ – kommen, um die Dienste und ihr Wissen in einer gemeinsamen Zentrale zusammenzuführen. Außerdem führte er mit dem Beginn des aktuellen Jahrhunderts modernste (IT-)Technologien ein, die bis dahin bei den auf ihr menschliches Knowhow – Stichwort „Agentenführung“ – und ihre individuelle Archivführung – Stichwort „Herrschaftswissen“ – stolzen Dienste verpönt waren.

Bergman war von Anfang an klar, dass er in diesem Buch nicht alle Aufgaben aller Dienste ausreichend beschreiben konnte. Daher beschränkte er sich bewusst auf die brisantesten Aktivitäten, die gezielten Tötungen individuell ausgewählter Gegner. Allgemeine Informationssammlung oder (internationale) (Des-)Informationskampagnen stellen bei Weitem kein so kontrovers diskutiertes Thema dar, also konnte er sich bei diesen Aktivitäten auf den engen Zusammenhang mit den erwähnten Tötungen beschränken.

Das Buch deckt den gesamten israelischen „Existenzraum“ vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute ab. Es beginnt mit der Ermordung eines englischen Offiziers im Jahr 1944, der gegenüber der Idee einer jüdisch-israelischen Staatsgründung auf palästinensischem Boden begründete Skepsis zeigte. Kurzentschlossen beseitigte ihn daraufhin eine „vorstaatliche“ jüdische Partisanentruppe, die nach der Staatsgründung im Jahr 1948 in den neu gegründeten Geheimdiensten aufging. Die Liste der „negativen Behandlungen“, wie Tötungen innerhalb der Dienste euphemistisch genannt wurden, endet mit der desaströsen Ermordung eines arabischen Waffenhändlers in Dubai vor wenigen Jahren, bei dem Israel wegen elementarer Unvorsichtigkeiten als Schuldiger entlarvt und international geächtet wurde.

Dazwischen liegen siebzig Jahre intensiver Abwehrtätigkeit gegen alle Arten arabischen Terrors, der anfangs von mangelhaft organisierten Gruppen, dann von der PLO unter Arafat, später von der Fatah und der Hamas und heute hauptsächlich von der iranisch gesteuerten Hisbollah inszeniert wurde und wird. Von Anfang an galt dieser Terror dabei unterschiedslos israelischen Soldaten und Zivilisten ohne jegliche Rücksichtnahme auf Frauen und Kinder. Bei der grundsätzlichen Entscheidung, ob man diesem Terror durch offenen Krieg gegenüber den jeweiligen Ursprungsländern – soweit man diese zweifelsfrei identifizieren konnte – oder durch gezielte Tötung der schuldigen Personen beantworten sollte, entschieden sich die Dienste für letztere Variante, da man damit einerseits die großflächige Konfrontation vermeiden und andererseits bis zu einem gewissen Grad die eigene Urheberschaft verschleiern konnte.

So identifizierte jeder Dienst des mittlerweile gegründeten und etablierten Staates Israel eigenständig unmittelbar und mittelbar für Attentate verantwortliche Personen auf der Seite des jeweiligen Gegners. Anschließend wurden diese in aufwendig geplanten und durchgeführten Aktionen eliminiert. Dabei konnte man sich anfangs auf die  palästinensischen Gebiete beschränken, weil Infrastruktur und Attentäter dort angesiedelt waren. Als die PLO und andere Organisationen sich später in anderen Ländern – Libanon, Tunesien – niederließen und die Attentate von dorther organisierten, schreckte Israel auch nicht vor gezielten Tötungen auf fremdem Boden zurück. Das erhöhte allerdings die Gefahr, dass die Tötungskommandos erkannt und gefangengenommen wurden, mit allen politisch-propagandistsichen Folgen wie Folter und öffentliche Hinrichtung.

Daher ging man bei Tötungen außerhalb des unmittelbaren eigenen Wirkungsbereiches zu Autobomben und Gift über, um die unmittelbare physische Konfrontation zu vermeiden. Dabei wiederum musste man in Kauf nehmen, dass die Umgebungsbedingungen sich im letzten Augenblick änderten und man nicht mehr darauf eingehen konnte. Daher misslangen auch einige Aktionen, wobei die Zielpersonen zwar verletzt, aber nicht getötet wurden. Das hatte doppelt negative Konsequenzen: die Tötung war gescheitert – was der jeweilige Gegner propagandistisch nutzte -, das Attentat als solches war jedoch offenkundig und konnte meist auch Israel zugeordnet werden.

Auch schwere Pannen mit desaströsen politischen Folgen waren bei der Menge der geplanten Eliminierungen nicht zu vermeiden, da die israelischen Dienste wegen massiver Sicherheitsvorkehrungen der Gegner immer höhere Risiken eingehen mussten. So konnte eine Tötung in Paris – in einem westlichen, d,h. grundsätzlich verbündeten Land – leicht auf Israel zurückgeführt werden und  verursachte schwerwiegende internationale Verstimmungen. Auch die Ermordung des organisatorischen Führers Abu Dschihad in Tunesien durch ein von Schnellbooten ausgesetztes Killerkommando führte zu internationalen Konflikten, an dem auch die stereotypen Dementis aus Israel nichts ändern konnten. In Jordanien und in Beirut misslangen ebenfalls Attentate auf palästinensische und andere Anführer von Terrororganisationen, mit jeweils – wie in Jordanien – geradezu demütigenden politischen Folgen.

Insgesamt aber erreichte Israel seine langfristig gesetzten Ziele: jeden Attentäter, der jüdisches Blut an den Händen hatte, zur Rechenschaft zu ziehen, und die gegnerischen Organisationen durch planmäßige Ausschaltung der fähigsten Köpfe entscheidend zu schwächen. Dabei überschritten die Dienste auch oft die Grenzen – geschriebener und ungeschriebener – internationaler Gesetze. So galt lange auch in Israel der eiserne Grundsatz, nur direkt an Terroraktionen beteiligte Gegner zu töten und Zivilisten zu verschonen. Auch die sogenannten „Kollateralschäden“ wollte man nicht in Kauf nehmen. Mit zunehmender Professionalisierung und Verschärfung des Terrorkrieges sah man sich jedoch gezwungen, auch politische und sogar religiöse Führer zu töten, da sie die entscheidende ideologische und organisatorische Grundlage des Terrors schufen. Später nahm man sogar in begrenztem Umfang den Tod von Zivilisten in Kauf, da die Anführer der Gegenseite ihre öffentlichen Auftritte bewusst in zivilen Bereichen wie Märkten oder Schulen inszenierten.

Diese Entwicklung führte auch innerhalb der Dienste zu harten Diskussionen, Protesten und sogar Befehlsverweigerungen. Bergman leuchtet auch diese inneren Frontstellungen samt Namensnennungen und personellen Konsequenzen aus und folgt auch hier treu seinem Grundsatz, alle ihm bekannten Tatsachen auf den Tisch zu legen und sie für sich sprechen zu lassen. Anklägerisches Pathos und moralisierende Attacken sind ihm fremd, da er um die Komplexität des Themas und die existenzielle Situation des Staates Israel weiß. Das hindert ihn jedoch nicht daran, den Finger auf die wunde Stelle der Geheimdienste zu legen.

Jeder Leser muss sich selbst eine Meinung zu den Tötungsaktionen machen. Da reicht die Palette von strikter, moralisch begründeter Ablehnung bis hin zur offenen Apologetik im Sinne von „Aug´ um Auge, Zahn um Zahn“. Besonders die Deutschen – die Politik voran! – befinden sich hier in einer schwierigen Situation, lautet doch die Begründung der schon gegen Kriegsende eingeleiteten Tötungsaktionen, als Juden nie mehr wie Lämmer auf die Schlachtbank gehen zu wollen wie im Holocaust. Ronen Bergman gibt einen so detailreichen wie bestürzenden Eindruck in die geheimen Aktionen eines Landes, das seit siebzig Jahren mit dem Rücken zur Wand steht.

Das Buch ist in der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) erschienen, umfasst 864 Seiten und kostet 36 Euro.

Frank Raudszus

 

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