In diesem Jahr hätte der amerikanische Komponist, Pianist und Dirigent Leonard Bernstein seinen hundertsten Geburtstag gefeiert. Da lag es natürlich nahe, diesem Multi-Talent einen eigenen Abend zu widmen. Als kompositorischen Weggenossen für diesen Kammermusikabend hatten die drei Musiker Sabine Meyer (Klarinette), Sebastian Knauer (Klavier) und Alban Gerhardt (Violoncello) keinen Geringeren als Ludwig van Beethoven ausgewählt, was vielleicht auch ein wenig – vom „v“ abgesehen – an den selben Initialen gelegen haben mag. Darüber hinaus hatte das Trio aber auch musikalische Überschneidungen festgestellt, die es präsentieren konnte. So hat Beethoven sowohl eine Trio für Klarinette, Klavier und Cello (op. 11) als auch eine Sonate für Cello und Klavier (op. 102) geschrieben, während Bernstein eine Sonate für Klarinette und Klavier beisteuern konnte. Darüber hinaus hat Bernstein unter dem Titel „Anniversaries“ kleine Klavierstücke über und für Freunde und Bekannte komponiert und konnte sich damit ein wenig in der Nachfolge des großen pianistischen Vorfahren fühlen. Zur Auflockerung dieses „binären“ Programms fand auch noch ein Trio des Österreichers Alexander von Zemlinsky für diese drei Instrumente Gehör, dessen Lebenslauf sich sogar noch mit dem Bernsteins überschnitt. Die beiden hätten sich in New York durchaus treffen können.
Gleich zu Beginn des Konzerts wandte sich Sebastian Knauer an das Publikum und kündigte eine Programmumstellung an: statt der „Anniversaries“ setzte das Trio die beiden Beethoven-Stücke an den Beginn und verschob Bernsteins Sammlung an den Anfang des zweiten Teils. Diese Umstellung war durchaus nachvollziehbar, konnte man damit doch eine gewisse Chronologie in den Abend bringen. Außerdem konnten sich die Beethoven-Stücke ohne einen musikalischen Vorabeindruck aus dem 20. Jahrhundert frei entfalten.
Das Trio op. 11 entstand im Jahr 1797, als Beethoven noch ein junger Mann war, zeigt aber schon alle Beethovenschen Charaktermerkmale: markante Themen, zupackende Intonierung und kontrastreiche Harmonik. Schon mit den ersten Takten entwickelt das Stück Eigenleben und öffnet einen ganz eigenen musikalischen Kosmos, deutlich abgegrenzt von jeglicher Gefälligkeit und Unterhaltung. Schon hier lässt sich die Entwicklung Beethovens zur „absoluten“ Musik erkennen, wenn auch noch im Anfangsstadium. Nach einem frischen, energischen Kopfsatz beginnt das Adagio des zweiten Satzes allein im Cello, dem dann die anderen Instrumente folgen, und entwickelt sich zu einem lebhaften, ausdrucksstarken Gespräch zwischen den drei Instrumenten, die ihre je eigene Klangfarbe und Intonation mitbringen. Der Finalsatz besteht aus einer Reihe freier Variationen zu einem vorgegebenen Thema, mal solo vom Klavier, dann wieder von Cello und Klarinette vorgetragen. Dieser Satz besticht vor allem durch seine unverstellte Expressivität. Die drei Musiker bewiesen schon bei dieser „Einleitung“ des Abends ein ausgeprägtes Gespür für ein so ausgewogenes wie dynamisches Zusammenspiel, das Beethovens Komposition buchstäblich zum Erblühen brachte.
An dieses frühe Werk schloss sich die späte Sonate op. 102 für Violoncello und Klavier an. Die fast zwanzig Jahre, die zwischen den beiden Kompositionen liegen, haben ihre deutliche Spuren hinterlassen. Beethoven hat die klar gegliederte Sonatenform längst hinter sich gelassen und experimentiert mit größeren, freieren Strukturen. Die nominell zwei Sätze lassen sich wegen ihrer internen Tempowechsel auch als vier Sätze interpretieren. Die frei ausgeführte Zweisätzigkeit erinnert ein wenig an die letzte Klaviersonate op. 111. Ähnlich wie diese zeigt op. 102 keine homogene Struktur mehr und wirkt förmlich zerrissen. Klavier und Cello bauen laufend neue Klangfelder auf, nur um sie abrupt abzubrechen und neue klangliche Wirkungen zu erproben. Die ausgeprägten Themen der früheren Phasen sind kurzen, markanten Motiven gewichen, die expressiv ausgedeutet und wieder fallen gelassen werden, um später – eventuell – wiederzukehren. Dabei entsteht ein ausgeprägtes „Frage- und-Antwort“-Spiel zwischen den beiden Instrumenten. Auch die Tempobezeichnungen sind nur Anhaltswerte, kann doch ein Adagio plötzlich geradezu eruptiv ausbrechen und ein Allegro sich ebenso kurzzeitig verlangsamen. Abrupte Motivwechsel tun ein Übriges.
Sebastian Knauer und Alban Gerhardt steigerten sich zu interpretatorischer Hochform, lauschten einander und den Tönen nach und passten sich in geradezu idealer Weise aufeinander an, ohne dabei in technische oder interpretatorische Selbstdarstellung zu verfallen. Jede Steigerung, jedes Ritardando und jeder Intensitätswechsel galten der Musik und waren nur von dieser diktiert. Die beiden schafften es damit, die Aufmerksamkeit des Publikums bis zum letzten Ton auf sich zu konzentrieren, was sich deutlich in der Stille im Saal und im ausbleibenden Husten niederschlug.
Als Pendant zu diesen beiden Beethoven-Stücken erklang noch Bernsteins Sonate für Klavier und Klarinette, womit auch Sabine Meyer vor der Pause noch einmal zum Einsatz kam. In vielen kleinen Details ähnelt diese Komposition der vorangegangenen Beethoven-Sonate: Der Verzicht auf durchgehende Themen und deren Durchführung zugunsten des einzelnen musikalischen Motivs und der punktuellen Expressivität. In allen drei Sätzen schlägt sich der Einfluss des Jazz nieder, sowohl rhythmisch als auch harmonisch. Bisweilen kling diese Sonate wie eine Mischung aus der Hochromantik des späten 19. Jahrhundert und den Jazz-Kompositionen eines George Gershwin, allerdings ohne den orchestralen Hintergrund des letzteren. Sabine Meyer und Sebastian Knauer zeigten, dass sie sich auch in diesem Zwischenbereich der Musikepochen souverän bewegen.
Nach der Pause interpretierte Sebastian Knauer im Alleingang am Flügel Bernsteins die musikalischen Anekdoten „Anniversaries“ für Bernsteins Freunde, Vorbilder und Anhänger und fächerte dabei die breite Palette von Bernsteins musikalischer Ausdrucksbreite auf. Von Humor über Wehmut bis hin zu Aufbegehren war alles dabei, ohne dass sich aufgesetztes Pathos oder falsche Sentimentalität entwickelte. Mittendrin waren dann als Hommage an die „West Side Stors“ pianistische Variationen über „Maria“, „Tonight“ und „I am Pretty“. Für diese Solo-Darbietung erhielt Sebastian Knauer stürmischen Beifall.
Den Schluss bildete Zemlinskys Trio für alle drei Instrumente. Es beginnt wie ein dunkler „Klangtunnel“ aller drei Instrumente und zeigt vor allem im ersten Satz hochromantische Züge, wie man sie von Brahms´ später Kammermusik kennt. Der zweite Satz weist dann vor allem harmonisch ins 20. Jahrhundert und endet ausgesprochen elegisch, während der Finalsatz massiv und dicht dem Ende entgegen drängt. Die drei Musiker schwangen sich in dieser Interpretation noch einmal zu einem Auftritt wie aus einem Guss auf und verliehen dem Stück den fast schon düsteren Hauch des 20. Jahrhunderts, obwohl es in der noch glücklichen Zeit des „Fin de siècle“ entstanden ist. Keinen Augenblick hatte man das Gefühl, mit diesem Stück zum Abschluss einen kompositorischen „Lückenbüßer“ für eben diese Besetzung präsentiert zu bekommen. Auch wenn Zemlinsky vielleicht nicht zu den herausragenden des frühen 20. Jahrhunderts gehörte, rundete diese Komposition den Abend auf gelungene Weise ab.
Als Zugabe spielte das Trio noch den letzten Satz aus Beethovens Septett op. 20, den Alban Gerhardt jedoch mit todernster Miene als Wiederholung des letzten Zemlinsky-Satzes wegen falsch gespielter Noten ankündigte.
Frank Raudszus
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