Der Teufel sitzt zur Linken – Gottes?

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Um es gleich vorweg zu sagen: dieses Stück ist nichts für empfindliche Gemüter oder bekennende Gläubige einer korrekten Sprache. Der Autor Robert Askins lässt in dieser bitter-schwarzen Komödie nicht nur sämtliche Un- und „F…“-Wörter der englischen resp. US-amerikanischen Sprache im vollen Wortlaut Revue passieren, sondern spart auch nicht mit deftigen bis eindeutigen Szenen, die der aktuellen Gender- und Diskriminierungsagenda Hohn sprechen. Doch dabei geht es ihm nicht um billige Provokation, sondern er nutzt die unverblümte Darstellung dazu, die Nöte und Probleme der Gesellschaft auf den Punkt zu bringen.

Ensemble

Irgendwo im fundamentalistisch-evangelikalen Mittelwesten der USA übt der halbwüchsige Jason (Nicholas Hart) zusammen mit Jessica (Samantha Dakin) und Timothy (Tom Matchell)  das Puppenspiel in der Kirche der Gemeinde von Pastor Greg (Matt Addis), der anhand der Puppen gerne die Bibel veranschaulicht. Der Übungsraum strotzt geradezu vor frommen Sprüchen und Plakaten. Jasons Mutter Margery, seit kurzem Witwe, leitet das Puppenteam mit frömmlerischen Sprüchen. Der Pastor steigt ihr ungeachtet der noch sehr frischen Witwenschaft mit frommen Sprüchen aber eindeutigen Wünschen nach, und sie kann sich seiner salbungsvollen Beharrlichkeit kaum erwehren. Jason ist nicht nur sehr schüchtern, sondern leidet auch stark unter dem plötzlichen Tod des Vaters, der angeblich an einem Herzinfarkt gestorben ist, sich in Wirklichkeit jedoch totgesoffen hat.

So projiziert der unsichere und von pubertären Aggressionen  besetzte Jason seine Frustrationen in seine Puppe Tyrone, die ein wenig aussieht wie der gute alte Kermit aus der „Muppet Show“ und auch so spricht, und lässt Tyrone alles aussprechen, was er zu sagen nicht wagt. Auch er möchte stark und vor allem „cool“ sein, kann es aber nicht. Im Stillen beneidet er den mit überschaubaren Geistesgaben ausgestatteten Timothy, der seine Umgebung mit Frechheit und Dreistigkeit nervt. Jason merkt auch nicht, dass die stille Jessica ihn sehr mag, weil er sich das einerseits nicht vorstellen kann, andererseits zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. So begibt er sich in eine enge Symbiose mit Tyrone, der all das umsetzt, was er sich erträumt, und jede unbequeme und anstößige Wahrheit in unverstellter Sprache ausdrückt. Diese „Übertragung“ scheint im Stück ernst gemeint zu sein, weil die Beziehung zwischen Puppenspieler und Puppe in keiner Weise kaschiert wird. Auf der Meta-Ebene ist Tyrone einerseits Jasons „alter ego“ – sozusagen sein Wunschbild von sich selbst -, andererseits das symbolische Abbild der pubertären Maske von Halbwüchsigen, die mit harter Sprache und verbalen Gemeinheiten ihre eigene Unsicherheit und die Enttäuschung über die ihnen sich langsam enthüllende Verlogenheit und Unwahrhaftigkeit der Welt kompensieren.

Nicholas Hart als Jason und Tyrone

Jason hat auch genug Grund für seine Enttäuschung, denn den Pastor entlarvt er intuitiv als bigott und seine Mutter als verlogen, da sie trotz aller ihrer frommen Sprüche mit dem tumben Timothy heftigen Sex in den Kirchenräumen treibt. Und die schönen Lügen über seinen Vater verzeiht er ihr auch nicht. Es geht dabei nicht – wie in einem Krimi – darum, wie Jason die Wahrheit über seine Umwelt erfährt. Robert Atkins verlagert diese Erkenntnis in einer Art dichterischer Freiheit einfach in die Puppe Tyrone, die eben alles weiß und jedem seine Heuchelei auf den Kopf zusagt.

Aus dieser Konstellation ergeben sich in ihrer Groteskheit geradezu herrliche Szenen. Wenn Tyrone den verunsicherten Jason nachts im Bett verbal und handgreiflich zur Tat und Rebellion auffordert, ist dies nicht nur ein flammender Appell an die Emanzipation, sondern auch eine schauspielerische Glanzleistung, denn Nicholas Hart schafft es tatsächlich, die Puppe Tyrone derart lebendig werden zu lassen, dass man dabei seinen Doppelpart trotz seiner Mundbewegungen vergisst. Da er auch noch Tyrones Kopf und Arme steuert, ergeben sich immer wieder neue Szenen von kumpelhafter oder rührender Nähe zwischen Jason und Tyrone. Ein weiterer Höhepunkt dieses Puppentheaters ergibt sich aus Jessicas Versuch, sich Jason auf seiner Ebene zu nähern. Sie tritt mit einer Puppe auf, die eine Mischung aus Daisy Duck und einem Vorstadt-Vamp darstellt, und die beiden schüchternen Puppenspieler lassen ihre Puppen eine so dramatische wie rührende und kompromisslose Liebesgeschichte bis hin zum kein Detail auslassenden Geschlechtsakt erleben. Da dieser „Puppen-Porno“ sozusagen nur metaphorisch als sichtbar-komisches Puppenspiel an den Händen der beiden verklemmten jungen Leute abläuft, wirkt er nicht peinlich sondern nur grotesk.

Nicholas Hart und Samantha Dakin als Jason und Jessica beim „Puppen-Porno“

Wenn Tyrone am Schluss alle Heuchelei und Lügen gnadenlos aufgedeckt und vor allem die Erwachsenen auf rüde Art beschimpft und bloßgestellt hat; wenn Margery dem Pastor – und sich selbst – seine Bigotterie an den Kopf geworfen hat und den sexsüchtigen Timothy davongejagt hat – dann erkennt Jason, dass Tyrone, den er im Protest gegen Pastor Gregs Strategie der „Hand to God“-Puppen als „Teufel an seiner Hand“ umgedeutet hat, ihn völlig besetzt hat. In einem verzweifelten Kampf reißt er sich ihn gegen dessen heftigsten Widerstand von der Hand und muss den offenbar mit sieben Leben ausgestattete Quälgeist noch mit dem Hammer totschlagen. Weinend bricht er zusammen, und die geläuterte Margery tröstet ihn. Robert Askins verzichtet darauf, Jason am Schluss als selbstbewussten und emanzipierten jungen Mann sozusagen „auferstehen“ zu lassen und ihm  gar noch eine „Happy End“ mit Jessica zu gönnen. Diese Extrapolation überlässt er dem Publikum. Stattdessen lässt er in der letzten Szene eine übergroße Version Tyrones als Teufel den Epilog über die teuflischen Züge der Menschen und der Welt sprechen. Auch hier zieht er die sarkastisch-deftige Groteske einer jovialen Belehrung vor, und das ist auch gut so!

Die Schauspieler leisten in diesem Stück darstellerische Schwerarbeit, vor allem Nicholas Hart, der alle seine Szenen in Doppelbesetzung Jason/Tyrone spielen muss. Diese Herausforderung  meistert er auf bravouröse Art. Neben ihm überzeugen vor allem Sarah Wadell als Margery und Tom Mitchell als Timothy. Sie haben aber auch die im Vergleich zu Matt Addis (Pastor Greg) und Samantha Dakin (Jessica) die dankbareren Rollen, wobei letztere durchaus nicht abfallen.

Das Publikum war begeistert und spendete rhythmischen Beifall.

Frank Raudszus

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