Kurator Dr. Jochen Sander stellt bei seinem Vortrag zur Ausstellung „Rubens. Kraft der Verwandlung“ lakonisch fest, man könne den Presseraum mit Katalogen von Ausstellungen über Peter Paul Rubens´ Wirkung auf nachfolgende Malergenerationen pflastern. Doch heute könne man potentielle Leihgeber nur noch mit neuen, ausgefallenen Ideen davon überzeugen, ihre Bilder zur Verfügung zu stellen. Im Falle des niederländischen Barockmalers fand Sander zwei Lücken: die eher negative bestand darin, dass das Städel kaum über Rubens-Werke verfügt, die positive Lücke sah Sander jedoch darin, dass sich noch keine Ausstellung der Frage gewidmet hatte, woher denn Rubens die Ideen und Themen für seine Bilder nahm. Denn die Vorstellung vom einsamen Künstler, der seine Werke à la Spitzweg in der Stille der kalten Dachkammer erfindet, sei nicht mehr als ein Klischee. Die Künstler aller Epochen hätten sich mehr oder minder offen bei Vorgängern und Zeitgenossen bedient. Mit dem „Mut zur Lücke“ propagierte Sander die Suche nach Rubens´Ideengebern als Ausstellungsmotto und konnte Museumsleitung und Leihgeber ohne große Mühe von diesem Konzept überzeugen.
Peter Paul Rubens (1577 – 1640) war ein „schwarzes Schaf“ seiner mehr als wohlhabenden Familie. Man wurde Jurist, Wissenschaftler oder Kaufmann, ergriff aber auf keinen Fall einen Handwerkerberuf. Als solcher betrachtete man jedoch den Maler. Doch Rubens konnte sich durchsetzen und machte seine Leidenschaft zu seinem Beruf. Allerdings verlegte er sich schon früh auf das Werkstatt-Konzept, bei dem er die Ideen vorgab und die Bilder von angestellten Malern herstellen ließ. Er selbst griff nur korrigierend und verschönernd ein, malte aber durchaus auch einen Teil der Bilder selbst. Das merkt man den Werken seiner Werkstatt durchaus an, denn sie zeigen deutliche Qualitätsunterschiede, was auch oft zu Kritik geführt hat. Er selbst malte sich selbst – wenn überhaupt – nie als Maler mit Pinsel und Palette, sondern nur als wohlhabenden Aristokraten.
Die ersten Jahre des 17. Jahrhunderts verbrachte Rubens in Italien, wo er antike Skulpturen sowie Gemälde, Fresken und Zeichnungen von Zeitgenossen wie Caravaggio und anderen kennenlernte. Vor allem die antiken Skulpturen fanden sein Interesse, und er zeichnete diese nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven ab, sondern betonte dabei vor allem den Bau des Körpers, der Muskulatur und der Haut. Diese fast schon anatomischen Körperstudien fanden dann Eingang in eine Reihe mythischer und religiöser Zeichnungen und Gemälden. Dabei übernahm er jedoch nicht die kühle, von vielen irrtümlich als „klassisch antik“ gerühmte Farblosigkeit der antiken Skulpturen, sondern verlieh ihnen durch Einsatz von Farbe geradezu pulsierendes Leben.
Doch nicht nur die Antike beeinflusste ihn, sondern vor allem die Bilder der Zeitgenossen in Italien und den Niederlanden. Sein Ehrgeiz bestand vor allem darin, deren Werke genau zu analysieren und dann als Vorbilder für dynamischere,, aussagekräftigere oder farblich intensivere zu nehmen. Im Rahmen der damals herrschenden „Aemulatio“, ein permanenter Wettbewerb um die besten Bilder, positionierte er seine Bilder als eindeutige „Verbesserungen“ der Vorbilder. Dem gebildeten Kunstpublikum musste man diese Situation jedoch nicht erklären, es spürte den Wettbewerb intuitiv beim betrachten und identifizierte auf die Vorbilder mit hoher Wahrscheinlichkeit. Nicht zuletzt stieg Rubens´ künstlerischer Ruf durch diesen direkten vergleich, der meist zu seinen Gunsten ausfiel.
Das Städel-Museum hat die Ausstellung als Gegenüberstellung von Vorbild und Werk organisiert. Insgesamt etwa hundert Werke zeigen den Entstehungskontext der Werke von Rubens. Davon stammen etwa die Hälfte von ihm und die andere Hälfte von seinen „Ideengebern“, zu denen Tizian, Tintoretto und Elsheimer, um nur die bekanntesten Namen zu nennen. das Zahlenverhältnis zeigt deutlich, dass fast jedem Rubens-Werk ein Vorbild zugeordnet ist. Das ermöglicht dem Besucher den direkten Vergleich und erhöht Wirkung sowie Informationsgehalt dieser Ausstellung gegenüber üblichen Retrospektiven oder Werkschauen. Da sieht man zum Beispiel Rembrandts „Die Blendung des Simson“ mit einer ausgeprägten Körperstudie des gepeinigten Simson, und daneben ähnliche Bilder Rubens´ – etwa Prometheus mit dem die Leber zerhackenden Adler – , die ebenfalls den männlichen Körper in Extremsituationen und – stellungen zeigen. In einem anderen Fall sieht man das „Urteil des Paris“, einmal von Rubens und als Pendant dazu das gleiche Sujet von einem Zeitgenossen Rubens´. Herkules war für Rubens der Inbegriff der männlichen Kraft und findet sich deswegen verschlüsselt in einer Studie des Heiligen Christopherus wieder, der trotz seiner herkulischen Kräfte den kleinen Jesusknaben kaum mehr tragen kann.
Die Ausstellung ist vom 8. Februar bis zum 21. Mai 2018 geöffnet. Näheres ist über die Webseite des Städel-Museums zu erfahren.
Frank Raudszus
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