Graf Alexander Rostow lebte vor dem Ersten Weltkrieg auf dem Gut seines Vaters, eines hoch gestellten Beraters des Zaren. Jetzt, um 1922, sind die Eltern tot, das Gut ist niedergebrannt, und Alexander lebt im Moskauer Hotel „Metropole“ vom geretteten Geld in einer standesgemäßen Suite.
Doch den bolschewistischen Kommissaren ist dieser Vertreter des alten Regimes natürlich ein Dorn im Auge, und am liebsten würden sie ihn an die nächste Wand stellen. Ausgerechnet ein – wie sich später herausstellt – gar nicht von ihm verfasstes Gedicht rettet ihm dank eines literarisch gebildeten Kommissars das Leben. Aber er muss seine Suite verlassen und ab sofort in einer kleinen Dachkammer hausen. Das Hotel darf er nicht verlassen.
Doch als gebildeter Adliger und wohl erzogener Stoiker macht er selbst aus dieser demütigenden Situation das Beste und gestaltet seine ärmliche Bleibe zur Studierstube mit Montaignes Essays um. Schon an dieser Stelle fragt sich der Leser natürlich, warum die „Roten“ ihn nicht nur am Leben lassen, sondern ihm auch weiterhin den Müßiggang im Edelhotel erlauben. Doch das fällt wohl unter die Rubrik „dichterische Freiheit“ und ist offensichtlich als angelsächsische Ironie zu verstehen.
Bei seinen täglichen Rundgängen in dem Luxusgefängnis lernt er ein neunjähriges, frühreifes Mädchen kennen, das ihm nicht nur einige Geheimnisse des alten Baus zeigt, sondern auch sonst schon sehr erwachsene Interessen zeigt. Außerdem lernt er die Hotelangestellten, die ihn früher nur mit „Eure Exzellenz“ angeredet haben, aus einer anderen Perspektive kennen und gewinnt dabei Freunde fürs Leben.
Als sein Geld zur Neige geht, nimmt er die Stelle des Oberkellners an und kann jetzt die – bolschewistischen – Gäste bestens bei der Wahl der passenden Getränke beraten. Trotz dieses geradezu rasanten gesellschaftlichen Abstiegs bewahrt er stets die Contenance und führt ungerührt das Leben eines intellektuellen Grandseigneurs.
Im Laufe der Jahrzehnte sieht er die verschiedensten Leute kommen und gehen, trifft seine kleine Freundin aus den ersten Tagen als erwachsene Frau wieder und betreut schließlich nach ihrem Verschwinden ihre siebzehnjährige Tochter Sophia, die sich als großes pianistisches Talent entpuppt. Als Sophia in der Ära nach Stalin nach Paris zu einem Konzert eingeladen wird, reift in Alexander ein großer Entschluss.
Mehr wollen wir an dieser Stelle nicht verraten, um potentiellen Hörern dieses Hörbuchs nicht die Spannung zu rauben. Denn das Zuhören lohnt sich nicht nur wegen der historisch informativen und immer wieder überraschenden Geschichte, sondern vor allem wegen der geschliffenen Sprache, die natürlich auf das Niveau des Protagonisten zugeschnitten ist und seinen Lebensstil treffend umschreibt. Darin kann man auch eine gehörige Portion höherer Ironie sehen, die jedoch nie zur Bitterkeit neigt, sondern das Ideal der Stoa, die Dinge mit Gelassenheit anzunehmen, geradezu leuchten lässt.
Allerdings romantisiert der Autor die Zeit in der Sowjetunion zwischen 1920 und 1954 etwas zu sehr. Zwar erweisen sich die Bolschewiken als ungebildete Spießer, aber lebensgefährlich wird es für den Grafen und seine engen Freunde nie. Man lebt sogar recht gut im „Metropol“, wenn auch unter bescheidenen materiellen Verhältnisse. Die weitest gehende Ausblendung der Stalinschen Gräuel, vor allem in den späten dreißiger Jahren, kann auch die an Thomas Mann erinnernde Ironie nicht ausgleichen. Als gesellschaftspolitischen Zeitroman des 20. Jahrhundert lässt sich dieser Roman sicher nicht bezeichnen.
Doch das Gespür des Sprechers Hans Jürgen Stöckerl für die Feinheiten einer gehobenen Sprache sowie für die feine Ironie dieses Romans gleicht viele der inhaltlichen Schwächen mehr als aus.
Das Hörbuch ist bei Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst 9 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 675 Minuten und kostet 19,98 Euro.
Frank Raudszus
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