Der Roman von Christian Schünemann und Jelena Volic spielt in Serbiens Hauptstadt Belgrad. Am Abend des 18. Oktober 1998 wurde dort der zehnjährige Roma-Junge Dusan von zwei Jugendlichen verprügelt und schließlich totgeschlagen. Einige Jahre später, am 12. März 2003, wurde der serbische Ministerpräsident aus dem Hinterhalt durch Schüsse in Bauch und Rücken ermordet.
Beide Verbrechen sind Auslöser dieses Romans, der sich auf die Spurensuche nach den Tätern und Motiven begibt. Allerdings handelt es sich nicht um eine polizeiliche Recherche. Die Autoren haben Handlung und Personen frei erfunden. Dennoch setzen sie sich kritisch mit der Korruption und der gesellschaftlichen Situation im heutigen Serbien auseinander. Sie tauchen ein in die elenden Lebensbedingungen der Roma, die am Rande der Gesellschaft in Slums unter Autobahnbrücken hausen und kaum das Nötigste zum Leben haben. Wenn unter den Ärmsten der Armen der letzte Hoffnungsschimmer – hier der kleine Dusan – völlig sinnlos vernichtet wird, dann raubt das den Eltern die letzte Kraft.
Aber die Leser erfahren auch, was die beiden Jugendlichen zu ihrer Tat getrieben und wie der Mord auch in ihrem Leben tiefe Spuren hinterlassen hat, die sich nicht einfach auslöschen lassen. Einst waren sie die besten Freunde, doch nach der grausamen Tat sitzt der eine sieben Jahre lang im Gefängnis, während der andere mit Hilfe seiner Eltern nach Argentinien flieht, um der Strafe zu entgehen. Als er nach Jahren zurückkehrt, um seinen Freund wiederzusehen, wird auch seinem Leben ein Ende gesetzt.
Der Roman lässt wenig Hoffnung aufkommen. Auf dem Balkan kämpft jeder für sich. Es gibt keinen Plan, wenig Mut, keine Weitsicht. Skrupellosigkeit und Gewalt bestimmen den Alltag, lassen Familien und Freundschaften zerbrechen. Der Roman prangert aber auch die politische Situation an. Zum einen die Amerikaner mit dem größten NATO-Stützpunkt im ehemaligen Jugoslawien im Kosovo, zum anderen die Russen, die Montenegro als ihre Kolonie betrachten. Und die Türkei verfolgt mit der gezielten Islamisierung Bosniens ihre eigenen Interessen. In dieser Melange internationaler Interessen kann sich der einzelne Mensch nur noch als unbedeutendes Objekt empfinden, das schnell zerrieben wird, wenn es zwischen die Mühlsteine dieser Interessengruppen gerät.
Der Roman ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 348 Seiten und kostet 22 Euro.
Barbara Raudszus
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