Die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 hat die ganze Nation bewegt und auch gespalten. Neben einer aktiven „Willkommens“-Fraktion hat sich – vor allem im Umkreis der AfD – eine signifikante Abwehrfront gegen Migranten und Asylanten gebildet. Die Journalistin Jasna Zajcek wollte nicht nur aus der Peripherie der medialen Proteste oder aus den Zentren der Willkommenskultur berichten, sondern genau an die Stellen gehen, wo es „brennt“. Ihre Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit als Deutschlehrerin in einem sächsischen Asylantenheim hat sie in diesem Buch zusammengefasst, das vor allem wegen seiner Nüchternheit und Unaufgeregtheit überzeugt.
Ihre ersten Erfahrungen mit der Flüchtlingswelle macht die Autorin in Berlin am viel geschmähten „LaGeSo“ (Landesamt für Gesundheit und Soziales), das über lange Zeit dem Ansturm von Asylbewerbern hilflos gegenüber stand. Die Autorin berichtet anfangs direkt aus dem Innenhof des LaGeSo, durch das sich eine endlose und fast verzweifelte Schlange von Asylbewerbern zieht, die auf die Ersterfassung warten. Bereits dort fällt ihr, die auch mit einiger Empathie für die Flüchtlinge gekommen war, neben den chaotischen organisatorischen Zuständen die Anspruchshaltung vieler Asylbewerber auf, die jeden Deutschen ungeduldig nach den ihnen angeblich zustehenden Wohnungen und dem Familiennachzug fragen. Es stellt sich schnell heraus, dass die Schlepper diesen Menschen Wunderdinge über Deutschland und dessen angeblich offenen Arme erzählt haben, die sich bei den Asylbewerbern schnell in einklagbare Ansprüche verfestigt haben.
Als Jasna Zajcek von den Protesten und Übergriffen rechter Gruppen – Pegida lässt grüßen – in Sachsen hört, beschließt sie, sich als Deutschlehrerin in ein Asylantenheim in Sachsen zu melden, um die Probleme vor Ort hautnah kennen zu lernen. So landet sie in einem kleinen sächsischen Dorf bei Bautzen, dessen Name „Tipschitz“ ein Pseudonym zu sein schein, da Google Maps es nicht findet. Mit ihr reist eine junge Berlinerin an, die sich vor allem durch ihre naive Begeisterungsfähigkeit auszeichnet und die mit ihrem fehlenden Gefühl für interkulturelle Empfindlichkeiten bald überall aneckt.
Jasna Zajcek skizziert in kurzen knappen Worten das ziemlich trostlose Ambiente des ehemaligen Hotels, dessen Besitzer mangels Gästen die Gelegenheit ergriff, das Haus für Asylanten zur Verfügung zu stellen. Anfangs fallen ihr vor allem die organisatorischen Mängel auf: keine Lehrmaterialien, ein halbseidener Anbieter der Deutschkurse (bei dem sie wohl nur eine Schnellbewerbung durchgeführt hat) und bereits ziemlich ernüchterte Sozialarbeiter, deren anfänglicher Idealismus offenbar bereits einem desillusionierten Realismus gewichen ist. Bald bemerkt sie auch den Grund für diese Distanz: in dem Heim leben knapp 170 Syrer und Iraker, die offensichtlich überwiegend auf schnelle Einbürgerung einschließlich Wohnung und gut bezahlter Arbeitsstellen drängen. Hier erfährt sie die Folgen der Schlepper-Märchen im täglichen Zusammenleben mit den Asylanten. An ihrem Sprachkurs besteht wenig Interesse, vor allem, da er bereits um 9.30 beginnt. Außer einem harten Kern von etwa vier jungen Syrern mit einem fundierten Bildungshintergrund kommen die anderen Bewohner nur sporadisch und mit geringer Motivation. Der am ersten Tag noch gut gefüllte Klassenraum leert sich schnell, als die erste Neugier gestillt ist und sich das Lernen als anstrengend erweist.
Schnell fällt ihr auch das unsoziale Benehmen der Männer auf, die sich als arabische Paschas aufführen und die ihnen zur Verfügung gestellte Küche jeden Abend in chaotischem Zustand hinterlassen. Die Frauen haben wegen männlicher Belästigung ihre eigene Küche und halten diese stets in blitzblankem Zustand. Je länger die Autorin in diesem Heim arbeitet, desto näher kommt sie auch an die Asylbewerber heran. Ihre Vorzeigeschüler sind fleißig und wollen so schnell wie möglich Deutsch sprechen und schreiben, die Mehrheit der Männer jedoch lehnt den vorbereitenden Sprachkurs ab, da sie auf den offiziellen Sprachkurs nach der Anerkennung als Asylbewerber warten. Diese Anerkennung halten sie für selbstverständlich, und den Hinweis auf den hohen Anspruch des offiziellen Sprachkurses überhören sie. Die Autorin konstatiert bereits nach kurzer Zeit eine ausgeprägte Fehleinschätzung nicht nur der eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten sondern auch und vor allem der Wahrscheinlichkeit eines positiven Asylbescheids. Die Situation im Asylantenheim eskaliert nur deshalb nicht, weil seit der Öffnung der Grenzen erst ein halbes Jahr vergangen ist und die Bewerber noch voller illusionärer Hoffnung sind. Da sie von den Behörden in dieser Zeit weder abschlägige noch ermutigende Signale erhalten, leben sie nach dem Prinzip Hoffnung, wenn auch in latent aggressiver Stimmung.
Nachdem sich die Autorin im Heim etabliert und die dortigen Zustände verarbeitet hat, begibt sie sich in die Umgebung des Heims. Im Dorf rumort es, und die Pegida-Demonstranten reden Tacheles: Angst vor Überfremdung, vor (angeblich) kriminellen Migranten und vor der – eingebildeten – Konkurrenz um die wenigen verbliebenen Frauen im Ort. Vor allem Männer führen das Wort, aber auch die eine oder andere Frau äußert ihre xenophobische Angst mit schriller Stimme. Die Autorin versucht, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, erfährt jedoch deutliche Ablehnung, sobald sie als Journalistin und Unterstützerin der Asylanten erkannt wird.
Zum offenen Eklat und Aufruhr kommt es weder im Heim noch im Dorf. An beiden Orten überwiegen die verbalen Drohungen und Forderungen. Doch Jasna Zajcek erkennt schnell, dass nur der Funke zur Explosion des Pulverfasses fehlt. Eine aggressive Handlung auf einer der beiden Seiten kann zur Katastrophe führen, und die Polizei scheint innerlich eher auf der Seite der Dorfbewohner zu stehen. Kleinere Rangeleien bei öffentlichem Zusammentreffen von Asylanten und Bürgern werden glücklicherweise von einzelnen Vernünftigen auf beiden Seiten beendet, doch die Lunte schwelt.
Nach Ableistung ihrer Stunden kehrt Jasna Zajcek nach Berlin zurück. Sie hat keine Katastrophen erlebt, doch eine von enttäuschten Erwartungen und dumpfer Fremdenangst geprägte Atmosphäre kennengelernt, die jederzeit aus dem Gleichgewicht geraten und zu katastrophalen Folgen führen kann. Ein Patentrezept für die Lösung des Problems hat sie nicht, doch die anfangs eventuell vorhandene Illusion einer euphorischen Willkommenskultur ist ihr aufgrund der ernüchternden Realität auf beiden Seiten der „Asylfront“ gründlich vergangen.
Das Buch ist im Verlag Droemer-Knaur erschienen, umfasst 256 Seiten und kostet 19,99 Euro.
Frank Raudszus
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