Dominik K. Rettinger: „Die Klasse“

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Die Strickmuster erfolgreicher Polit-Thriller gleichen sich meist und ergeben sich zwangsläufig aus dem Buhlen um möglichst hohe Leserakzeptanz. Folgende Aspekte sind dabei zu beachten:

Man konstruiere ein möglichst abscheuliches Verbrechen, das von der „bösen“ Partei geplant wird. Damit erreicht man mit hoher Wahrscheinlichkeit die Identifikation der Leser mit den „Guten“, da Zweifel an der moralischen Bewertung von vornherein ausgeschlossen sind. Dass die „Bösen“ dann auch charakterlich am untersten Ende der Skala stehen, ergibt sich automatisch. Diesen stelle man dann in der Wolle gefärbte Verteidiger der menschlichen Werte entgegen, die zwecks leichterer Identifikation durchaus einige kleinere menschliche Schwächen zeigen dürfen. Die Männer sind dabei oft kernig oder idealistisch, und ihre Frauen sind temperamentvoll, humorvoll und mit praktischer Liebesfähigkeit gesegnet, dürfen aber gerne auch ein wenig frech sein und den Männern die Meinung sagen. Kinder passen ebenfalls in das Strickmuster, aber nur auf der Seite der „Guten“. Dann dürfen sie gerne altklug und tapfer sein.

Dominik K. Rettinger hat alle diese Kriterien für einen erfolgreichen Thriller beachtet und einen spannenden Roman mit vielen „Cliff Hanger“-Situationen geschaffen. Auch wer das Strickmuster verstanden hat, kann sich dem temporeichen, ja: streckenweise atemlosen Duktus dieses Buches nicht entziehen.

Die Handlung siedelt er im heutigen Polen an. Eine amerikanische Fonds-Gesellschaft will umfangreiche Titanerz-Vorkommen erschließen und dabei einen wesentlichen Aktienanteil der zu gründenden Gesellschaft erwerben. Um diesen Coup sicherzustellen, genügt die Bestechung leitender Politiker nicht, da die Vorkommen dummerweise in einem Naturschutzgebiet liegen. Also heuern sie heimlich professionelle Kriminelle an, die hier eine tödliche Umweltkatastrophe inszenieren und damit das Naturschutzgebiet gründlich vernichten sollen.

Der Roman beginnt damit, dass der polnische Direktor dieses Fonds zusammengeschlagen wird und seinen alten Klassenkameraden und Journalisten ins Krankenhaus bittet, um ein Beweisstück zu sichern. Es stellt sich heraus, dass er einen riesigen Geldbetrag des Fonds abgezweigt und ins Ausland transferiert hat. Nach außen wird dies als dreister Diebstahl aus Geldgier dargestellt, doch der Leser vermutet schnell, dass der Direktor im letzten Augenblick eine Art „Reißleine“ gezogen hat, um das düstere Vorhaben zu verhindern. Nun beginnt eine unerbittlich Jagd: die angeheuerten Kriminellen verfolgen den Direktor, um an die Kontonummer und die Zugangsdaten zu kommen, der Journalist jagt mit Hilfe eines anderen Klassenkameraden und Leiters der Spionageabwehr eben diese Kriminellen. Dabei stolpert der Journalist eher zufällig und unfreiwillig, allerdings von professioneller Neugier und Loyalität zu seinem Klassenkameraden getrieben, in das gefährliche Abenteuer. Der Spionageprofi ist dagegen einer von den ganz Harten, der für alles einen Riecher hat und auch den gefährlichsten Situationen wie James Bond mit Kratzern und Glück entkommt. Wie üblich: der „Böse“ schießt knapp dagegen, der „Gute“ trifft – wie im richtigen Leben……

Um die Spannung auf den Höhepunkt zu treiben, flicht der Autor noch mehrere Parallelhandlungen und Personen ein, die mit dem eigentlichen Thema nichts oder wenig zu tun haben. Die Kriminellen entführen Frau und Sohn des Journalisten und drohen mit deren Ermordung, und die kleine Tochter des Spionageprofis verschwindet aus kindlichem Trotz und bringt den liebenden Vater in größte Gewissenskonflikte. Wilde Jagden, Schießereien und Schlägereien sind an der Tagesordnung, und auch Hubschrauber- und Autojagden gehören zum  Programm. Die Korruption zieht sich durch alle politischen Ebenen, so dass der Spionageprofi selbst seinen eigenen Vorgesetzten nicht mehr trauen kann.

Thriller-Kenner ahnen natürlich, dass die Welt am Ende knapp gerettet wird; doch bis es soweit ist, fließt viel Blut, vor allem der „Bösen“ und charakterlich Schwachen. Einige dramaturgische Schwächen sind unübersehbar: so ist die Parallelhandlung mit der kleinen Tochter in keiner Weise mit der eigentlichen Handlung verbunden und dient nur der Erhöhung der Spannung. Die Bedeutung der titelgebenden Schulklasse wird mit einem geradezu unmenschlichen Psychoterror verwoben, der dann am Ende aber in seiner konkreten Bedeutung nicht mehr weitergeführt wird sondern im Sande verläuft. Man hat hier das Gefühl, der Autor habe auch die geheimen Projekte der psychologischen Kriegsführung noch in seinen Roman aufnehmen wollen, aber keinen richtigen Handlungsansatz gefunden. So hängen denn einige Fäden am Ende lose aus dem Buch. Auch die Korruption der politischen Ebene wird hier stets nur als Vermutung der Protagonisten erwähnt, aber am Ende nicht mit Personen und individuellen Motivationen (wenn man nicht summarisch Geldgier heranzieht) belegt.

Wer eine spannende Unterhaltung für Winterabende oder Strandnachmittage sucht und dabei nahe am Weltgeschehen sein will, ohne sich mit langweiligen Analysen des Politikbetriebes herumschlagen zu müssen, der ist mit diesem Buch gut bedient. Spannende Unterhaltung und „Action“ bietet es allemal.

Das Buch ist im Zsolnay-Verlag erschienen, umfasst 479 Seiten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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