Für den krankheitsbedingten Ausfall eines Kammerkonzerts wenige Tage vor dem Termin einen gleichwertigen Ersatz zu finden, ist eine echte Herausforderung. Zu eng sind die Terminkalender der Spitzen-Ensembles – vor allem im Festival-Sommer -, und einen Qualitätsverlust kann man einem verwöhnten Publikum nicht zumuten. Da weckte die Bekanntgabe der kurzfristigen Programmänderung für das 10. Kammerkonzert im ersten Augenblick verständlicherweise Skepsis. Doch, um es gleich vorweg zu sagen: diese Skepsis war nicht gerechtfertigt, denn dem Staatstheater gelang es binnen Tagesfrist, Ersatz aus derselben Quelle zu beschaffen, der eigentlich den belasteten Begriff „Ersatz“ nicht rechtfertigt.
Statt der geplanten Klavier-Trios mit Mark Bouchkov, Adrien Boisseau und Aleksey Shadrin von der „Kronberg Academy“ erschien wegen Boisseaus Erkrankung nur Mark Bouchkov mit einem abgeänderten Programm, bei dem ihn die Pianistin Yumiko Urabe begleitete. Man merkte jedoch vom ersten Augenblick, dass hier nicht ein Ensemble-Musiker mit einem schnell zusammengestellten Notprogramm antrat, sondern dass es sich hier um einen Profi handelte, der jederzeit aus seinem reichen Repertoire ein vergleichbares Programm schöpfen kann, ohne irgendwelche Abstriche machen zu müssen.
Das Programm begann mit Johannes Brahms´ Sonate für Violine und Klavier G-Dur op. 78. Das Stück zeichnet sich durch langgezogene Bögen aus, die weniger ein markantes Thema als vielmehr ein atmosphärisches Klangbild liefern, das typisch ist für Brahms. Seine Kammermusik changiert stets zwischen einer tiefen Wehmut und Sehnsucht, die aber nicht mit der thematischen Eingängigkeit Schuberts sondern mit dem getragenen Ernst des Norddeutschen daherkommt. Brahms vermittelt in seiner Kammermusik stets das Gefühl, einer unrettbar verlorenen Zeit nachzusinnen. Mark Bouchkov formulierte diese zwischen Resignation und Hoffnung changierende Grundstimmung mit viel Gespür für den einzelnen Klang und sein emotionales Gewicht. Dabei ließ er sich bei der Intonation bewusst Zeit und spürte den einzelnen Tönen nach. Vor allem die leisen, fast nicht mehr zu vernehmenden Töne auf den oberen Saiten hatten es ihm angetan und forderten seinen Sinn für die feinsten Verästelungen eines komplexen Gefühlsgemenges aus. Yumiko Urabe trat am Klavier bewusst hinter den Violinisten zurück und ließ ihm damit viel Raum für seine Interpretation.
Das zweite Stück führte Mark Bouchkov alleine auf die Bühne. Johann Sebastian Bachs Chaconne aus der Partita d-Moll fordert einen Geiger bis an seine Grenzen heraus, ist er doch nicht nur ganz allein auf sich gestellt, sondern muss auch die schwierigsten Griff-Kombinationen bewältigen. Darüber hinaus muss er bei diesem durchaus nicht kurzen Stück die Spannung auch ohne die klangliche Vielfalt und Variabilität eines Begleitinstrumentes aufrecht erhalten. Das schaffte Mark Bouchkov, indem er der Chaconne ein gehöriges Maß an Emotionalität mitgab. Der weit verbreiteten traditionellen Art der Bach-Interpretation, die sich durch kühle Distanz auszeichnete, erteilte er damit eine deutliche Absage. Er ließ den Menschen Bach und das Leben des Barocks in diesen Tonfolgen buchstäblich fühlbar werden. Hier begegnen sich Trauer, Klage, Aufbegehren und Freude auf engstem musikalischen Raum, und Mark Bouchkov gelang es, daraus ein faszinierendes Stück von – ja! – programmatischer Musik zu machen, das den Zuhörer keinen Augenblick aus seinem Bann entließ.
Nach der Pause intonierte Mark Bouchkov zuerst die Sonate für Violine op. 20 Nr. 4 des belgischen Geigers und Komponisten Eugène Ysaye, die in vielem An Bachs Chaconne erinnerte, obwohl sie rund hundertfünfzig Jahre jünger ist. Auch hier arbeitete Bouchkov die emotionalen Elemente heraus und zeigte, wie stark der belgische Komponist des späten 19. Jahrhunderts noch den klassischen Traditionen verhaftet war.
Den Abschluss bildete Franz Schuberts Fantasie für Violine und Klavier C-Dur, die vor allem durch ihre eingängigen Themen und die ausgeprägte Ausdrucksbreite besticht. Hier befreite sich Schubert einmal mehr aus den Zwängen der strengen musikalischen Formen und ließ seiner musikalischen Phantasie freien Raum. Sowohl Violine als auch Klavier umspielen das vorgegebene Thema immer wieder auf neue Art und Weise und verleihen ihm dabei jedes Mal durch variable Dynamik und harmonische wie melodische Variationen eine andere emotionale Grundierung. Das dreisätzige Werk ist durchtränkt von der für Schubert typischen melodieträchtigen Wehmut, die jedoch stets eine gewisse Leichtigkeit behält. Auch hier konnte Mark Bouchkov seine technischen wie interpretatorischen Fähigkeiten in vollem Umfang zum Tragen bringen, und diese Möglichkeit nutzte er ohne falschen Überschwang oder gar falsche Sentimentalität mit einer feinen Balance des musikalischen Ausdrucks und einer hohen Dichte des Vortrags. Auch hier folgte ihm das Publikum bis zum Schlussakkord mit gespannter Aufmerksamkeit und forderte mit dem kräftigen Beifall sogar noch erfolgreich eine Zugabe ein, die in der Wiederholung des letzten Teils der Fantasie bestand.
Frank Raudszus
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