Der Jazz gehört als fester Bestandteil zum Programm des Rheingau Musik Festivals, wenn auch die sogenannte „E-Musik“ (noch) den Löwentanteil ausmacht. Dabei steht jedes Jahr auch ein Bigband-Konzert im Cuvée-Hof von Schloss Johannisberg auf dem Programm. Dieses Jahr stand am Sonntag Morgen nach dem Sommerfest eine altbekannte Größe der deutschen Jazz-Szene auf der Bühne: Klaus Doldinger, der seine Band „Passport Classic“ mitgebracht hatte. Um der Veranstaltung mehr Volumen zu verleihen, hatte sich Doldinger zusätzlich die hr-Bigband unter Ed Partyka ins Boot geholt.
Doldingers „Passport Classic“ besteht neben ihm aus vier Musikern: Roberto die Gioia (Keyboard und Piano), Wolfgang Schmid (Bass), Christian Lettner (Schlagzeug) und Ernst Ströer (Percussion). Alle vier haben im Laufe der Jahre viel Preise erspielt und/oder bekleiden Dozentenposten an einschlägigen Musikhochschulen. „Passport Classic“ mit Klaus Doldinger als Bandleader stellt also bereits eine hochklassige Jazz-Formation dar, die auch alleine das Publikum in Begeisterung versetzen könnte. Doch der Cuvée-Hof auf Schloss Johannisberg verlangt angesichts der großen Zuschauerzahl mehr akustische Fülle und Vielfalt. Daher haben „Passport Classic“ und die hr-Bigband für dieses Konzert ein temporäres Ensemble gebildet, das auch den letzten Winkel des großen Hofes akustisch ausleuchtet.
Wer hier die Jazz-Standards aus den „Real“-Alben erwartet hatte, sah sich getäuscht. Klaus Doldinger präsentierte ausschließlich Eigenkompositionen, und zwar mehrheitlich aus seiner älteren Schaffensperiode, sprich: aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. Dieses Konzert war für den mittlerweile Achtzigjährigen eine nostalgische Rückschau auf seine über fünfzigjährige Karriere in der Jazz-Szene. So betätigte er sich auch von Anfang an als unbefangener Conferencier, der nicht nur das jeweils nächste Stück ankündigte, sondern auch Anekdoten und Erkenntnisse aus seinem Leben preisgab. So schloss er seine erste Bekanntschaft mit dem Jazz bereits an seinem achten Geburtstag am 12. Mai 1945 in Oberbayern – und war sofort an diese Musikgattung verloren. Auch ein späteres Musikstudium am Konservatorium in Köln, wo Jazz „musica non grata“ war, konnte ihm diese Liebe nicht mehr austreiben. Zu den einzelnen Stücken dieser Matinée steuerte er erhellende und unterhaltsame Hintergrundinformationen bei.
So weist gleich das erste Stück auf die Frühzeit seiner Karriere hin, trägt es doch den Titel „Handmade“. Man kann sich richtig vorstellen, wie die ersten Jazz-Kompositionen noch buchstäblich „per Hand“ entstanden, ohne Musiksoftware, ohne Midi und ohne computerisiertes Keyboard. Doldinger am Saxophon und der Posaunist der Bigband steuerten die Soli bei diesem vorwärts drängenden Stück bei. Es folgte die – ebenfalls frühe – Eigenkomposition „Abrakadabra“, die angeblich aus Doldingers damaliger Schwäche für Zauberei entstand. Der „Lucky Loser“ des dritten Stücks bezieht sich laut Doldingers eigener Aussage auf Niederlagen, die auch er kannte, die ihn aber eher gestärkt haben. Der temperamentvolle Latin-Rhythmus verweist auf einen tatsächlich fröhlichen Verlierer, der seine Niederlage wegtanzt, und die Soli von Saxophon, Trompete, Posaune und Schlagzeug verliehen diesem Stück zusätzliche Farbe. „Willow-O´the Wisp“ ist ein vorwärts drängender Funk, in dem Doldinger zur Abwechslung auf dem Sopran-Saxophon solierte und bei dem auch der Pianist ausgiebig zu seinem Solo-Recht kam. „Jadoo“ dagegen kommt von Beginn an wie eine weit schwingende Filmmusik daher und geht dann in wilde Rhythmik über. Mit „Waltz of the Jive Cats“ erwies Doldinger auch der Tanzmusik seine Reverenz – wobei das sicher nicht als Einladung zum Tanzen gedacht war.
Doch Doldinger war nie ein Purist des Jazz, der verächtlich auf andere Medien und Stile herabschaute. So pragmatisch und volksnah wie seine Kommentare zu diesem Konzert waren auch seine musikalischen Aktivitäten. Eine seiner bekanntesten Film-Musiken galten dem Film „Das Boot“, und man konnte beim Zuhören nicht nur die gleichmäßigen Geräusche der Maschine (Schlagzeug) sondern auch das grässliche „Ping“ des feindlichen Sonars (Gitarre) identifizieren und sich die angespannte Atmosphäre in einem getauchten U-Boot vorstellen. Nach zwei weiteren frühen Stücken, darunter „Ball of the Jack“, folgte zum Abschluss die zweite Programm-Musik – die Erkennungsmusik zum „Tatort“, hier als vollständige Jazz-Komposition mit mehreren Soli. Der Zuschauer mit „Tatort“-Erfahrung sah sich hier plötzlich einer ganz anderen Wirkungsweise dieses Themas gegenüber: kein Fadenkreuz, keine stechenden blauen Augen, dafür ein ausgefeiltes Arrangement der Themen und Instrumente sowie ausgiebige Soli auf den einzelnen Instrumenten.
Auch der Himmel hatte nach drei Tagen Wind und Regen ein Einsehen und beließ es bei einigen vereinzelten Tropfen gegen Ende des Konzertes. So konnten die Besucher diesen Jazz-Vormittag in vollen Zügen genießen. Man musste allerdings schon Jazz-Liebhaber und möglichst -kenner sein, um dieses Programm entsprechend würdigen zu können. Denn auf die eingängigen Melodien bekannter Jazz-Standards wie „Take the A Train“ oder „Take Five“ wartete man hier vergebens. Dieses Konzert erfüllte nicht die Erwartungshaltung hinsichtlich Wiedererkennung und Mitsummen, sondern forderte aktives Zuhören und Verfolgen der Arrangements und der Solo-Leistungen. Wer dieses Hintergrundwissen besaß und sich auf die Musik Klaus Doldingers und seiner Mitstreitern einließ, verließ den Cuvée-Hof mit einigem Gewinn und hoher Zufriedenheit.
Frank Raudszus
Ich kann dem Kommentar von Frank Raudszus voll zustimmen. Mit meinen 61 Jahren hat Klaus Doldinger und Passport quasi mein Jazz-leben begleitet und die „alten“ Stücke waren eine schöne Reminiszenz an die eher frühen Jahre und ein Kontrast zu seinem Konzert in Hamm 2016. Und mit seinen „aufgeräumten“ Kommentaren schwelgte er in vergangenen Erinnerungen und Begegnungen.
Das Wetter spielte zum Glück mit. Etwas unschön fand ich das einige Zuhörer vor Ende des Konzertes schon aufbrachen und etwas Unruhe entstand. Eventuell war das dem etwas verspäteten Beginn geschuldet.
Klarer Fall – es hat sich gelohnt.
Lieber Herr Erhard,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Es freut mich, dass wir einer Meinung sind. Bei kurzer Durchsicht meines Beitrags habe ich zu meinem Schrecken festgestellt, dass im Titel „Johannisburg“ stand – und gleich korrigiert. Ohne Ihren Kommentar hätte ich das gar nicht gemerkt. Also ein sogenannter „Kollateralnutzen“ 😉
Besuchen Sie heute Abend das Konzert von Michael Wollny? Auf jeden Fall können Sie morgen meinen Bericht darüber lesen.
BTW: ich bin selbst dilettierender Jazz-Pianist in einer Combo
Mit besten Grüßen
Frank Raudszus