In der breiten Palette des musikalischen Angebots bei den Kammerkonzerten des Staatstheaters Darmstadt waren beim 7. Kammerkonzert die Bläser an der Reihe. Dazu war das Veits Quintett mit Sunghyun Cho (Flöte), Kyeong Ham (Oboe), Han Kim (Klarinette), Rie Koyama (Fagott) und Ricardo Silva (Horn) nach Darmstadt gekommen und servierte dem Darmstädter Publikum ein Programm breit gefächerter Bläsermusik, vorwiegend aus dem 20. Jahrhundert.
Wie jedoch fast schon üblich, stand am Anfang ein, oder besser gesagt DER Klassiker: Wolfgang Amadeus Mozart. Seine Fantasia f-Moll entstand ursprünglich für ein „Orgelwerk in einer Uhr“ also einem mechanischen Musikinstrument, war an diesem Abend jedoch als Bearbeitung für ein Bläserquintett zu hören. Das als Trauermusik vorgesehene Stück beginnt mit einem getragenen Adagio und endet auch in diesem Tempo, kurz unterbrochen von einem Allegro. Die fünf Musiker verliehen ihrer Interpretation einen inbrünstigen Ausdruck, ließen dabei jedoch fast ein wenig ironisch den mechanischen Charakter der Urversion durchschimmern.
Danach folgte ein Quintett des tschechisch-jüdischen Komponisten Pavel Haas, der 1944 im Konzentrationslager starb. Die bei Mozart noch ein wenig verspielte Trauermusik wurde hier zum bitteren Ernst, wenn das Stück auch bereits Ende der zwanziger Jahre entstand. Doch in den Köpfen des Publikums verband sich das Wissen um das Schicksal des Komponisten mit dem Eindruck der Trauer, die sich musikalische besonders im zweiten Satz – „Misterioso e triste“ – verdichtet. Der erste Satz ist dagegen tänzerisch bewegt, der dritte rhythmisch akzentuiert, und das Stück endet mit einem choralartigen Maestoso, der in gewisser Weise wiederum an den zweiten Satz anschließt. Diese Komposition zeichnet sich nicht nur durch ihre unterschiedlichen Tempi und die Intensität des Ausdrucks aus, sondern vor allem durch die sorgfältige Gestaltung und Gegenüberstellung der einzelnen Instrumente. War die Mozart-Fantasie noch von einer gewissen Homophonie geprägt, gewannen hier die einzelnen Stimmen Eigenleben. Das Ensemble zeigte bereits hier eine ausgesprochen ausgewogene Spielweise, die kein Instrument bevorzugte und dennoch nicht in einem unstrukturierten „tutti“ verharrte. Jedes Instrument erhielt auch außerhalb kurzer Solo-Passagen die Möglichkeiten der freien Entfaltung, ohne dabei die Mitspieler zu überspielen. Alle fünf Ensemblemitglieder achteten von beginn an darauf, den anderen ausreichend Raum zu lassen. Das führte zu einem farbigen und ausgesprochen dynamischen Klangbild, das keinen Augenblick der Ermüdung kannte.
Samuel Barbers „Summer Music“ aus dem Jahr 1956 beginnt in ähnlichem Stil. Stakkatohafte Motive wiederholen sich in verschiedenen Tempi. Dem lyrische Intermezzo kommt bewegt und expressiv daher und wird abgelöst von tänzerischen Motiven, die durch die Instrumente wandern. Ähnlich wie Haas´Quintett ist auch diese Musik geprägt von der ganz eigenen Grundstimmung des 20. Jahrhunderts, die zwischen Distanz, Melancholie und Zweifel changiert und sowohl das Heiter-Vorwärtsdrängende der Klassik als auch die gefühlsschwere Sehnsucht der Romantik hinter sich lässt. Die fünf Musiker verliehen auch dieser vielschichtigen Musik des Amerikaners einen intensiven Ausdruck, in dem sich das Lebensgefühl der letzten Jahrhundertmitte verdichtete.
Nach der Pause schloss das Ensemble nahtlos an die erste Hälfte an, nun mit Maurice Ravels „Tombeau de Couperin“. Der Gattungsbegriff „tombeau“ bezeichnete in Frankreich lange Zeit Trauermusik für verstorbene Musiker. Ravel hatte dies zu Beginn der Komposition im Jahr 1914 zwar nicht im Sinn, aber in den nächsten Jahren gewann sie durch die Kriegsereignisse geradezu zwangsläufig diesen Charakter. Schon das einleitende „Prélude“ zeigt zwar bewegte Züge, wirkt jedoch dennoch seltsam abwesend. Die „Fugue“ des zweiten Satzes wirkt dagegen ausgesprochen introvertiert und bringt den Aspekt der Trauer deutlich zum Ausdruck. Der dritte Satz dagegen ist von dynamischen Rhythmen geprägt. Die Version für Bläserquintett stammt nicht von Ravel, sondern wurde von Mason Jones verfasst. Das Ensemble hielt auch hier das hohe technische und musikalische Niveau und brachte – wie schon bei den Stücken vor der Pause – vor allem die Eigenarten der einzelnen Instrumente zur Geltung.
Paul Hindemiths „Kleine Kammermusik“ für die vorliegende Besetzung aus dem Jahr 1922 stammt dagegen von dem Komponisten selbst und ist in fünf Sätze unterteilt. Es beginnt mit einem tänzerischen, vorwärts drängenden Satz, dann folgt ein Walzer, der fast wie ein Menuett klingt. Nach einem getragenen Satz folgt eine Kette von schnellen Vierteln, und der Finalsatz glänzt vor allem mit seinen schnellen Rhythmen. Bei diesem vielgestaltigen Werk konnten die Musiker ihr ganzes technisches und musikalisches Können zeigen. Sie verfielen jedoch nie in bloß technische Brillanz, sondern betonten vor allem die musikalischen und interpretatorischen Elemente. Auch hier stand die für das 20. Jahrhundert spezielle, fragende und ratlose Grundstimmung deutlich in den Vordergrund. Diese Musik lässt keinen Augenblick wohlige Gefühle aufkommen, sondern weckt ganz andere Assoziationen und Empfindungen. Erstaunlich, wie diese fünf ausgesprochen jungen Leuten diese so komplexe wie anspruchsvolle Musik, die aus einem ganz anderen historischen Kontext stammt, derart stimmig interpretieren.
Zum Abschluss präsentierten die fünf Musiker dann etwas leichtere, fast heitere Kost. Die Suite „Belle Epoque de Sud -America“ des Brasilianers Julio Medaglia aus dem Jahr 1997 spielt mit typischen südamerikanischen Elementen und beginnt auch gleich mit einem waschechten Tango. Dem folgt ein Walzer, den man wegen seines Temperaments wohl eher einen „Latin Waltz“ nennen muss, und ein lebhafter, ebenfalls südamerikanisch gefärbter Finalsatz rundet das Werk ab. Am Schluss gönnt sich der Komponist sogar ausgesprochen humoristische Passagen, und das Ensemble kostete diese nach all der Karfreitagstrauer – schließlich fand das Konzert am Gründonnerstag statt – nach Herzenslust aus. Die Schlusswendung des Stückes erntete dann sogar noch spontane Lacher aus dem Publikum.
Die Besucher waren von diesem so lebhaften wie musikalisch anspruchsvollen Ensemble und seiner lebhaften Interpretation der verschiedenen Musikstücken ausgesprochen angetan und spendeten kräftigen Beifall. Die Musiker zögerten dann auch nicht lange und spielten gleich noch als Zugabe ein Stück von Jacques Ibert, das sich nahtlos in das Programm dieses Abends einfügte.
Frank Raudszus
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