Diese Rezension kann nur einen Teileindruck der Darmstädter Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ liefern, da der Rezensent aufgrund eines Irrtums über den Beginn nur einen Teil der Aufführung sehen konnte. Diese eingeschränkte Präsenz reichte jedoch bereits, um einen Eindruck von dieser Inszenierung zu gewinnen, verdichten sich doch gerade zum Schluss hin alle Elemente und führen zu einem intensiven, fast weihevollen Finale.
Bei Wagner dreht sich vom Beginn seines Opernschaffens an alles um die Erlösung des Menschen von den Widersprüchen und Leiden des Lebens. Das beginnt mit der Erlösung des „Fliegenden Holländers“ von seiner zwanghaften Geisterfahrt durch die Weltmeere und endet im „Parsifal“ mit der Erlösung des Gralskönigs Amfortas. Zwischen diesen beiden, wesentlich näher am „Holländer“ als am „Parsifal“, entstand „Tannhäuser“, bei dem es um die leidvolle Wandlung eines Mannes vom Hedonisten zum Gläubigen geht.
Tannhäuser hat sich im „Venusberg“, einer metaphorischen Hochburg der Sinnlichkeit, den sexuellen Lüsten hingegeben, weil er nur im Ausleben der Sinne das Ziel des Lebens sieht. Während eines Sängerwettbewerbs auf der Wartburg lernt er Elisabeth kennen und lieben. Sie erwidert seine Liebe, doch das Glück wird jäh unterbrochen, als Tannhäusers Zeit auf dem Venusberg ruchbar wird. Er wird öffentlich geächtet und muss nach Rom pilgern, um dort Absolution zu erlangen. Nach langer Wanderung, während der Elisabeth um ihn trauert, kehrt er ohne die Absolution zurück und will aus Enttäuschung zurück auf den Venusberg. In einer dramatischen Szene mit Wolfram bringt ihn dieser von dem Entschluss ab, indem er ihm mitteilt, dass Elisabeth ihr Leben gegen seine Erlösung eingetauscht hat. Tannhäuser stirbt erlöst und im Vertrauen auf Gott.
Diese schwere Kost aus Verirrung, Buße und Erlösung hat Richard Wagner mit einer mal rauschenden, mal intensiv lyrischen Musik vertont, die jederzeit auch eine rein konzertante Aufführung rechtfertigt. Bereits hier löst er sich von seiner romantischen Zeit mit eher „beschwingten“ musikalischen Mustern, die noch Elemente der Klassik und der Frühromantik in sich tragen. Im „Tannhäuser“ steht die Intensität der psychischen Situation im Vordergrund, die weniger die vordergründige Dramatik als die innere Spannung zum Ausdruck bringt. Auch die „sündigen“ Elemente werden hier nicht als menschliche Schwächen gezeigt, sondern als große Verführung mit geradezu mephistophelischen Züge. Dabei geht es nicht um ein wenig liederliche Lust sondern um alles: den Verlust des Seelenheils für den kurzen Genuss des sinnlichen Rausches.
Regisseur Amir Reza Koohestani hat das Stück in einem zeitlosen Ambiente angesiedelt. Das Bühnenbild von Mitra Nadjmabadi ist auf wenige Elemente reduziert, die keine Rückschlüsse auf die historische Epoche erlauben. Mal ziert ein großes Bett mit Baldachin die Bühne, mal eine Treppenkonstruktion mit einigen Lichtelementen, mal eine überdachte Konstruktion, die sowohl einen Wald als auch die engen Gassen einer kleinen Stadt darstellen können. Historische Aha-Effekte vermeidet diese Inszenierung bewusst, um die Zeitlosigkeit der Thematik herauszuarbeiten.
Den Bühnenhintergrund nimmt eine große Leinwand ein, die über einen großen Teil der Aufführung Videobilder der jeweiligen Szene wiedergibt. Dazu nehmen Kameras auf der Bühne die jeweilige Konstellation auf. Nachdem Frank Castorf diese Technik in der Berliner Volksbühne fast zu Tode geritten hatte, dachte man, diese Periode sei vorbei. Doch Koohestani lässt sie wieder aufleben, nicht unbedingt zum Nutzen der Inszenierung. Der einzige Vorteil dieser Verdoppelung besteht darin, die Schauspieler in Großformat zu sehen. Doch abgesehen von der Tatsache, dass die Kamera gerne einmal den halben Kopf eines Darstellers abschneidet, lenken die Videobilder von den lebenden Personen auf der Bühne ab. Die bloße Präsenz der Videobilder lässt das originale Bühnengeschehen zweitrangig erscheinen. „Am farbgen Abbild haben wir das Leben“ – denkt der Regisseur, und zeigt damit doch nur einen Abklatsch der Bühnenhandlung. Ihre stärkste Wirkung entfaltet diese Leinwand, wenn sie nur eine farbliche Fläche wiedergibt. Im letzten Aufzug ist dies der Fall, wenn als Metapher der Lusthölle des Venusbergs ein intensives Rot über die Leinwand wabert oder wenn ein reines Weiß die erlösende Absolution ausstrahlt. Dann übertrumpft die Leinwand nicht das Bühnengeschehen sondern unterstreicht es eindrucksvoll.
Die Kostüme fügen sich nahtlos in die überzeitliche, jede vordergründige Aktualisierung vermeidende Inszenierung ein. Die schlichte bis strenge Kleidung der Figuren symbolisiert darüber hinaus die jeweilige Rolle. So erscheint Elisabeth (Edith Haller) überwiegend in einem langen weißen Hemd, was für die Reinheit dieser Figur steht. Dagegen trägt Venus (Tuija Knithtilä), die Herrscherin des Sündenpfuhls Venusbergs, ein hautenges rotes Kleid in großem Ausschnitt, wie es auch gerne einschlägige Frauenfiguren des Kinos zur Schau tragen. Wolfram von Eschenbach (David Pichlmaier) erscheint im schwarzen Ornat eines Priesters, das seinen beschwörend regelgetreuen Charakter widerspiegelt. Tannhäuser (Deniz Yilmaz) dagegen tritt in verschiedenen nonkonformistischen Kostümen vom Lebemann zum aschgrauen Pilger auf. Der Chor komplettiert dieses Bild durch überwiegend strenge Kostüme in dunklen Farben, die Enge einer mittelalterlichen, ständischen Gesellschaft versinnbildlichen, ohne in puren Historismus zu verfallen.
Die darstellerischen und sängerischen Leistungen bewegen sich durchweg auf hohem Niveau. Deniz Yilmaz beeindruckt mit einem weichen, modulationsfähigen Tenor und hält die darstellerische Spannung auch in längeren Einzelauftritten – etwa im letzten Aufzug – mit leichten Abstrichen aufrecht. Als sein Gegenüber nicht nur in dieser Szene zeigt David Pichlmaier als Wolfram eine mehr als überzeugende Leistung. Er moduliert seinen Gesangstext mit feinsten Ausdrucksvariationen, bewahrt dabei stets hohe Präsenz und – vor allem! – Verständlichkeit. Er beherrscht die Bühne auch in scheinbar weniger zentralen Szenen und verleiht diesen dadurch besonderes Gewicht. Edith Hallers Sopran wirkt in keinem Augenblick angestrengt, und ihre Rolle gewinnt durch die konzentrierte und doch mühelose Art der Darstellung an Kontur. Tuija Knihtilä hat an der Rolle der lasziven Venus offensichtlich Spaß und spielt sie voll aus, ohne jedoch auch nur einen Augenblick stimmlich oder darstellerisch zu übertreiben, was bei dieser Rolle leicht in die Lächerlichkeit umschlagen könnte.
Der Chor, von Thomas Eitler-de-Lint wieder einmal hervorragend eingestellt, verleiht dieser Inszenierung eine entscheidende Wendung ins Allgemeine, Zeitlose. Mal drohend-düster, mal klagend, mal befreit als Chor der Pilger, dann wieder rauschhaft in der apotheotischen Finalszene. Wagner hat die Musik zum Gänsehautrieseln geschrieben, und dieser Chor zelebriert sie förmlich.
Für das Orchester gilt Ähnliches wie für den Chor. Will Humburg gelingt dabei das Kunststück, den Sängern genügend akustischen Raum für die verständliche Artikulation des Textes zu gewähren und dennoch Wagner keinen einzigen Augenblick zu verraten, indem er das Orchester zu stark zurücknimmt. Die intensiven, spannungsgeladenen Figuren einzelner Instrumentengruppen gelingen ebenso überzeugend wie die weit ausholenden Tutti in den dramatischen Szenen. Wieder einmal hat sich an dieser Intonation die Auffassung bestätigt, dass Wagners Musik wie eine Droge wirken kann. Sie muss nur entsprechend zubereitet und serviert werden.
Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert und geizte nicht mit „Bravos“ für die Darsteller. Bei der Regie übertrumpften die „Bravo“-Rufer auch deutlich die dennoch wahrnehmbaren „Buh“-Rufer, die es erfahrungsgemäß bei Wagner-Inszenierungen immer gibt. Der Rezensent hat sich jedenfalls geschworen, die fehlenden Teile bei der nächsten Gelegenheit nachzuholen.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Wolfgang Runkel
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