Wer im April verreisen will, steht vor einem durchaus diskussionswerten Problem: nach einem langen mitteleuropäischen Winter lockt die Aussicht auf Wärme, Sonnenschein und Strandfreuden. Doch die Wege dorthin sind in dieser Jahreszeit weit, die langen Flüge daher nicht gerade angenehm und meist ausgebucht. Da bietet sich die Alternative an, auf Strandurlaub ganz zu verzichten und einmal das Innere eines europäischen Landes kennenzulernen. Zentralspanien – die Region um Madrid herum – ist so ein Gebiet, dass man bei der sonstigen Urlaubsplanung gerne links liegen lässt.
Madrid und der Prado
Flüge nach Madrid stellen auch um die Osterzeit kein Problem dar, so dass man sich entspannt angenehme Abflugzeiten aussuchen kann. Wir landen am 31. März auf dem Flughafen Barajas und beziehen bei sonnigem, wenn auch kühlem Wetter unser kleines Hotel am Rande der Altstadt. Von hier aus können wir alle wichtigen Örtlichkeiten Madrids fußläufig erreichen. Wenn man westlich entlang der Calle Arenal flaniert, gelangt man schließlich zum Prado, dem berühmten Museum. Ein Besuch dieser Sehenswürdigkeit darf natürlich bei einer Madridreise nicht fehlen. Da noch Nebensaison herrscht, stellt der Zutritt kein Problem dar, und auch im Inneren hat man trotz guten Besuches stets eine gute Sicht auf die Bilder. Hier könnte man tagelang verbringen, doch in unserer Reiseplanung sind für Madrid nur zwei volle Tage vorgesehen. So müssen wir uns mit einem Vormittag begnügen, erhalten dabei jedoch zumindest einen ersten Eindruck von den gewaltigen Kulturschätzen dieses Museums.
Eine weitere Attraktion spanischer Städte ist die „Plaza Mayor“, der zentrale Marktplatz, auf dem sich das Leben verdichtet wie das Licht in einem Brennglas. Da die alten Bauten nie zerstört wurden und offensichtlich gut gepflegt werden, ist die „Plaza Mayor“ in den meisten Städten ein wahres Schmuckstück. So auch in Madrid, wo der Platz etwas südlich von der stark befahrenen Calle Mayor liegt. Natürlich ist der Platz autofrei, so dass man genüsslich über den Platz oder entlang der Arkaden mit ihren vielen Cafés, Restaurants und Boutiquen flanieren kann. Zwischen der Calle Arenal und der Plaza Mayor erstreckt sich die Altstadt mit winkligen, teilweise autofreien Gassen, vielen Tapas-Bars, kleinen Restaurants und Markthallen. An sonnigen Tagen – uns ist dieses Glück beschert – flaniert hier halb Madrid und sucht Abwechslung.
Der Aquädukt von Segovia
Segovia liegt etwa hundert Kilometer nordwestlich von Madrid. Normalerweise würde die Fahrt dorthin auf einer Autobahn etwa eine Stunde dauern. Doch so einfach geht es hier nicht, vor allem, wenn man die landschaftlich reizvollere Strecke durch den Nationalpark und über den Pass bei Navacerrada wählt. Denn nördlich von Madrid erstreckt sich die Sierra de Guadarrama von West nach Ost mit Höhen von über 2000 Metern, und auf den Gipfeln und hoch gelegenen Hängen liegt auch im April noch Schnee. So führt die Landstraße M601 über viele Serpentinen hoch nach Navacerrada, wo die ganz hartnäckigen Skifans auch im April noch auf bereits stark reduzierten Pisten ihre Kurven fahren. Entsprechend kühl ist es auf dem Pass, und nach einem kurzen Rundgang durch den jetzt doch recht ausgestorbenen Wintersportort geht es jetzt die Serpentinen hinab Richtung Segovia. Je weiter der Weg bergab führt, desto frühlingshafter wird die Umgebung, und im Tal schließlich, bei La Granja de S. Ildefonso, erinnert nur noch ein kühler Wind daran, dass wir gerade aus einem Wintersportgebiet kommen. Voraus grüßt uns schon Segovia unter einem strahlend blauen Himmel.
Die Hauptattraktion von Segovia, einer Stadt von etwa 50.000 Einwohnern, ist der römische Aquädukt aus dem 1. und 2. nachchristlichen Jahrhundert. Er überspannt in imposanter Höhe das Tal, an dessen Hänge sich der Ort schmiegt, und vermittelt wegen seiner weitgehend erhaltenen Struktur den Eindruck, heute noch das benötigte Wasser zu transportieren – was natürlich nicht der Fall ist. Dort, wo der Aquädukt an einem Hang endet, erhebt sich die Altstadt von Segovia, denn bis hierher musste das Wasser aus der Sierra de Guadarrama transportiert werden. Geht man die ansteigende, nur schwach von Autos befahrene Hauptstraße aufwärts, gelangt man erst zu der eindrucksvollen Kathedrale, die mit ihren vielen spitzen Türmen und der zentralen Kuppel das Stadtbild prägt, und dann zum Alcazar, der alten Trutzburg, die im Mittelalter der Bevölkerung Schutz gegen feindliche Heere oder marodierende Banden bot. Beide Gebäude sollten zum Pflichtprogramm von Segovia-Besuchern gehören, denn Spanien hat sich bei der Restaurierung dieser Bauten viel Mühe gegeben.
Die Tatsache, dass Segovia trotz seiner historischen Sehenswürdigkeiten nicht zu den touristischen „Kernobjekten“ Spaniens gehört, schlägt sich auch in den gastronomischen Preisen nieder. Hier kann man noch in authentischem Ambiente gut und preiswert essen gehen, ohne den Reise-Etat übermäßig zu beanspruchen. Außerdem bewegt man sich nicht in einem endlosen Strom von Besuchern mit gezückten Foto-Handys.
Salamanca, die älteste Universität Spaniens
Nach zwei Tagen in Segovia brechen wir zu neuen Ufern auf. Das nächste Ziel ist das knapp zweihundert Kilometer westlich gelegene Salamanca. Trotz seiner im Vergleich zu Segovia fast dreimal größeren Bevölkerung vermittelt es noch den Eindruck einer organisch gewachsenen Stadt mit einem historischen Zentrum, das sich am Nordufer des Flusses Tormes erhebt. Wir beziehen ein kleines, aber feines Hotel am Ufer des Tormes. Früher diente es als kleiner Palast für wohlhabende Adlige, heute kommt ein vergleichbares Ambiente den Gästen zugute. Neben dem großzügigen und edlen Foyer besticht vor allem der beinahe familiär wirkende Frühstücksraum mit seiner edlen Ausstattung und dem reichhaltigen Angebot.
Von hier aus gelangt man in etwa fünfzehn Minuten durch die Altstadt, vorbei an der Kathedrale und der Universität. Letztere gilt als die älteste Universität Spaniens, integriert sich vollständig in das historische Stadtbild und beherbergt 40.000 Studenten. Wenige Gehminuten weiter nördlich liegt die rechteckige „Plaza Mayor“, die durch ihre großzügige Weite und historisch einheitliche Randbebauung beeindruckt. Hier versammelt sich Salamanca spätestens zur Mittagszeit, wenn die vielen kleinen Restaurants ihre preiswerten Menüs anbieten. Bei entsprechender Witterung kann man hier jedoch bis in den Abend hinein sitzen und je nach Tageszeit entweder einen Cafe con Leche oder einen Vino Tinto schlürfen. Zu sehen gibt es auf dem Platz immer etwas, seien es Gaukler oder Akrobaten oder gar jugendliche Fußballspieler, die jedoch bald von den unauffälligen Sicherheitskräften ermahnt werden. Natürlich sollte man hier unbedingt die Kathedrale gesehen haben und auch die Universität mit ihren lauschigen Innenhöfen und wechselnden Ausstellungen nicht vergessen. Und die kleinen Gassen um Plaza Mayor, Universität und Kathedrale sind stets einen ausgedehnten Spaziergang wert.
Trujillo und der Nationalpark
Das nächste Ziel auf unserer Reise ist der kleine Ort Trujillo etwa 250 Kilometer südlich von Salamanca. Auf dem Weg dorthin sollte man sich den Umweg über La Alberca gönnen, einem kleinen Dorf in den Bergen südwestlich von Salamanca. Nicht nur die dicht bewaldete Berglandschaft lohnt den Besuch des abgelegenen Dorfes, sondern auch dessen Ursprünglichkeit, die nur zaghaft durch kleine Souvenirläden erschlossen wird und dadurch weitgehend erhalten bleibt. Enge Gassen mit einfachen historischen Häusern, ein kleiner Ortskern und ein recht bescheidenes touristisches Angebot lassen dieses Dorf als eine Erinnerung an ein altes, authentisches – aber auch armes – Spanien erscheinen. Man merkt, dass hier vorwiegend Spanier herreisen, die in der Mittelgebirgslandschaft Ruhe und Besinnung suchen.
Den weiteren Weg nach Cáceres, der letzten größeren Stadt vor Trujillo, sollte man jedoch nicht einfach dem Navigationssystem überlassen. Das führt einen zwar durch die wunderschönen, kleinen und abgelegenen Bergdörfer der Estremadura, aber auch über viele Serpentinen und kleine Pässen rauf und runter, so dass sich die Fahrt ins Unendliche zu dehnen scheint. Wer die schnellere Variante vorzieht, sollte zurück zur E803 fahren und auf dieser den direkten Weg nach Cáceres nehmen. Dort kann man ein wenig durch den Ort flanieren, etwas Stadtluft schnuppern (knapp 100.000 Einwohner) und in den kleinen Gassen der Altstadt ein passendes Restaurant suchen.
Von Cáceres sind es dann nur noch knapp fünfzig Kilometer bis nach Trujillo, wo wir auf einer Finca unterkommen. Der ehemalige Bauernhof liegt malerisch mitten auf dem Lande, eingerahmt von alten Bäumen und mit einem schönen Ausblick ins Umland. Die Zimmer und vor allem der Speiseraum spiegeln mit ihren naturbelassenen Wänden und der rustikalen Ausstattung das Ambiente spanischer Landhäuser wider, und man fühlt sich hier in jeder Beziehung wohl aufgehoben. Von hier aus sollte man unbedingt einen Tagesausflug in den „Parque Nacional de Monfrague“ etwa dreißig Kilometer nördlich von Trujillo unternehmen. Der gut ausgezeichnete Wanderweg führt – teilweise auch als schmaler Trampelpfad – von dem kleinen Bergort Villareal de San Carlos durch Schluchten und an weiten Hängen entlang hoch bis auf einen Gipfel mit einem herrlichen Ausblick auf die umliegende Berglandschaft und die glitzernde Wasserfläche des Tajo, der in weiten Windungen durch den Nationalpark strömt. Nach dieser Wanderung durch die kastilische Berglandschaft schmecken dann ein spanisches Abendessen und ein spanischer Rotwein doppelt gut.
Toledo und Don Quichote
Die letzte Station unserer Reise durch Zentralspanien führt etwa zweihundert Kilometer östlich nach Toledo mitten in der Region „La Mancha“, die Literaturfreunden aus Cervantes´ Roman „Don Quichote“ bekannt ist. Auf der Fahrt dorthin sieht man tatsächlich die Windmühlen, die durch die Literatur des Spaniers eine solche metaphorische Bedeutung erlangt haben. Wir verzichten jedoch – auch mangels entsprechender Waffen – auf einen direkten Angriff und lassen die Windmühlenflügel sich ruhig weiterdrehen. Toledo kündigt sich schon weitem deutlich in der flachen Landschaft der „Mancha“ ab, da es auf einem ausgeprägten Felsplateau liegt, auf dessen höchstem Punkt die Kathedrale buchstäblich thront. Die Wirklichkeit ist bisweilen plakativer und holzschnittartiger als jede Fiktion. Das hohe Felsplateau mit der zentralen Kathedrale und dem malerisch daran vorbei fließendem Tajo bietet sich geradezu an für spektakuläre Postkarten. Wir kommen in einem von dichter Vegetation umstandenen Sterne-Hotel direkt am Fuße des Plateaus unter. Wenige Meter neben dem Hotel führt eine mehrstufige Rolltreppe die Felswand empor bis zum Beginn der Altstadt. Hier halten morgens ab neun Uhr im Fünfminutentakt die Touristenbusse der umliegenden Hotels, um Besucher aus allen Erdteilen auszuspucken. Man sollte morgens möglichst früh zur Altstadt aufbrechen, da sich bereits gegen elf Uhr morgens ein dichter Strom von Touristen durch die schmale Calle Commercio mit ihren vielen Läden und Restaurants drängt.
Auch die umliegenden Gassen und Plätze sind spätestens mittags gefüllt, da Toledo als Hochburg der spanischen Geschichte offensichtlich eine unwiderstehliche magnetische Kraft auf Reiselustige aus aller Welt ausübt. Das ist jedoch nachvollziehbar, da sich hier ein historisches Gebäude an das nächste reiht und die Plätze sich um den Titel der eindrucksvollsten historischen Sehenswürdigkeiten streiten. Hinter jeder Straßenecke öffnet sich ein neuer reizvoller Ausblick auf die Schönheiten der alten Stadt, und neben der unbedingt zum Pflichtprogramm gehörenden Kathedrale, für die der Zugang übrigens selbst in der Nebensaison durch spezielle, in einem Laden zu lösende Eintrittskarten gesteuert wird, laden eine ganze Reihe weiterer historischer Gebäude und Museen zur Besichtigung ein. Und wer keine Lust auf die Rundgänge durch Arkaden, Haupt- und Seitenschiffe sowie kühle Hallen hat, der kann ganz einfach durch die Gassen schlendern, hier einen Cafe con Leche, dort ein leckeres spanisches Gebäck oder gar einen dunklen Rotwein zu sich nehmen. Gemütliche Restaurants und Cafés jeglicher Art gibt es hier in Hülle und Fülle, und auch dort gibt es viel zu schauen und zu lernen von spanischer Lebensart, selbst wenn die meisten Besucher Touristen wie wir sind.
Die schönen Tage von Aranjuez….
Der Weg von Toledo zurück zum Flughafen Barajas in Madrid führt vorbei an Schloss Aranjuez, dem ehemaligen Sommersitz der spanischen Könige. Wer denkt da nicht an Schillers „Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende“? Also gönnen wir uns noch einen Abstecher, da an diesem Abreisetag noch genügend Zeit bleibt bis zum Start des Flugzeugs. Also halten wir noch einmal in dem kleinen Ort Aranjuez, der sich um die weitläufige Schlossanlage ausbreitet, und laufen durch den Schlosspark und um die repräsentativen Gebäude. Die Bevölkerung nimmt den Park offensichtlich gut an, denn selbst mitten in der Woche in der Nebensaison sieht man hier viele Spaziergänger, Familien und junge Frauen mit Kinderwagen. Auch der Ort selbst mit seinem kleinen Zentrum und der ruhigen Endlage ohne großen Durchgangsverkehr ist einen Rundgang und einen abschließenden Kaffee wert. Doch irgendwann endet jede Reise, und auch unserer Rückflug rückt näher. Ohne Probleme erreichen wir Barajas und werfen wenige Stunden später bereits einen – vorerst – letzten Blick von oben auf Madrid und die nähere Umgebung.
Frank Raudszus
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