Das St. Pauli Theater präsentiert ein Drama voller Verlangen, Liebe und Eitelkeiten
Der Aufsatz klingt vielversprechend. Eine Schauspielerfamilie zieht sich auf Ihren Landsitz zurück – nicht zuletzt um der Tochter zu gedenken, die bereits in der Mitte ihres Lebens das Diesseits viel zu früh verlassen musste. Doch ihr Mann, der Schwiegersohn, kommt nach kaum einem Jahr bereits mit einer neuen Geliebten. Es stellt sich sogar heraus, dass Nelly bereits seine Verlobte ist! Um dieser Konstellation ein wenig zusätzliche Würze zu verleihen, empfindet die Enkeltochter Susie, die Tochter der Verstorbenen, es selbstredend als unerträglich, dass ihr Vater Walter bereits die Mutter ersetzt hat. Nelly ist dann auch wiederum keine ganz so neue Erscheinung für die Familie, denn sie hatte bereits vor Jahren ein kurzes Tête-a-tête mit Elliot, dem Bruder der Verstorbenen. Elliot hängt dieser damaligen Fast-Liebschaft noch mit sehnsuchtsverzerrtem Blick nach, und Nellys Anwesenheit ist der Windstoß, der aus der kleinen verbliebenen Glut der Zuneigung ein loderndes Feuer des Verlangens entfacht. Den Familienclan komplettiert Anna, die Mutter, Großmutter und auch Übermutter, was den schauspielerischen Erfolg angeht. Doch ihr Stern verblasst bereits seit geraumer Zeit, und sie muss sich mit ebenso großmütterlichen Rollen begnügen. Umso stärker ist ihr Wille, jung zu sein und jung zu lieben. So ergreift Anna die Chance, als sie den überaus erfolgreichen und unglaublich gut aussehenden Schauspieler Michael in ihr Haus lotsen kann. Welch ein Pech, dass sein Hotelzimmer in der Nähe aktuell nicht bewohnbar war und Michael sehr gerne einige Tage die familiäre Atmosphäre im „Haus auf dem Land“ genießen möchte….
So komponieren sich nun also Situation und Beziehungsgeflecht peu à peu in dem „Haus auf dem Land“ von Donald Margulies. Jede Figur hat dabei zum einen seine eigenen Ziele und ist nebenbei in etwas Anderes verstrickt. Susie (Janina Stopper) spielt die Verfechterin für Anstand und Ehre und möchte deshalb zu allererst nicht von Nelly bei ihrem Kosenamen gerufen werden. Der gilt nur für die Familie! Zudem hält sie Topstar Michael (Christian Schmidt) eine Predigt über seine Modellfreundinnen, wobei sehr schnell ersichtlich wird, dass sie selbst über beide Ohren in ihn verliebt ist. Michael ist lebensfroh und gibt sich bescheiden. Er sonnt sich aber sichtlich in der guten Laune seines Erfolgs. Enkelin Susie und Großmutter Anna (Judy Winter) kreisen ebenso um ihn wie Nelly, aber ein geübter Charmeur weiß, wie er die Situationen meistert und Gelegenheiten nutzt. Elliot (Heikko Deutschmann) kämpft wie ein Berserker um Nelly (Anika Mauer) und versucht, sie den Fängen seines Schwagers Walter zu entreißen. Doch es liegen unüberwindbare Welten zwischen Nellys und Elliots Sichtweisen auf die sich überkreuzende Vergangenheit und das, was die Zukunft bringt. Elliot war zudem nie ein erfolgreicher Schauspieler – wenn er denn überhaupt einer war. Nun versucht er sein Glück als Regisseur, was das Erstaunen der Familie über seinen diffizilen Charakter nur noch mehr befördert. Letztlich bleibt nur Walter (Michael Mendl) etwas blass und ohne besonderen eigenen Antrieb in der Konstellation. Er hat seine Karriere sichtlich hinter sich und erfreut sich an seiner Verlobten.
„Haus auf dem Land“ ist Drama und Komödie zugleich – Ernsthaftigkeit, Liebe, Witz und Trauer wechseln sich immer wieder ab. Es ist letztlich keine klare Linie erkennbar, was das Stück aussagen möchte aber, eben diese Verwirrung ist wohl Teil des schauspielerischen Lebens, wo sich die Akteure selbst rasend schnell in andere Personen verwandeln und in deren Denkweise hineinversetzen müssen. Wer also kein gradliniges Stück, sondern etwas durchmengtes reales Chaos sucht, wird sich bei diesem Stück sehr gut aufgehoben fühlen.
Malte Raudszus
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