Diese Ausstellung passt wahrlich wieder einmal in die aktuelle politische Landschaft, denn sie besteht im Grunde genommen aus einer systematischen Verdrehung der Wirklichkeit. Die ausgestellten Bilder ignorieren die Gesetze der Physik, des Raumes und der realen Objekte ebenso wie die Sehgewohnheiten und das tradierte ästhetische Empfinden des Publikums.
Der Belgier René Magritte (1898-1967) wurde in die Welt des späten Impressionismus hineingeboren und erlebte alle darauf folgenden Stilrichtungen wie Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus, Fauvismus und was der „Ismen“ noch mehr sind. Vielen Kunstfreunden mag er nur als surrealer Maler bekannt sein, über dessen seltsame Bilder man sich amüsiert und den man eher als Spaßvogel der bildenden Kunst wahrnimmt. Dass er sich weniger als Maler denn als Philosoph sah, der die Welt mithilfe der Malerei aufbrach und ihr völlig neue Perspektiven entlockte, wissen wahrscheinlich nur Eingewohnte der Kunstszene und -historie. Die Ausstellung hat es sich zum Ziel gesetzt, die philosophische, aufklärerische und provokative Seite des scheinbaren Sonderlings in den Vordergrund zu stellen und so dem Künstler und Intellektuellen René Magritte gerecht zu werden.
Magritte wuchs zu Beginn der zwanziger Jahre in die Bewegungen des Dadaismus und des Surrealismus förmlich hinein, blieb jedoch mit einem Teil seines Wesens einem bürgerlichen Leben verbunden, da er eine Familie zu ernähren hatte. Das tat er Jahre lang als Werbezeichner, was ihm schwere Vorwürfe konsequenterer Künstlerkollegen einbrachte. Magritte ließ sich jedoch durch diese Anfeindungen, etwa eines André Bréton, nicht beirren, und folgte seinen eigenen Lebensprinzipien sowohl hinsichtlich seines Lebensstils als auch seiner künstlerischen Ausrichtung.
Der erwähnte André Bréton wurde zwangsläufig auch künstlerisch ein Antipode, weil er einer Denkrichtung nahestand, die einer klaren Hierarchie der Künste das Wort redete. In dieser Hierarchie nahm die Poesie die höchste und die Malerei die niedrigste Stellung ein. Die Surrealisten gingen bei ihrer Argumentation bis auf Platon zurück, der die Bilder bekanntlich als irreführende „Schatten der Realität“ bezeichnet hatte. Magritte wehrte sich gegen diese Einordnung, und obwohl er wahrscheinlich aufgrund seiner Intellektualität leicht eine führende Stellung bei den „Poetikern“ hätte einnehmen können, blieb er der Malerei treu und setzte seine Ideen konsequent in diesem Bereich um.
Waren frühe Werke noch vom Impressionismus und später vom Fauvismus geprägt, so folgte er später konsequent einem surrealistischen Prinzip, das die Wirklichkeit durch überraschende Brechungen in Frage stellte oder die Bedeutung von Dingen durch unerwartete Kontexte hinterfragte. Dabei durchzieht viele Bilder ein hintergründiger Humor, und die stille Ironie ist ebenfalls ein grundlegender Bestandteil vieler Bilder. Eins seiner bekanntesten Bilder ist das Abbild einer Pfeife mit dem Text „Ce n´est pas une pipe“. Magritte greift dort den Linguisten und Strukturalisten des 20. Jahrhunderts vor, die den Unterschied zwischen „Bezeichner“ und „Bezeichnetem“ philosophisch herausgearbeitet haben. Insofern ist Magrittes Bild noch nicht einmal surrealistisch, denn es sagt lediglich, dass das Abbild einer Pfeife keine Pfeife ist. Schließlich kann man aus dem Bild nicht rauchen. Eine solche „Dekonstruktion“ von Dingen war jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts ungewohnt und geradezu revolutionäre, so dass man Bilder wie dieses eher als surrealistischen Spaß oder Provokation betrachtete – ja nachdem.
Frühe Bilder weisen noch eine vordergründig humoristische wie kritische Komponente auf, so etwa, wenn das Huhn, das eben ein Ei gelegt hat, ein Frühstücksei im Eierbecher fragend betrachtet. Später dann löst sich Magritte von dieser vordergründigen Metaphorik und bricht das traditionelle Kunstverständnis auf. Vor allem den Raum stellt er radikal in Frage, wenn er etwa den blauen Himmel eine scheinbar traditionellen Bildes in blaue Würfel und Quader auflöst, die sich in mehreren Ebenen überlappen und dabei auch zirkuläre Strukturen entwickeln, die den Betrachter buchstäblich in eine fremde Welt stürzen lassen.
Auch die „Guckkasten-Perspektive“ des Menschen auf die Welt spielt bei Magritte immer wieder eine zentrale Rolle. Die eingeschränkte Sicht des menschen auf die Realität – bedingt durch die Ausgestaltung seiner Sinne, seine Gewohnheiten und Vorurteile – schlägt sich mal in Bildkompositionen nieder, bei denen ein Bild auf einer Staffelei exakt einen Bildausschnitt wiedergibt, dann wieder in Vordergründen, die durch unerwartete Drehungen auch zum Hintergrund werden, oder in Theatervorhängen, die gleichzeitig Vorhang wie Bühnenbild beinhalten. In all diesen Fällen vertauschen Rahmen und Inhalt, Vorhang und Bühne in einer Art Vexierspiel permanent die Rollen, je nachdem, welche Sichtweise der Betrachter gerade annimmt. Doch selbst diese seine Entscheidung kann er gegen das Bild nicht aufrecht erhalten, weil dieses ihm immer wieder auch die Gegenteilige aufdrängt. Der Reiz und das gleichzeitig Abgründige dieser Kompositionen liegt darin, dass sich die einzelnen Bildelemente widersprechen und gemeinsam ein unauflösbares Paradox bilden.
Ein typisches Beispiel dieser Vexierbilder ist die „Reiterin im Wald“, bei der sich Bäume und Hintergrund in einer perspektivisch „kontrafaktische“ Weise mal vor und mal hinter die Reiterin schieben. Hier wird ein Raum geschaffen, der alle vertrauten Eigenschaften verliert und sowohl den Bildgegenstand als auch den Betrachter in eine Welt jenseits unserer Raumerfahrung entführt.
Die Ausstellung ist vom 10. Februar bis zum 5. Juni 2017 in der Kunsthalle Schirn zu besichtigen. Näheres auf der Webseite der Kunsthalle.
Frank Raudszus
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