Als Adam und Eva den Apfel gegessen hatten, wurden sie sich ihrer Nacktheit bewusst und schämten sich. Seitdem trägt der Mensch Kleidung – nicht zuletzt, um die Blößen zu bedecken. Dabei gewinnt die Kleidung den Charakter einer zweiten Haut, die einerseits dem Statusgewinn dient, andererseits eine Schnittstelle zur Umwelt und damit zur Natur bildet. Die Ausstellung „Die zweite Haut“ im Bad Homburger „Sinclair-Haus“ stellt die Außenseite des Menschen in den Mittelpunkt und zeigt eine breite Palette von Variationen zum Thema der „künstlichen“ oder „zweiten“ Haut. Die ausstellenden Künstler nähern sich dem Thema Kleidung dabei aus den unterschiedlichsten Richtungen und betonnen dabei besonders Gegensatz und Nähe menschlicher Kleidung zur Natur.
So sieht man Kinder und Frauen, deren Kleidung ausschließlich aus farbigen Blumen – auch welkenden als Zeichen der Vergänglichkeit – besteht. Eine andere Photoreihe zeigt Frauen, deren Kleidung sich in der Farbabstufung exakt der Struktur der sie umgebenden Natur anpasst. Auf einer anderen Anordnung aus vier zusammengehörigen Photos präsentiert ein Männerkörper auf Brust und Rücken gar ein veritables Gebirgspanorama als Tätowierung. Eine Künstlerin hat feingliedrige Kleider ganz aus zarten Pflanzen gefertigt, während eine andere ihre „Highheels“ wie Blüten aufgeschnitten hat. Dann wieder bedeckt ein anderer Künstler seinen nackten Körper mit einem Blütenmeer und baut sich damit sozusagen einen „Naturanzug“. In einem eigenen Raum sind zwei Hochzeitskleider an imaginären Frauenkörpern ausgestellt und gehen am Boden nahtlos in ein Feld kleiner Blumen über. Eine skandinavische Künstlerin wiederum krönt oder bedeckt ihre menschliche Figuren mit Kronen aus Zweigen oder großen Pflanzen, so dass diese zum Teil an getarnte Soldaten erinnern.
Eine unübersehbare gesellschaftskritischen Aussage entwickeln die Tiere – vorzugsweise Pelzträger -, die wie Frauen mit Pelzen dargestellt werden, nur mit dem Unterschied, dass ihre Umhänge oder ähnliche Accessoires aus menschlicher Haut und menschlichen Gliedmaßen bestehen. Wie die Frau den Fuchs um den Hals trägt, trägt dieser Menschenarme zum Nachmittagsbummel. Der konsequenteste Beitrag in dieser Richtung besteht jedoch in einfachen Kleidungsstücken wie Unterhemden, die aus der Erde und dem Laub zweier Vernichtungslager des Dritten Reiches gefertigt sind. Die grau-braunen, auf Körpervolumen ausgeformten und nebeneinander in einer Nische hängenden Kleidungsstücke vermitteln einen geradezu gespenstischen Eindruck.
Ein zentraler Beitrag dieser Ausstellung besteht in einem Endlos-Video, in dem sich der Künstler unbekleidet in die Natur integriert hat. Die an die jeweilige Umgebung – Bäume, Buschwerk, Erde – angepasste „Tarnbemalung“ seines Körpers lässt diesen fast in der Natur verschwinden, vor allem, wenn das Körperabbild im Zeitlupentempo bis zum Verlöschen abgedimmt wird, um der nächsten Körperanordnung Platz zu machen. Man kann vor diesem Video eine halbe Stunde sitzen, ohne sich einen Augenblick zu langweilen.
Diese Ausstellung bietet einen völlig neuen Blick auf das Äußere des menschlichen Körpers und sein Verhältnis zur umgebenden Natur. Die Künstler zeigen bei dieser facettenreichen Schau ein hohes Maß an Kreativität und Originalität und verblüffen den Besucher immer wieder durch neue Perspektiven. Wer im Rhein-Main-Gebiet lebt, sollte sich unbedingt einmal den Ausflug nach Bad Homburg gönnen.
Weitere Informationen sind über die Webseite des Sinclair-Hauses erhältlich.
Frank Raudszus
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