Neujahrskonzerte sind überwiegend der beschwingten Unterhaltung und dem Humor in der Musik gewidmet und wollen den Zuhörern einen guten Start ins neue Jahr ermöglichen. In Wien hat sich sogar über Jahrzehnte das Ritual entwickelt, den stets am Schluss des Konzerts gespielten „Radetzky-Marsch“ begeistert mitzuklatschen. Das Staatstheater Darmstadt folgte diesem Brauch im Großen und Ganzen, nur ergab der erste schnelle Blick auf das Programm, dass eben dieser Marsch dieses Mal nicht erklingen würde. Da dachte sich der geneigte Zuhörer, dass diese Masche ja auch tatsächlich ausgereizt sei. Am Pult stand die junge finnische Dirigentin Dalia Stasevska.
Auch ein Motto hatte man diesem Konzert vorangestellt: die Maschine in der Musik. Franz Liszts „Mephisto-Walzer“ zu Beginn ließ dieses Motto zwar nur über einige intellektuelle Umwege erkennen (man findet immer einen Bezug!), dafür glänzte dieses Stück jedoch durch seine klangliche und rhythmische Vielfalt. Dann folgten Stücke mit engerem Machinenbezug, so Charles Gounods „Marche funèbre d´une marionette“, Josef Strauss´“Vélocipède“ und Leroy Andersons „The Typewriter“. Alle drei Stücke sprechen durch ihre Titel, aber für das letzte hatte man noch eine Reiseschreibmaschine in die Solistenposition vor dem Dirigentenpult gerückt, auf der Schlagzeuger Jürgen Jäger das Solo im Gleichtakt mit dem Orchester spielte. Das liedhaft-tänzerische „Pelléas et Mélisande“ von Gabriel Fauré weckte eher weniger Assoziationen an Maschinen, dafür aber John Adams´“Short Ride in a fast machine“ aus dem Jahr 1986 umso mehr, wie schon der Name erahnen lässt. Den Abschluss der ersten Hälfte bildete dann – standesgemäß für ein Neujahrskonzert – die Ouvertüre zu Johann Strauß´“Fledermaus“.
Die zweite Hälfte begann gleich mit einem typischen Beispiel angelsächsischen Musikhumors. Malcolm Arnolds „Grand, Grand Festival Ouvertüre“ von 19556 ist eine einzige Parodie auf bombastische Bühnenmusik und gipfelt in der Solopartie von vier Staubsaugern, wobei die Solisten am Ende durch einen simulierten Kurzschluss zumindest kurzfristig und publikumswirksam ihr (musikalisches) Leben aushauchen, vom Knallen des Schlagzeugs untermalt. Viel Gelächter! Johann Strauß´ „Elektrophor“ spiegelt die Wunder der aufkommenden Elektrizität um 1865 wider, und Maurice Ravels „La Vallée des Cloches“ simuliert den Klang von Glocken auf allen möglichen (und unmöglichen) Instrumenten bis hin zum Kontrabass. „Elektrisch“ von Eduard Strauß (Bruder von Johann Strauß Sohn) lässt musikalisch die ersten Elektrotrams durch Wien rattern, während Zoltán Kodálys „Tänze aus Galanta“, die alte Zigeunerweisen neu interpretieren, den technischen Bezug lediglich zur heutigen Handyfabrik eines asiatischen Herstellers finden. Der abschließende „Danza final Malambo“ des Argentiniers Alberto Ginastera aus dem Jahr 1943 zündete dann noch ein großes Schluss-Feuerwerk, wie es sich für ein Neujahrskonzert gehört – und wie die Entstehungszeit es leider anregte.
Dalia Staveska am Pult erwies sich als musikalisches Energiebündel. Mit so energischen wie begeisterten Bewegungen feuerte sie das Orchester immer wieder zu Intensitätssteigerungen an und ließ keinen Augenblick die Spannung absinken. Man sah ihrem Gesicht durchgängig die Begeisterung für Musik an, und das Publikum dankte ihr dafür mit kräftigem Applaus. Konzertdramaturg Gernot Wojnarowicz führte mit humorvollen Worten durch das Programm und sorgte dabei auch noch für den einen oder anderen Lacher.
Natürlich waren Zugaben unvermeidlich, und die begannen mit dem „Marsch für zwei linke Füße“ von Leroy Anderson. Da der Applaus nicht versiegen wollte, folgte die Neuinterpretation eines großen Wiener Walzers unter dem Titel „Cell Phone Waltz“, wobei einzelne Instrumente bis hin zum Xylophon lästige Klingeltöne aller Art simulierten und der Moderator in die Generalpause am Schluss hinein sein Handy laut klingeln ließ.
Ja, und dann – und dann? Dann erklangen doch noch die ersten Takte des „Radetzky-Marsches“, und Dalia Stasevska dirigierte – neben dem Orchester – auch das Publikum beim musikalisch stimmigen Einsatz des rhythmischen Klatschens. Ein musikalisch gelungener Einstand des Neuen Jahres im Staatstheater Darmstadt.
Frank Raudszus
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