Schon in der ersten Szene dieses angeblich auf einem Schülerwitz basierenden Einakters drängt sich die Assoziation von Shakespeares „Macbeth“ auf. Da will ein ehemaliger Soldat namens Ubu eigentlich nur seine Ruhe haben, seine giftige Frau jedoch treibt ihn vor sich her mit dem Anspruch, den Königsthron durch Mord zu erobern. Ubu folgt den Anweisungen seiner Frau, meuchelt mit der Hilfe des Hauptmanns Kerbholz den König und setzt sich auf den Thron. Doch die schwangere Ex-Königin flieht zum nachbarlichen Zaren, der mit einem Heer anrückt und das Königreich zurückerobert. Ubu und seine Frau landen wieder auf der Straße. Die ganze Geschichte ist bewusst als „Anti-Macbeth“ aufgezogen, mit ausgesprochen bodenständiger Alltagssprache – das Wort „Schreiße“ (mit „r“) kommt in allen Kombinationen vor – und einer schlichten Alltagsphilosophie. Hier geht es nicht darum, die Abgründe der menschlichen Seele auszuloten, sondern vor allem um die Banalität des Bösen, hier jedoch nicht als philosophisches Zitat sondern als buchstäbliche Karikatur der Machtgier, wie sie sich eben Schüler ausdenken mögen.
Das ist auch die Schwäche des Stückes. Man könnte sich durchaus vornehmen, „Macbeth“ als Groteske zu inszenieren – oft genug geschehen – oder umzuschreiben mit einem aktuellen politischen Hintergrund. Man könnte auch eine Satire mit beißenden Texten verfassen, die sich auf aktuelle oder zeitlose menschliche oder gesellschaftliche Phänomene beziehen. Doch all dies tut „König Ubu“ nicht. Hier regiert die Lust an der direkten, unverstellten Trivialität. Ubu ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Hanswurst, jedoch ohne die Hintergründigkeit des klassischen Narren. Er ist dumm, ängstlich, tolpatschig, hypochondrisch und liebt Blutwurst. Seine Frau ist eine macht- und geldgierige Megäre, die ebenfalls keine höheren Ziele verfolgt oder psychologisch aufschlussreiche Züge trägt. Hauptmann Kerbholz ist das Abziehbild eines Soldaten, der mehr das Schwert als die gekonnte Rede führt. Das Stück ist vorrangig als Slapstick-Komödie angelegt, die mit komischen Situationen der plakativen Art arbeitet. Das garantiert natürlich viele spontanen Lacher, die aber bisweilen Dialogen am Rande des Kalauers oder im wahrsten Sinne des Wortes anrüchigen Fäkalwitzen gelten.
Mit zunehmender Spieldauer rückt die Frage nach dem Bühnenwert dieses Stücks in den Vordergrund. Da eine politische oder gesellschaftskritische Seite ebenso wenig zu entdecken ist wie eine psychologisch zwingende Konturierung der Charaktere, wird der Zuschauer letztlich auf den Dadaismus zurückgeworfen, der sich ja ebenfalls konsequent gegen jegliche konkrete Aussage der eigenen Texte und Stücke wehrte und die – möglichst sinnfreie – Aktion als Protest gegen die Wirklichkeit in den Vordergrund rückte. Den damaligen Dada-Exegeten darf man dies verzeihen, da sie sowohl gegen eine verkrustete Kunsttheorie sowie gegen die politisch-menschliche Katastrophe des Ersten Weltkriegs protestierten. Und in gewisser Weise war Alfred Jarry – oder zumindest sein Stück „König Ubu“ – ein Vorläufer der dadaistischen Bewegung. Doch gut einhundert Jahre später lässt sich eine solche künstlerische Totalverweigerung nicht mehr als Gegenwartskritik verkaufen. Extreme lassen sich nur einmal einsetzen, dann sind sie verbrannt. Damit bleibt „König Ubu“ heute ein Klamauk, über dessen Komik man streckenweise nur Kortners Satz zitieren kann „Ich habe gelacht, aber unter meinem Niveau“.
Regisseurin Julia Kuhnert hat das Stück konsequent als Trivialkomödie inszeniert und auf jegliche Andeutung eines tieferen Sinns verzichtet. Das beginnt bereits mit dem Bühnenbild, das weitgehend aus Pappmaché-Wänden besteht. Eine dieser Wände ziert König Ubus „Logo“, das aus einer Krone und einer Blutwurst besteht. Die Darsteller – Christoph Bornmüller als Ubu und Isa Weiß als seine Frau (und Hauptmann Kerbholz) – schließen sich diesem Prekariatsambiente mit ihrer Kostümierung an. Bornmüller klettert zu Beginn in weißer Feinripp-Unterwäsche quer über alle Zuschauerreihen jammernd auf die Bühne, und Isa Weiß leistet ihm kurz darauf in einem ähnlichen Aufzug Gesellschaft. Zeitweise überdeckt bei beiden eine groteske Königskostümierung die Unterwäsche. Dazu gibt es eine Pappkrone als Königswürde und einen Papphelm mit Nasenschutz sowie die Andeutung einer Rüstung für Hauptmann Kerbholz. Die beiden Darsteller mühen sich mit viel mimischem und gestischem Aufwand, das Farcenhafte der Geschichte zu zeigen, und entwickeln dabei offensichtlich auch eine unübersehbare Spielfreude. Jedem Menschen ist schließlich die Freude am Trivialen in die Wiege gelegt, sei es in Gestalt des Kalauers, ungebremster Vulgarität oder überzeichneter menschlicher Schwächen. Im normalen Leben sollte man diese Neigung nicht unbedingt ausleben, aber auf der Theaterbühne darf man es. Schließlich gilt hier die künstlerische Freiheit. Dieses Stück eröffnet reichlich Gelegenheiten, den Spaß am Trivialen und Derben zu genießen, und Darsteller wie Zuschauer nutzen diese Gelegenheiten: die einen im Spiel, die anderen durch Lachen – das so manchen später gereut haben mag.
Frank Raudszus
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