Psycho-Krieg im Rokoko-Ambiente

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Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ haben wir bereits in der Frankfurter Inszenierung von Christoph Loy sowie in der Wiesbadener von Uwe Laufenberg vorgestellt. Daher erübrigt sich an dieser Stelle eine detaillierte Beschreibung der Handlung, die Opern- und Mozartfreunden sowieso geläufig sein dürfte. Es sei hier aber noch einmal vermerkt, dass „Cosi fan tutte“ im Grunde genommen Mozarts modernste Oper ist, die in ihrer Handlungsreduktion und psychologischen Schärfe ins 20. Jahrhundert weist. Im Gegensatz zu den anderen beiden Mozart-Opern aus dem „großen Dreigespann“ gibt es hier keine Handlung mit unterschiedlichsten Charakteren, gesellschaftlichen Konflikten und menschlichen Abgründen, sondern es geht hier um psychologische Grenzfälle und die dem Menschen innewohnende Bösartigkeit, die nicht den spektakulären Ausbruch mit Mord und Totschlag benötigt, um Menschen und ihre Beziehungen zu zerstören. Richtig betrachtet ist „Cosi fan tutte“ Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ näher als der „Hochzeit des Figaro“.

Katharina Persicke, Minseok Kim, Jana Baumeister, Nicloas Legoux, Kathrin Leidig, David Pichlmaier

Katharina Persicke, Minseok Kim, Jana Baumeister, Nicloas Legoux, Kathrin Leidig, David Pichlmaier

Das hat Regisseur Dietrich W. Hilsdorf nicht nur erkannt, sondern in Zusammenarbeit mit dem Staatstheater Darmstadt auch entsprechend umgesetzt. Ein solches Kammerspiel der Beziehungen kann man nicht im großen Haus mit weiter Bühne inszenieren, sondern muss stattdessen eine Kammerspiel-Atmosphäre schaffen. Deshalb hat man diese Inszenierung auch ins Kleine Haus verlegt. Das verlangte allerdings bauliche Änderungen, da dort kein standardmäßiger Orchestergraben zur Verfügung steht. Offensichtlich hat dann Bühnenbildner Dieter Richter sich einige Anregungen von der Wiesbadener Inszenierung geholt, denn über einen buchstäblich aus dem Boden gestampften Orchestergraben zieht sich eine schmale Brücke bis zur ersten Zuschauerreihe, die an verschiedenen dramatischen Stellen der Handlung genutzt wird, um die Aktionen möglichst dicht an das Publikum zu bringen. Und ähnlich wie Uwe Laufenberg in Wiesbaden platziert auch Hilsdorf mal die beiden Männer, mal die beiden Frauen auf zwei Plätzen direkt vor dieser Brücke in der ersten Reihe. Es fehlt jedoch der Überraschungseffekt, da sich die jeweiligen Darsteller erst nach ihren Auftritten dorthin bewegen und sich nicht als Zuschauer tarnen.

Das ginge jedoch sowieso nicht, weil Dieter Richter und Renate Schmitzer mit Bühnenbild und Kostümen eine veritable Rokoko-Welt etabliert haben. Blassgraue, hohe Kassettenwände im Stile des ausgehenden 18. Jahrhunderts deuten eine Dekadenz im fortgeschrittenen Stadium an, und das knappe Mobiliar ergänzt dieses Ambiente. Die Frauen tragen lange, hochgeschnürte Kleider und die Männer die typischen Kniebundhosen mit entsprechenden Röcken – Guglielmo und Ferrando jedoch in loserer Aufmachung als der stets auf Form bedachte Don Alfonso. Hilsdorf vergibt mit dieser historischen Ausstattung die Möglichkeit, die Zeitlosigkeit der Handlung zu betonen, und mit dem betonten Einsatz der Degen – wenn auch nicht als Waffe – verweist er explizit auf die Vergangenheit. Die Gründe dafür sind nicht ersichtlich, es sei denn, er wollte damit eine vermeintliche Erwartungshaltung des Publikums nach historisierenden – weil vom Aktuellen ablenkenden – Opernaufführungen bedienen.

Katharina Persicke, Minseok Kim, David Pichlmaier, Kathrin Leidig

Katharina Persicke, Minseok Kim, David Pichlmaier, Kathrin Leidig

Die Inszenierung selbst bedient dann solche Erwartungen nicht. Denn Richter achtet bei der Regie und Personenführung darauf, dass hinter dem scheinbar Komödiantischen schon sehr bald das Gemeine, ja Asoziale zum Vorschein kommt. Don Alfonso (Nicolas Legoux) kommt in dieser Inszenierung nicht die Rolle des diabolischen Manipulators zu, sondern die des zynischen Bonvivants, den die sich gegenseitig übertreffenden Lobeshymnen von Guglielmo (Oleksandr Prytoliuk)  und Ferrando (Minseok Kim) auf ihre Verlobten nur nerven und der den beiden eine Lektion erteilen und sich eine Wetteinnahme verschaffen will. Er sieht sich eher als Spieler und Nutznießer denn als großer Manipulator im Hintergrund.

Die beiden Frauen Fiordiligi – Vida Mikneviciute sprang kurzfristig für die erkrankte Katharina Persicke ein – und Dorabella (Kathrin Leidig) sind in dieser Inszenierung die Opfer männlichen Chauvinismus´ und keine gutgläubigen aber naiven Mädchen. Beide engagieren sich aus innerer Überzeugung für ihre Verlobten und wirken in ihrem Entsetzen über deren vermeintlichen Kriegsdienst im Innersten getroffen und besorgt. Schon die ersten Szenen zeigen dagegen das pubertäre Niveau der beiden jungen Männer, die sich „schenkelklopfend“ auf das Spiel um die Treue ihrer Verlobten einlassen und nicht die zerstörerischen Intentionen Don Alfonsos erkennen. Je weiter das Spiel voranschreitet, desto abstoßender werden die komödiantischen Aktivitäten der beiden Liebhaber, und sie merken erst zu spät, was sie angerichtet haben; aber auch dann wiegt der vermeintliche Erfolg des Freundes bei der eigenen Verlobten schwerer als deren seelischen Nöte. Man spürt förmlich die innere Einstellung „die sollen sich nicht so haben“, die da Ponte textlich anders ausgedrückt hat. Bis zum Schluss haben die beiden nicht das Ausmaß der Zerstörung erkannt, die sie angerichtet haben. So interpretieren sie am Ende auch die ernsten und schockierten Gesichter ihrer Geliebten eher als kurzfristiges Beleidigtsein. Die Frauen verstehen eben keinen Spaß.

Nicolas Legoux

Nicolas Legoux

Minseok Kim und Oleksandr Prytolyuk bringen diesen pubertären Spaß an einer vermeintlich harmlosen Treueprüfung glaubwürdig zum Ausdruck. Das bringt ihnen so manchen Lacher ein, da die bösartigen oder frechen Rollen für das Publikum stets die attraktiveren sind, während die Opfer eher langweilig sind. Das kann man heute auf jedem Schulhof erleben, wo die „coolen“ Mobber bewundert und die Mobbingopfer verachtet werden. Ähnlich geht es den beiden Frauen auf der Bühne, als Rollen und auch als Darstellerinnen. Denn als Rollen sind sie die Opfer, deren Leid man stets entweder unterschätzt oder verdrängt, und als Sängerinnen und Darstellerinnen sind sie eben diejenigen, die diese Opfer darstellen. Unwillkürlich stellt sich beim Zuschauer eine ähnlicher Reflex ein, und erst die Reflexion überwindet den Reflex und führt zur tieferen Einsicht. Diese Reflexion allerdings wird erst geweckt durch das intensive Spiel beider Sängerinnen, die das seelische Leid der beiden Frauen kompromisslos verkörpern, anfangs scheinbar komödiantisch – wenn sie sich fast schon exaltiert über die Gefahren des Kriegsdienstes ängstigen -, dann jedoch immer dringlicher und authentischer, wenn es um die emotionale Beständigkeit und Identität geht. Die Frauen durchlaufen im Laufe eines Tages eine deutliche emotionale Entwicklung von etwas oberflächlichen Mädchen zu reifen – und desillusionierten – Frauen, während die Männer auf dem Stand pubertierender Jugendlicher stehenbleiben und am Ende höchstens ein gewisses Unbehagen empfinden. Bliebe noch die bis an die Grenze des Zynismus  pragmatische Despina zu nennen, der Katja Stuber bei aller Kaltschnäuzigkeit auch einen frechen Charme verlieh.

Minseok Kim, Katharina Persicke, Jana Baumeister, Kathrin Leidig, Nicolas Legoux, David Pichlmaier

Minseok Kim, Katharina Persicke, Jana Baumeister, Kathrin Leidig, Nicolas Legoux, David Pichlmaier

Sängerisch besticht vor allem Vida Mikneviciute, deren Sopran in den hohen Lagen glockenhell und leicht klingt und in den leisen Passagen eine fast physisch zu spürende Wärme ausstrahlt. Kathrin Leidig beeindruckt durch ihre sängerische und darstellerische Präsenz. Oleksandr Prytolyuk beweist wieder einmal seine stimmliches Volumen, und Minseok  Kim zeigt, dass er sowohl den strahlenden als auch den in sich gekehrten, selbstquälerischen Part beherrscht.

Der überzeitliche Charakter dieser Aussage wäre allerdings noch eindringlicher gewesen, wenn die Regie auf Historisierung verzichtet und die Handlung in einem zeitlosen Raum angesiedelt hätte. Diesen Raum baut dafür Mozarts Musik auf, die das Orchester des Staatstheaters Darmstadt unter der Leitung von Ruben Dubrovsky mit einer der Handlung entsprechenden Schärfe servierte. Dubrovsky arbeitet vor allem die Kontraste heraus und grenzt die innig-lyrischen Momente auf die weiblichen Klagen ein. Bei den Auftritten der Männer sind dann jedoch auch scharfe, fast karikierende Klänge zu hören – soweit Mozarts Musik das zulässt.

Frank Raudszus

 

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