Stefan Aust: „Hitlers erster Feind“

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Eine späte Hommage an einen frühen Widerstandskämpfer.

Liest man heute Autobiographien älterer Jahrgänge, dann gewinnt man den Eindruck, die meisten Bürger der Nazi-Zeit seien stille Widerstandskämpfer gewesen. Und wer damals noch im Kindesalter war, bekennt im Alter gerne, dass er bereits als Kind eine physische oder ästhetische Abneigung gegen die Nazis gehabt habe. Wenn man sich schon nicht als echten Widerstandskämpfer darstellen kann – die meisten von ihnen haben das ja nicht überlebt -, dann wenigsten als heimlichen.

1610_konrad_heidenDa ist es im höchsten Maße erfreulich, von jemandem zu hören, der schon in den Jahren vor der Machtergreifung gegen Hitler gekämpft hat, wenn auch nur mit journalistischen Mitteln. Und es ist eigentlich traurig, dass die breite Öffentlichkeit erst so spät von diesen „stillen Helden“ hört. Kennern der Materie ist Konrad Heiden bekannt, doch die durchschnittlichen Nachkriegsdeutschen werden wahrscheinlich nie von ihm gehört haben. Diesem fast schon skandalösen Umstand hat nun Stefan Aust abgeholfen. Der langjährige Journalist, auf dem Höhepunkt seiner Karriere Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, hat das auf seine ureigene Art getan, nämlich mit journalistischen Mitteln. In klarer Diktion, fundiert aber ohne überbordende historische Details, unter Verzicht auf überreiche Fußnoten, hat Aust das Leben Konrad Heidens recherchiert und in diesem Buch dargestellt. Es bietet eine spannende Geschichte, ohne in die Seichtigkeit eines historischen Romans zu verfallen.

Konrad Heiden kam im Jahr 1901 zur Welt und war damit zwölf Jahre jünger als Adolf Hitler. Bereits in den frühen zwanziger Jahren folgte er den ersten Anfängen einer rechtsradikalen Bewegung, die sich noch nicht gefunden oder gar formiert hatte und die noch nicht den Begriff „nationalsozialistisch“ geprägt hatte. Aust beschreibt, wie Heiden diese Bewegungen vor allem in München verfolgte und schnell ihre Gefährlichkeit erkannte. Trotz – oder gerade wegen – seiner Abneigung gegen die undemokratischen und reaktionären Ansichten dieser erst noch amorphen Gruppen blieb er ihnen hautnah auf den Fersen und beobachtete ihre personelle Entwicklung. Hier lernte er einen Ernst Röhm kennen sowie die Brüder Strasser. Adolf Hitler drückte sich in dieser Zeit eher an den Rändern dieser Bewegung herum. Doch als er einmal zu Wort gekommen war und seine Gesinnungsgenossen mit seinen demagogischen Reden mit sich riss, erkannte Heiden schnell die Gefährlichkeit dieses Mannes, ja, er attestierte ihm sogar eine gewisse Begabung, die ihm später fälschlicherweise als Bewunderung ausgelegt wurde.

Aust geht diesen ersten Jahren in München so detailliert nach, dass der Leser dabei noch einen Schnellkurs über die Anfänge der nationalsozialistischen Bewegung erhält – kurz und konzise. Er zeigt auch Heidens wirtschaftliche Schwierigkeiten in Zeiten der Inflation und danach. Die Zeitungen litten nicht nur selbst unter der allgemeinen Lage, sondern hatten auch gesellschaftliche Be- und Empfindlichkeiten zu beachten – oder glaubten es zumindest. Da war ein kompromissloser Kritiker einer neuen Bewegung, die Menschen aller Schichten faszinierte, als Redakteur oder gar Kolumnist nicht immer genehm. Dennoch schaffte es Heiden in die Redaktion der „Frankfurter Zeitung“, des Vorläufers der heutigen FAZ, der er bis in die dreißiger Jahre treu blieb. Das lag auch daran, dass Heiden verschiedene journalistische Mentoren hatte, die selbst eine liberale, aufgeklärte Weltsicht vertraten und seine Kritik an den „Rechten“ teilten. Erst als die Nazis politisch immer mehr erstarkten, verloren auch diese Mentoren an Einfluss und gerieten selbst in Gefahr.

Heiden beließ es jedoch nicht bei seiner journalistischen Kritik. Für seine umfangreichen Recherchen im Nazi-„Milieu“ hatte er soviel Material zusammengetragen, dass er bereits Anfang der dreißiger Jahre ein Buch über „Die Geschichte des Nationalsozialismus“ herausbringen konnte. Ein solcher Titel steht meist über historischen Büchern, die Jahrzehnte nach einer Bewegung auf den Markt kommen, nicht jedoch auf einem Buch aus der Feder eines Reporters, der sozusagen der Bewegung noch den Puls gefühlt hat. Heiden war mit diesem Buch seiner Zeit weit voraus, und schon vor der Machtergreifung hassten ihn die Nazis bis aufs Blut dafür. Nach der Machtergreifung verbot es die NSDAP sofort, und Heiden hatte das Glück und den richtigen Instinkt, sich in den Tagen und Wochen nach dem 31. Januar 1933 zu verstecken. Nur das rettete ihn vor einer schnellen Verhaftung und einem düsteren Schicksal oder gar dem schnellen Tod. Mit Glück gelangte er in die Schweiz, von wo er dank liberaler Freunde journalistisch weiter gegen das Dritte Reich agieren konnte, und dann in das Saarland, das damals noch nicht zu Deutschland gehörte. Dort gelang es ihm noch bis 1936, das Dritte Reich als Redakteur freiheitlicher Zeitungen zu beobachten und zu kritisieren, womit er sich jedoch den Hass der Nazis und die Beobachtung durch die Gestapo zuzog. Er wusste, dass ein Anschluss des Saarlands katastrophale Folgen für ihn haben würde, und ging rechtzeitig nach Paris, wo er wiederum für Exilzeitungen schrieb. Hier machte er auch die traurige Erfahrung, dass sich auch unter Exilanten Fraktionen bilden, die sich mitunter ebenso heftig und fundamental bekämpfen wie den gemeinsamen Gegner.

Der Ausbruch des Zeiten Weltkriegs brachte ihn in französische Internierungslager, und nach Hitlers Blitzkrieg gegen Frankreich gelang es ihm nur mit viel Glück und der Hilfe US-amerikanischer Exilorganisationen, im letzten Augenblick über Südfrankreich nach Spanien und Portugal zu fliehen, von wo er sich in die USA einschiffen konnte. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens, das im Jahr 1966 aufgrund einer Parkinson-Erkrankung frühzeitig endete. In den USA verfasste er noch mehrere Bücher über das Dritte Reich sowie Hitler und galt dort als anerkannter Experte des Nationalsozialismus. Späte Wiedergutmachungsanträge in Deutschland waren nur mäßig erfolgreich und endeten mit seinem Tod.

Stefan Aust hat sich tief in Konrad Heidens Leben eingearbeitet und alle Facetten eines widerständigen Lebens aufgefächert. Auf der einen Seite zitiert er umfangreich Heidens Berichte über Hitler und seine Bewegung, auf der anderen Seite beschreibt er sein Netzwerk innerhalb der journalistischen Landschaft der zwanziger und dreißiger Jahre, wobei immer wieder bekannte Namen dieser Zeit fallen, die alle etwas mit dem Widerstand zu tun hatten. Aust zeichnet sozusagen neben der Heiden-Biographie noch ein journalistisch-politisches Sittenbild der Epoche, das so manche unbekannte Querverbindung aufzeigt. Daneben schildert er auch Heidens Privatleben, soweit es für das Profil seines Charakters und das Verständnis der Abläufe wichtig ist. Doch auf voyeuristische Einblicke in Heidens Privatleben verzichtet Aust konsequent, obwohl die Versuchung eines „spannenden historischen Romans“ seitens des Verlags oder des Marktes immer gegeben ist. Aust bleibt bis zum Schluss der nüchterne, sachliche Journalist, dem es in erster Linie um Fakten und dann um Erkenntnisse geht, die dem Verständnis des Menschen und der Zeit dienen. Und das ist ihm in hervorragendem Maße gelungen.

Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, umfasst 382 Seiten und kostet 22,95 Euro.

Frank Raudszus

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