Ein autodidaktischer Detektiv allein gegen alle.
Der Rezensent war sich bei der Lektüre dieses Buches nicht im Klaren, dass es der vierte Teil einer Reihe mit immer den selben Protagonisten ist, und betrachtete deshalb alle möglichen Auflösungen dieser kriminalistischen Hetzjagd als gleichwertig. Wer jedoch um den Seriencharakter dieses Buches weiß, kann gleich zu Beginn ausschließen, dass die Hauptperson selbst als Täter entlarvt wird. Dann wäre ja endgültig Schluss mit der Reihe. Doch zumindest spricht die Offenheit der Lösung über weite Strecken des Buches für dessen Qualität hinsichtlich Spannung.
Max Broll, zeitweiliger Journalistik-Student und Totengräber in einem kleinen österreichischen Dorf, ist zufrieden mit seinem Leben, da sich sein alter Freund Baroni nach einer erst großen, dann verpfuschten Fußballerkarriere wieder in seinem Heimatdorf eingefunden hat, um dort einen Würstlstand zu betreiben. Bei der feierlichen Eröffnung mit wildem Geböller des örtlichen Schützenvereins wird Baroni im größten Flintenlärm von einem Fremden per Pistole niedergestreckt. Nur Max, noch halb bekifft vom Vorabend, hat den Schützen gesehen. Als er ihn am nächsten Tag zufällig durch das Dorf spazieren sieht, fällt er über ihn her, beschimpft und verprügelt ihn, und nur die Polizei kann den harmlosen deutschen Touristen vor weiteren Verletzungen retten, indem sie Max erst einmal in die Ausnüchterungszelle sperrt. Niemand glaubt Max, der für seine Spontaneität und skurrilen Einfälle bekannt ist und in diesem Fall durch den nicht zu übersehenden „Kiffer-Kater“ nicht gerade glaubwürdiger wirkt.
Als alle ihm ernst zureden und den deutschen Touristen, Fink mit Namen, als herzensguten und harmlosen Touristen beschreiben, der keiner Fliege etwas zuleide tun könne, und als weder Polizei noch Mitbürger auch nur einen Finger rühren, um Max´Anschuldigungen gegenüber Fink zu untersuchen, beschließt Max, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Am nächsten Tage folgt er Fink zum Bahnhof und setzt sich einfach zu ihm in den Zug nach Italien. Fink zeigt sich als netter Gesprächspartner mit weitem Herzen, der Max nichts übel nimmt und ihn wegen seiner kruden Verdächtigungen eher bemitleidet. Durch keine Schuldzuweisungen lässt er sich aus der Ruhe bringen und betrachtet Max´ Behauptung, ihn als Täter beobachtet zu haben, als Halluzination infolge Drogenmissbrauchs.
Als Max selbst schon zu zweifeln beginnt, wird in einem italienischen Bahnhof ein Mann in unmittelbarer Nähe der beiden vor den einfahrenden Zug gestoßen, ohne dass jemand etwas gesehen hat. Da wird Max klar, dass Fink zum zweiten Mal zugeschlagen hat, und er folgt ihm bis zu dem Kreuzfahrtschiff, dass Fink für eine Rundreise besteigen will. Leider ist für Max keine Kabine mehr frei, obwohl er das Geld – eigentlich gedacht für Baronis Würstlstand – in der Tasche hat. Als er schon enttäuscht aufgeben will, bietet ihm eine junge Journalistin einen Platz in ihrer großzügigen Kabine gegen ein fürstliches Honorar an. Ihr Freund hat sie sitzenlassen, und sie will aus dieser misslichen Situation wenigstens einen pekuniären Vorteil ziehen. Obwohl sie ihm gleich klarmacht, dass sie an dieser Kreuzfahrt nur aus journalistischen Gründen teilnimmt und dass zwischen ihnen eine reine Geschäftsbeziehung bestehe, entwickeln sich die Dinge in dieser Hinsicht sehr schnell in die – vom Leser – erwartete Richtung. Damit hat Max nicht nur endlich mal wieder eine Geliebte sondern auch eine Komplizin bei seiner Jagd auf den vermeintlichen Mörder.
Wie es weiter geht in diesem Krimi, wollen wir nicht verraten, um potentiellen Lesern nicht die Spannung zu rauben. Soviel sei nur gesagt, dass Aichner durch die Charakterisierung der Protagonisten, vor allem Finks souveräne Freundlichkeit und Großzügigkeit, lange Zeit die Frage offen lassen kann, ob Max wirklich einem Mörder hinterherläuft oder ob er unter Wahnvorstellungen leidet. Aichner gelingt es hervorragend, die fast ausweglose Situation zu schildern, die darin besteht, dass äußerlich alles bestens und friedlich verläuft und dass nur Max sich in einer scheinbar fixen Idee verrannt hat. Während der Leser aufgrund von Max´Perspektive und aus knappen Andeutungen des (allwissenden) Erzählers zu ahnen beginnt, dass Max richtig liegt, beginnen auch seine letzten Freunde und Verwandte an ihm zu zweifeln, so dass bereits von einer psychiatrischen Untersuchung gemunkelt wird. Für Max wird die Situation immer enger, und dabei muss er noch verhindern, dass seine neue Freundin ins Lager der Skeptischen überschwenkt und ihn verlässt. Diese Situation, die nicht den – vermeintlichen? – Mörder sondern Max zunehmend unter Druck setzt, sorgt für eine stetig steigende Spannung, die sich erst ganz am Ende in einem fast teuflischen „Showdown“ entlädt.
Bernhard Aichner gelingt nicht zuletzt mit seinen eigenen stilistischen Mitteln, diese Spannung aufzubauen und bis zum Ende zu halten. Dazu gehört ein äußerst verknappter Schreibstil, bis hin zu verblosen Sätzen, die wie sprachliche Peitschenhiebe daherkommen. Sätze mit nur wenigen Worten, aneinandergereiht wie Perlen auf einer Kette, schaffen eine Atmosphäre der hoch aufgeladenen Atemlosigkeit und spiegeln authentisch den Druck wider, unter dem Max steht. Im Wechsel mit den Staccato-Sätzen ergänzen Dialoge diesen Eindruck, indem sie ohne verbindende Füllsätze oder -wörter die direkte Rede der Dialogpartner aneinanderreihen, nur durch Einrückstriche voneinander getrennt. Bei längeren Dialogen muss man dann schon genau mitzählen, um jeden Satz dem richtigen Gesprächspartner zuzuordnen. Auch diese Art der Dialogdarstellung trägt zu Verdichtung der Handlung bei und sorgt für den Erhalt der Spannung.
Bernhard Aichner ist mit diesem Buch ein spannender Krimi mit einem so ungewohnten wie bedrohlichen Thema gelungen. Ohne hier zu viel verraten zu wollen, geht es um die Zerstörung eines Lebens und einen geradezu existenziellen Rachefeldzug, der nicht nur unschuldige Opfer fordert sondern auch den Täter in den Abgrund des Gewissens blicken lässt. „Interview mit einem Mörder“ gehört zu den Büchern, die man am liebsten in einem Zug liest, und sei es eine Nacht lang.
Der Roman ist im Haymon-Verlag erschienen, umfasst 287 Seiten und kostet 19,90 Euro.
Frank Raudszus
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