Beim Rheingau-Musik-Festival gastieren die Philharmonie Brno und der Philharmonische Chor Brno mit Dvorák und Orff.
Für die Aufführung von Chorwerken eignet sich die Basilika des Klosters Eberbach wegen ihres voluminösen Resonanzkörpers besonders. Gut aufgestellte Chöre können dem Zuhörer im wahrsten Sinne des Wortes Schauer über den Rücken jagen. Und die tschechischen Musiker nutzten an diesem warmen Sommerabend die Chance für einen großen Vokalauftritt.
Doch zum Aufwärmen erklangen erst einmal zwei reine Orchesterstücke. Antonin Dvorák, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 175. Male jährt, komponierte auf Wunsch des Musikverlegers Simrock im Jahr 1878 acht slawische Tänze nach Motiven der tschechischen Volksmusik, die sofort den Beifall des Publikums fanden. Daraufhin erweiterte er dieses Zyklus neun Jahre später um acht weitere Tänze.
Bei den ersten acht Tänzen, op. 48, überwogen noch die tiefen Instrumente, so dass diese die gesamte Aufführung dominierten und bisweilen einen etwas breiigen Klang verursachten. Dirigent Leo Svarovsky hatte die spezielle Akustik der Basilika zu diesem frühen Zeitpunkt wohl noch nicht ganz im Griff. Das änderte sich aber deutlich bei den zweiten acht Tänzen, op. 71. Zwar trug auch die andere Instrumentierung mit mehr Flöten und anderen hellen Instrumenten dazu bei, doch Svarovsky nahm die tiefen Lagen merklich zurück, was der Transparenz der Aufführung deutlich zugute kam. Nun entwickelten sich wirklich leichte, von einem Hauch slawischer Schwermut versehene Tänze, die den Charakter der „böhmisch-mährischen“ Volksmusik lebendig zum Ausdruck brachten.
Danach kam der kopfstarke Chor zum Einsatz. Am Anfang stand Dvoraks „Te Deum“ für Sopran, Bass, Chor und Orchester op. 103. Wer bei einem „Te Deum“ an strenge geistliche Musik im Sinne Bachs denkt, liegt hier falsch. Offensichtlich hat Dvorak sich bei der Komposition dieser Musik zumindest unbewusst eher an Komponisten wie Verdi ausgerichtet. Die Musik ist gesättigt von prallen Emotionen, wie man sie sonst nur aus Opern des 19. Jahrhunderts kennt. Auch einige Motive und musikalische Figuren lassen flüchtige Assoziationen an Verdi aufkommen. Klangfülle und Dynamik der Instrumentierung erinnern eher an eine dramatische Oper als an eine von Ehrfurcht und Demut geprägte Kirchenmusik. Man kann dies durchaus als Folge der allgemeinen Säkularisierung im 19. Jahrhundert betrachtet, das Religion nicht mehr als den Mittelpunkt des Lebens sondern als eine von mehreren emotionalen Lebensbereichen auffasste. Da lag dann das „Te Deum“ gleich neben dem „Te amo“.
Auch strukturell erinnert das Werk mit seiner Viersätzigkeit eher an die klassische oder romantische Orchestermusik als an eine herkömmliche Kirchenmusik. Dazu erweiterten die Solisten – der Bariton Peter Mazalán und die Sopranistin Marie Fajtová – durch ihre ausgefeilte emotionale Interpretation die Ausdruckspalette über die in geistlicher Musik übliche Ehrfurcht hinaus. Marie Fajtová brachte innig-lyrische Momente ein und steigerte sich nach kleinen Anfangsschwierigkeiten auch in den hohen Lagen. Peter Mazalán beeindruckte mit seinem voluminösem Bassbariton und erinnerte bisweilen an die großen Bass-Rollen in der Opernliteratur. Nur Anhänger einer puristischen Kirchenmusik werden sich an diesem „Te Deum“ gestört haben.
Nach der Pause erklang dann das Hauptwerk des Abends, Carl Orffs „Carmina Burana“ aus dem Jahr 1937. Für diese Zeit ist das Werk erstaunlich tonal und bewegt sich auch harmonisch eher in bekannten Gefilden. Doch die Vielfalt der musikalischen Motive und vor allem die rhythmische Gestaltung zeichnen diese Musik als Geniestreich aus. Bereits das einleitende „O Fortuna“ setzt mit seiner fanfarenhaften Kompromisslosigkeit Zeichen und gibt die Marschrichtung für alle folgenden „Sätze“vor – wenn man die musikalischen Einheiten so nennen darf. Orff hat lateinische, mittelhochdeutsche und altfranzösische Gedichte aus einer erst im 19. Jahrhundert aufgefundenen mittelalterlichen Sammlung auf je eigene und konturierte Weise in Musik umgesetzt. Dabei geht es quer durch alle Bereiche des menschlichen Lebens: die Religion, die Liebe und die abendlichen Vergnügungen in den Kneipen. Dabei hat er den bisweilen deftigen Humor dieser Gedichte durchaus erkannt und ihn auch musikalisch umgesetzt. Die drei Solisten – Sopran und Bariton wie bei Dvoraks „Te Deum“ und zusätzlich der Tenor Jaroslav Brezina – machten sich denn auch fast einen Spaß daraus, diese Gedichte mit pathetischem, aufgeregtem, innigem oder prahlerischem Gestus vorzutragen. Auch hier ließen sie ein wenig Operncharakter durchschimmern, was sicher von vornherein beabsichtigt war. Denn die Gedichte drehen sich alle um die Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins, und der Trost liegt eher im abendlichen Trinken und Spielen als im stillen oder klagenden Gebet. Alle drei Solisten zeigten dabei hohe stimmliche Leistungen und hielten trotz der einstündigen Dauer dieser Aufführung den Spannungsbogen bis zum Ende.
Der Chor war trotz der bemerkenswerten Leistungen der Solisten der eigentliche Star des Abends und entfesselte streckenweise einen wahren Klangrausch. Die geschickte Kombination von Frauenchor, Männerchor und Knabenchor (hier wohl Frauen) führte zu immer wieder neuen Klangformen, die den weiten Raum der Basilika restlos ausfüllten. Dirigent Leos Svarovsky trieb das Orchester einerseits mit intensiven Gesten an, achtete aber dennoch darauf, weder die Solisten noch den Chor zu übertreffen. Nur im anfänglichen „O Fortuna“ war das Orchester bei den leisen Stellen des Chors eine Spur zu dominant, in der Schlusswiederholung hörte man dagegen auch die leisen Töne des Chors sehr gut. Mit dem fulminanten Schlussakkord des Orchesters drehte sich Svorovsky mit einem solchen Schwung zum Publikum um, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte. Das ist wahre musikalische Begeisterung!
Das Publikum war begeistert und spendete neben kräftigem Beifall auch „Bravo“-Rufe und stehende Ovationen. Das Ensemble hatte diesen Beifall wahrlich verdient.
Frank Raudszus
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