Beim Rheingau-Musik-Festival erklingen „Mozarts große Nachtmusiken“ in Kreuzgang des Klosters Eberbach.
Freiluft-Konzerte sind – auch im Sommer – immer eine Nervensache. Das hat sich in diesem Jahr bereits beim Sommerfest des Rheingau-Musik-Festivals gezeigt. Auch „Mozarts große Nachtmusiken“ stehen in jedem Jahr im Kloster Eberbach als Freiluft-Veranstaltung auf dem Programm, und in diesem Jahr war das Wetterglück den Veranstaltern hold. Ein fast makellos blauer Himmel wölbte sich bereits während des gesamten Nachmittags über dem Kloster Eberbach, und das änderte sich auch bis zum Abend nicht. Allerdings waren die Besucher gut beraten, sich warm anzuziehen, denn der regnerische Juni hatte ausreichend für abendliche Kühle vorgesorgt.
Auf dem Programm standen an diesem Abend zwei Hornkonzerte von Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart sowie ein Divertimento, eine Sinfonie und eine Serenade von Mozart, womit dem Titel Genüge getan war. Solist der Hornkonzerte war Felix Klieser, den südhessische Musikfreunde noch vor kurzem in Darmstadt erleben konnten. Zwar bleibt die Tatsache gerne aus nahe liegenden Gründen unerwähnt, doch für Uneingeweihte wollen wir sie hier beim Namen nennen: Felix Klieser kam ohne Arme zur Welt, wählte dennoch das Horn zu seinem Instrument und lernte, es in Perfektion mit dem Fuß zu spielen. An diesem Abend hatten es die Zuhörer also in wahrstem Sinne des Wortes mit einem Ausnahmekünstler zu tun. Ihm zur Seite stand das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter der Leitung von Ruben Gazarian.
Joseph Haydns Konzert für Horn und Streicher Nr. 2 ist ein typisches Produkt der frühen Wiener Klassik: gemäßigte Länge, eingängige Themen und ausgewogene Dynamik. Grad so, wie sich die höfische Gesellschaft die musikalische Untermalung wünschte, die niemals die Unterhaltungen stören durfte. Dass Haydn es dennoch verstand, musikalische Qualität in diese nur scheinbar belanglose Musik einzubetten, steht auf einem anderen Blatt. Der gravitätisch schreitende Rhythmus der Barockmusik ist einer neuen Leichtigkeit gewichen, die subtil das erwachende Selbstbewusstsein des eigenständigen Künstlers zum Ausdruck bringt. Den tänzerischen ersten Satz krönt ein Horn-Solo, das Felix Klieser souverän präsentierte. Allerdings musste er sich dabei mit einem unerwarteten musikalischen Konkurrenten messen: ein Vogel hoch auf dem Dach des Klosters fühlte sich vor allem durch das Horn-Solo derart animiert, dass er in kunstvollen Figuren mitzusingen begann. Und bei jeder anschwellenden Passage des Horns fühlte er sich angespornt, ebenfalls lauter zu zwitschern. Das weckte nicht nur beim Publikum, sondern sogar beim Dirigenten humorvolles Schmunzeln. Der Solist konnte sich dieser Reverenz gegenüber dem Vogel aus nahe liegenden Gründen leider nicht anschließen, hätte es jedoch sicher gerne getan.
Nach einem getragenen zweiten Satz endete das Hornkonzert in einem Allegro im 6/8-Takt mit einem energischen Auftakt. Auch bei dem Solo dieses Satzes trat kurz ein akustischer Konkurrent auf, doch leider nur ein Motorflugzeug und keine Lerche!
Als Zwischenspiel zwischen den beiden Hornkonzerten servierte das Orchester Mozarts bekanntes Divertimento KV 136 mit seinem lebhaften ersten Satz, dem eingängigen Liedthema des zweiten und dem tänzerischen, fast stürmischen Finalsatz. Bei dieser Musik konnte man sich gut vorstellen, wie sie vor über zweihundert Jahren in den sommerlichen Salzburger Gärten geklungen haben mag. Dirigent Ruben Gazarian versuchte nicht, diese Musik durch besondere Dynamik überzuinterpretieren, sondern beließ ihr bewusst ihren Unterhaltungscharakter, ohne deswegen bei der Präzision Abstriche zu machen.
Mit dem dritten Programmpunkt wagte Ruben Gazarian etwas Besonderes. Hierbei handelt es sich um zwei Fragmente von Hornkonzerte, KV 370 und 371, die Mozart beide aus unbekannten Gründen nicht fertigstellte. Das Württembergische Kammerorchester hat zusammen mit Felix Klieser eine Rekonstruktion dieser beiden Fragmente eingespielt, und die Künstler präsentierten damit ein Werk, das man in den Konzertsälen bisher noch nicht gehört hat. Das nur zwölf Minuten dauernde Stück besteht aus einem eher unauffällig-gefälligen Allegro und einem lebhaften Rondo, das mit einer lebhaften Horn-Sequenz beginnt, der nach kurzer Zeit ein ausgeprägtes Horn-Solo folgt. Felix Klieser zeigte bei diesem Solo noch einmal seine technische Perfektion, und dieses Mal schwieg selbst der Vogel auf dem Dach in ehrfürchtiger Bewunderung.
Die zweite Hälfte des Abends war ausschließlich mozartschen Orchesterkompositionen gewidmet. Die Jugend-Sinfonie Nr. 29 in A-Dur, KV 201, kann man musikalisch trotz ihrer Länge von einer halben Stunde wegen ihrer Leichtigkeit – Mozart war bei der Komposition gerade achtzehn Jahre alt – fast noch als Serenade durchgehen lassen. Insofern passte sie gut in das restliche Programm.
Und womit endet ein Programm von „Nachtmusiken Mozarts“, ja kann so ein Programm nur enden? Natürlich mit der „Kleinen Nachtmusik“ – fast ein Widerspruch zum Konzert-Titel! -, einem der meistgespielten Stücke der Musikliteratur. Als Gelegenheitswerk ohne großen Anspruch „zwischendurch“ geschrieben, hat es sich zu einer Ikone, ja: zu „dem“ Markenzeichen Mozarts entwickelt. Selbst wer sich in klassischer oder sonstiger „E-Musik“ wenig auskennt, erkennt dieses Werk auf Anhieb. Und so gaben Ruben Gazarian und das Württembergische Kammerorchester „dem Affen Zucker“ und erfüllten einerseits die Erwartungshaltung des Publikums und nutzten andererseits den Wiedererkennungseffekt dieses Werks.
Das Publikum zeigte sich begeistert und dankte dem Ensemble sowie dem Solisten mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.
Frank Raudszus
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