Die „Neue Bühne Darmstadt“ inszeniert William Shakespeares „Zwei Herren aus Verona“.
Die „Neue Bühne Darmstadt“, fester Spielort im Ortsteil Arheilgen, inszeniert jedes Jahr ein Stück im Gewächshaus der Orangerie. Der hohe Raum und die vollständig verglaste Vorderfront, die im Winter die Sonne für die Pflanzen durchlassen soll, eignen sich hervorragend für Stücke, die im Freien spielen und ein sommerliches Gefühl der Freiheit und Weite erwecken.
In diesem Jahr steht Shakespeares „Zwei Herren aus Verona“ auf dem „Gewächshaus“-Programm. Darin geht es um zwei Freunde aus der oberitalienischen Stadt, die sich in Liebesabenteuer verstricken. Proteus liebt Julia und will Verona deshalb nicht verlassen; Valentin geht auf väterlichen Wunsch nach Mailand und verliebt sich dort in Silvia. Als auch Proteus nach Mailand gehen muss, verlobt er sich vorher mit Julia, verliebt sich dann aber in Mailand ebenfalls in Silvia. Auf eine charakterlich sehr unschöne Weise verleumdet er Valentin, so dass dieser verbannt wird und im Wald zum Anführer einer Räuberbande wird – man denkt an Karl Moor. Doch Proteus hat kein Glück bei Silvia, die Valentin liebt und obendrein auf ihres Vaters Wunsch eigentlich einen reichen, aber dummen Höfling heiraten soll. Inzwischen ist Julia zu Hause unruhig geworden und zieht, als junger Mann verkleidet, ebenfalls nach Mailand, wo sie ausgerechnet Laufbursche des sie nicht erkennenden Proteus wird und auch noch dessen Liebesschwüre bei der standhaften Silvia abgeben muss. Am Ende werden nicht nur dank der tapferen Frauen alle Verwicklungen aufgelöst, sondern die beiden jungen Männer erhalten ihre ursprünglichen Mädchen und Proteus sogar noch eine großzügige Absolution von Valentin und Julia.
Das Stück ist nicht gerade ein Höhepunkt an gesellschaftlicher oder menschlicher Kritik, und das fast erzwungene Happy-End würde heute selbst in einer Vorabendserie nicht mehr glaubhaft wirken. Doch zu Shakespeares Zeiten waren diese schlichten Komödien sozusagen „Alltagsware“ zur Unterhaltung des einfachen Volkes. Happy End war dabei Pflicht, das traurige Ende überließ man lieber der Tragödie.
Man kann dieses Stück auf verschiedene Weise inszenieren, zum Beispiel als bitterböse Satire auf männliche Eitelkeit und Unzuverlässigkeit. Dabei müsste man den leichten, komödiantischen Zug jedoch dem entlarvenden Blick des Moralisten opfern. Man kann es auch als überzogenen Schwank inszenieren, bei dem sowohl die Liebes- als auch die Eifersuchtsszenen ins Groteske verzerrt werden. Damit würde man ihnen den biederen Ernst nehmen, der besonders am Ende durchzuschlagen droht. Auf jeden Fall ist es für eine Schauspieltruppe und ihre Regie nicht einfach, diesem Stück eine wesentliche Aussage über die reine Unterhaltung hinaus zu entlocken.
Renate Renken hat sich entschieden, auf jegliche psychologische oder gar gesellschaftliche Interpretation zu verzichten, und inszeniert das Stück einfach als Erzählung im historischen Gewand. Sie vertraut offensichtlich auf die Wirkung der Sprache und des in diesem Stück reichlich vorhandenen Witzes. Der besteht zum großen Teil in Wortspielen, die über die jeweilige Situation hinausgehen und aus einem vorgegebenen Satz oder Wort durch Verdrehungen, Assoziationen und Verfremdungen völlig neue Sinngehalte entwickeln. Das geht meist ins Allgemein-Menschliche und kehrt Paradoxien und Widersprüche in den Vordergrund. Marianne Renken schenkt diesen Wortspielen besondere Beachtung, und die Darsteller machen sich einen Spaß daraus, den von Shakespeare intendierten Wettstreit um das beste Bonmot auch wirklich durchzuziehen. Für den Zuschauer bedeutet dies, genauestens zuzuhören, um die schnell aufeinander folgenden Pointen nicht zu verpassen. Allerdings bemühen sich die Schauspieler – meist mit Erfolg – die pointenreichen Wortspiele durch saubere Artikulation an das Publikum zu bringen.
Wie in solchen Komödien üblich, sind für die frechen und widerständigen Wortspiele die Dienstboten zuständig, während die „Personen von Stand“ meist vermeintlich ernsthafte Dinge von sich geben. Doch auch hier umgeht Shakespeare die explizite – oder implizite – Zensur des Hofes, indem er deren Text eher auf den zweiten Blick als nichtssagend entlarvt. Vordergründig vertreten sie – so etwa Proteus´ Vater Antonio – die Meinung der „herrschenden Klasse“, die natürlich zu dieser Zeit nie öffentlich kritisiert wurde. Erst an den Disputen zwischen Herrschaft und Dienstboten merkt man, dass letztere am Ende stets alle Argumente auf ihrer Seite haben.
Renate Renken hat sich auch einige hübsche Regieeinfälle gegönnt. So klettert Silvia alias Jennifer Flaczek tatsächlich an zusammengebundenen Betttüchern aus ihrem angedeuteten Fenster, und die Räuber stellen den Wald glaubhaft durch jeweils zwei Äste in rechter und linker Hand dar, wenn sie die Reisenden im nächtlichen Wald überfallen. Der Hund von Valentins Diener Lanz (Rainer Poser) durchzieht als kläffende Handpuppe wie ein „running gag“ das ganze Stück, und Lanz gibt dazu seine philophischen Kommentare über Hunde, Menschen und das Leben zum besten. Sein Pendant ist Proteus´ Page Flink (Bianca Weidenbusch), der durch rhetorische Schlagfertigkeit – vor allem in den Wortspielen – auffällt.
Die Darsteller verleihen den einzelnen Figuren durchaus Leben, was bei den Dienstboten aufgrund ihrer „Narrenfreiheit“ stets einfacher und dankbarer ist als bei den „tragenden“ Rollen. Doch Jennifer Flaczek als Silvia und Sabrina Czink als Silvia machen ihre Sache durchaus gut, wobei letztere noch den Vorteil hat, dass sie in ihrer Verkleidung als männlicher Dienstbote noch mehr darstellerische Freiheiten genießt. Diese Freiheiten haben Ulrich Sommer und Axel Raether als Proteus und Valentin nicht. Sie müssen stets den Ernst der Lage diskutieren oder miteinander aushandeln. Dagegen hat Nicole Klein als Zofe Lucetta wieder den Vorteil der frechen Schnauze, den sie auch weidlich nutzt. Ulrich Sommer kann auch die größte Schwäche des Stücks nicht ausbügeln: wenn Proteus am Ende als mieser Intrigant entlarvt wird, der den besten Freund ans Messer liefert und die eigene Verlobte schnöde betrügt, dann genügt ein kurzer Reueausbruch, um alles ungeschehen zu machen. Selbst bei dieser leichten Komödie, deren Inhalt man nicht unbedingt ernst nimmt, wirkt dieses allzu leichte Vergeben nicht glaubwürdig. Aber eine andere Interpretation dieser Szene hätte wahrscheinlich, wie schon erwähnt, eine ganz andere Inszenierung erfordert.
Das Publikum fühlte sich zwei Stunden lang gut unterhalten, wozu die Rangeleien und Kampfszenen sowie die Wortspiele und Zickereien der Frauen kräftig beitrugen, und spendete am Schluss kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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