Eine Pantomime über spätbürgerliche Décadence

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Das Staatstheater Darmstadt bringt Federico Fellinis Kultfilm „E la nave va“ als „Schiff der Träume“ auf die Bühne.

Die Adaption anderer literarischer oder medialer Kunstwerke für die Bühne ist stets ein kritisches Unterfangen. Der epische Charakter eines Romans lässt sich ebenso schwer in gespielte Dialoge übersetzen wie die künstlichen und deshalb prinzipiell unbegrenzten Bilder des Kinos. Der Film kann Bilder und Szenen beliebig verfremden, etwa durch die Art des Schnittes, durch Überblendungen, durch Temporückungen und durch virtuelle Kulissen beliebigen Ausmaßes. Dadurch kann er handelnde Personen in surreale Wesen verwandeln, die wie Traumfiguren durch die Vorstellungen der Zuschauer wandeln. All das kann das Theater nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang, denn die ureigene Welt des Theaters ist die konkrete Bühne mit realen Schauspielern, die mit ihren Mitteln den Zuschauern ein Stück der Welt erklären.

Ensemble

Ensemble

Genau das ist das Problem in der Inszenierung von „Schiff ohne Träume“. Der italienische Regisseur Federico Fellini, bekannt für seine surrealistischen Kultfilme, ließ 1983 in dem Fil „E la nave va“ eine illustre Gesellschaft auf einem Schiff namens „Gloria N.“ zu der Seebestattung einer berühmten Sopranistin fahren. Neben einem Tenor und einer Sopranistin befinden sich der Generalmusikdirektor der Mailänder Scala, ein Pantomime, ein österreichisch-ungarischer Prinz mit seiner blinden Schwester sowie verschiedene Minister und hohe Offiziere an Bord. Ein Journalist berichtet sozusagen „live“ über diese im Sommer 1914 irgendwo in der Adria stattfindende Schiffsreise.

Die Metapher des Schiffes für die von Menschen bewohnte Welt, auf der alle aufeinander angewiesen sind und die niemand verlassen kann (außer durch Tod), hat eine lange literarische Tradition, angefangen bei Odysseus´ Fahrten durch das Mittelmeer und fortgesetzt in Sebastian Brants „Narrenschiff“ aus dem späten 15. Jahrhunderts. Zu sehr bietet sich das Meer als Bild für ein gefahrvolles und unstetes Leben und das Schiff als fragiler Untersatz für die bürgerliche Reise durch dieses Leben an, als dass ein Künstler darauf verzichten könnte. Um den Zeitbezug zu verdeutlichen, lässt Fellini den Film im Stil der Stummfilme des frühen 20. Jahrhundert beginnen, schwarz-weiß und mit den typischen Ruckelbewegungen, wie wir sie heute von alten Filmaufnahmen kennen. Damit erinnert er zugleich an die historischen Filmaufnahmen über den Kriegsausbruch 1914, und eine explizite Erwähnung des Jahres 1914 im Untertitel des Stummfilms positioniert den Film unmissverständlich und fast abrupt in die Zeit der Julikrise.

Katharina Hintzen als Lady Violet

Katharina Hintzen als Lady Violet

Im Folgenden stellt Fellini die Gäste der Bestattungsfahrt als archetypische Vertreter einer dekadenten Gesellschaft dar, deren Gefühle und Gedanken sich nur um ihre eigenen Belange und die Abgrenzung gegen andere drehen. Der Generalmusikdirektor ist ein selbstgerechter, dünkelhafter Choleriker, der überall Verschwörung und Insubordiation wittert, die Sopranistin hasst die verstorbene Sängerin noch im Tode als bessere und erfolgreiche Konkurrentin und sieht in ihrer spektakulären Seebestattung eine letzte, perfide Selbstinszenierung. Der Tenor mit dem schönen Namen Fuciletto donnert zu allen unpassenden Gelegenheiten Opernarien und prahlt mit seiner überragenden Kunst, und die Gattin des Generalmusikdirektors schaut mehr nach anderen Männern als nach dem eigenen. Der k.u.k.-Prinz ist ein Paradebeispiel hocharistokratischer Verblödung, und seine blinde Schwester assoziiert die Stimmen ihrer Umwelt permanent mit Farben.

Die eitle Oberschicht wird unvermutet mit der Realität konfrontiert, als serbische Flüchtlinge nach Österreich-Ungarns Kriegserklärung auf kleinen Booten nach Italien zu fliehen versuchen und dabei in Seenot geraten. Das Schiff nimmt einige Überlebende auf, und plötzlich sehen sich die vornehmen Gäste zerlumpten, hilfebedürftigen Gestalten gegenüber, die bei ihnen jedoch nur Abneigung wecken. Als österreichische Kriegsschiffe die Übergabe der Flüchtlinge fordern, kommt es zu Missverständnissen, in deren Folge die „Gloria N“ sinkt. Die Anspielung auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs ist unübersehbar.

Für das Staatstheater Darmstadt bot sich diesen Stück wegen der unerwarteten Aktualität an, denn die auf Booten massenhaft vor Krieg und Vertreibung flüchtenden Menschen sind wahrlich kein Phänomen der Vergangenheit. Regisseur Uli Jäckle, der auch für die Bühnenfassung verantwortlich zeichnet, hat sich soweit möglich an Fellinis Vorlage gehalten. Das Personaltableau hat er zwar aus nahe liegenden Gründen nahezu halbiert, jedoch die wesentlichen Charaktere beibehalten. Den berichtenden Journalisten hat er eingespart, dafür den Kapitän dramaturgisch aufgewertet. Zu Beginn lässt er alle Darsteller in Stummfilmmanier mit ruckartigen Bewegungen vor dem eisernen Vorhang auftreten, damit der Eingangsszene von Fellinis Film Reverenz erweisend.

Maria Radomski als Prinz

Maria Radomski als Prinz

Eine andere Szene des Films zeigt die Interpretation eines Klavierstücks von Franz Schubert auf den Rändern von Trinkgläsern durch zwei musikalische Kellner (oder kellnernde Musiker). Diese Szene hat Bühnenbildner Thomas Rump dazu animiert, die gesamte Bühne des Kleinen Hauses mit zweitausend Weingläsern (aus Plastik!) vollzustellen, durch die alle Darsteller bis zum Ende der Aufführung buchstäblich Slalom laufen müssen und auf denen ebenfalls (Playback-)Musik gespielt wird. Wenn das Schiff später vor Anker geht – ob zur geplanten Seebestattung oder wegen der Flüchtlingsboote, ist unklar -, senkt sich ein riesenhafter Anker aus dem Bühnenhimmel herab. Diesen Anker baut das Programmheft zu einem geradezu immanenten Topos für die Suche des Menschengeschlechts nach einem festen Halt im ständig sich wandelnden Meer des Lebens auf. Die Inszenierung selbst beschwört diese Assoziation nicht zwingend herauf, da die gesprochenen Texte eher fragmentarisch sind und keinen weit gespannten Sinnzusammenhang ergeben.

Ein weiteres Element des Films und auch der Bühnenfassung ist das Nashorn, das einer der Gäste als Geschenk mit an Bord gebracht hat und das allein schon durch seine Existenz die Frage nach seinem Symbolcharakter aufwirft. Ein surrealer Charakter ist dieser Requisite nicht abzusprechen, und auch die Darmstädter Inszenierung bringt es publikumswirksam und in naturalistischer Gestalt auf die Bühne, nur damit später der eitle Tenor und die umtriebige Gattin des Generalmusikdirektors es erst als Liebesnest nutzen und dann die Einzelteile als Accessoires über die Bühne tragen.

Uwe Zerwer und Katharina Hintzen

Uwe Zerwer und Katharina Hintzen

Im Film kommt die Musik – speziell der Operngesang – in geradezu karikierender Form zum Tragen. Bekannte Arien großer italienischer Opern werden in nicht mehr edlem Wettstreit abwechselnd vom Tenor und der Sopranistin buchstäblich ins und übers Schiff geschmettert, womit sich Fellini offensichtlich über die Opernsucht einer gewissen Schicht lustig macht. Auch die Bühnenfassung greift kräftig zur musikalischen Konserve, mal bekannte Konzertstücke, mal eingängige Opern. Bei den Opernarien üben die Darsteller ausgiebig das „Playback“, das allerdings streckenweise in verblüffender Qualität. Kurzfristig denkt man, sie sängen wirklich.

Überhaupt spielt das Lavieren zwischen Realität und Fiktion wie in Fellinis Film eine zentrale Rolle, was Fellini durchaus gesellschaftlich gemeint hat. Die hier beschriebene Gesellschaft lebt nicht in der echten Realität, sondern in der künstlichen Welt der kleinen Oberschicht und hat damit längst den Kontakt zum Alltag der normalen Menschen verloren. Das wirkt bisweilen ausgesprochen echt, so wenn sich alle Darsteller an der Bühnenrampe auf eine nicht vorhandene Reling stützen und aufs Meer (das Publikum) hinausschauen. Man meint, buchstäblich die horizontale Relingstange zu sehen, weil sie ja da sein muss, so wie sich die Darsteller locker, ängstlich oder kraftvoll darauf abstützen.

Karin Klein und das Nashorn

Karin Klein und das Nashorn

Auch die Pantomime kommt immer wieder zum Tragen. so wenn der Barkeeper incht vorhandene Flaschen öffnet und gekonnt aus ihnen in ebenso nicht vorhandene Gläser einschenkt, oder wenn eine bestimmte Szene plötzlich erstarrt und sich dann in Zeitlupe fortsetzt. Am spektakulärsten geschieht dies, wenn das Schiff am Schluss untergeht und alle Personen nacheinander in grotesken Zeitlupenbewegungen in der Versenkung verschwinden.

Diese Inszenierung bietet viele amüsante Szenerien und Dialoge, sie kann aber letztlich nicht die Wirkung des Films erzielen, eben weil dieser über eigene, weiter gehende Mittel verfügt, die den Surrealismus erst richtig zur Geltung zu bringen. Die Darsteller zeigen durchweg überzeugende Leistungen, vor allem Uwe Zerwer, der in der Rolle des Generalmusikdirektor als Gast zu sehen ist und seine ganze darstellerische Variabilität zeigt. Neben ihm überzeugen Karin Klein als überdrehte Sopranistin und Katharina Hintzen als leichtlebige Gattin des Generalmusikdirektors. Maria Radomski spielt den tumben k.u.k.-Prinzen mit viel bösem Witz und Gabriele Deichsel verleiht dessen blinder Schwester einen somnambulen Zug. Florian Federl schmettert sich als selbstbespiegelnder Tenor durch die Inszenierung, und Christian Klischat spielt einen Kapitän in Phantasieuniform, der für alle Missgeschicke der Reise den Sündenbock spielen muss.

Bleiben noch die beiden Kinder zu erwähnen, die von Rosa Klischat und Mia Zerwer erstaunlich selbstbewusst gespielt werden. Woher mag das wohl kommen??

Frank Raudszus

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