Das Frankfurter Liebieg-Haus präsentiert in der Ausstellung „Athen. Triumph der Bilder“ neue Erkenntnisse über alte Statuen.
Kriminalistik ist normalerweise nicht eine hervorstechende Eigenschaft von Museumsexperten. Doch bisweilen laufen sie – wie Prof. Vinzent Brinkmann und seine Mitarbeiter vom Liebieg-Haus – in dieser Disziplin zu Höchstform auf. Vor etwa fünfzig Jahre entdeckte man vor der italienischen Küste bei Riace zwei griechische Bronzestatuen, die sich nach eingehender Analyse auf das 5. Jahrhundert v. Chr. datieren ließen. Wegen verschiedener fehlender Details wie Waffen und Kopfbedeckungen deutete man sie allgemein als griechische Krieger. Vinzenz Brinkmann ist es jetzt – Mit dem Einverständnis und unter Mithilfe der italienischen Museumsverantwortlichen – gelungen, die Geschichte dieser Statuen und die dahinter stehenden mythologischen Figuren zu entschlüsseln. Dazu waren nicht nur genaue technische Untersuchungen bezüglich Material und Stil der Statuen erforderlich, sondern vor allem auch eine genaue Kenntnis der griechischen Mythologie. Erst diese brachte den entscheidenden Durchbruch bei der Zuschreibung der beiden Figuren. Es handelt sich um Erechtheus, den Sohn Athenes, nach dem auch ein Tempel auf der Akropolis benannt ist, und um Eumolpos, den Sohn Poseidons. Im Mythos bedroht letzterer Athen, und Erechtheus, dem Herrscher Athens, gelingt der Sieg nur, nachdem er seine älteste Tochter geopfert hat. Mit diesem Wissen sowie aus den Resten der Kopfbedeckungen beider Statuen und ihrer Handhaltung konnte man mit einer konsequenten, nach dem Ausschlussverfahren aufgebauten Argumentationskette nicht nur die mitgeführten Waffen, sondern auch die ursprünglichen Kopfbedeckungen rekonstruieren und damit die Figuren benennen. Man merkte bei der Pressekonferenz Professor Brinkmann den Stolz über diese in Fachkreisen als sensationell gewerteten Erkenntnis an, denn er erklärte den anwesenden Pressevertreter nicht nur die Exponate sondern auch den griechischen Mythos in einer derart lebendigen Art, dass man gerne noch mehr gehört hätte.
Die Ausstellung ist um diese beiden Figuren herum aufgebaut, die das Liebieg-Haus nach exakter Abmessung der Originale nachgebaut und damit dem vermuteten Aussehen soweit möglich angenähert hat, also auch mit ausgefüllten Augen und farblicher Gestaltung über den Zustand hinaus, wie wir ihn von antiken Statuen kennen. Wie sich ja mittlerweile herausgestellt hat, waren die antiken Statuen durchaus nicht „klassisch“ farblos sondern richtiggehend herausgeputzt, was manchem antiken Puristen gar nicht in den Kram passt.
Die Ausstellung folgt dem antiken griechischen Kalender, der das Jahr ebenfalls in zwölf Einheiten unterteilte und der mit der Sommersonnenwende beginnt. Dazu werden typische Reliefs als Muster herangezogen, soweit möglich im Original oder in Kopie gezeigt und darüber hinaus graphisch weiter verarbeitet. Da die antiken Reliefs vorrangig Götter und andere mythische Gestalten zeigen, lassen sich sowohl mythische aus auch historische Ereignisse daraus ableiten. Diese werden in zwölf Räumen mit entsprechenden Graphiken, Texten und Exponaten vorgestellt und erläutert. Dazu gehört auch der typische antike Tagesablauf mit seinen rituellen Momenten, die alle Aktivitäten der Menschen begleiteten und strukturierten. Es beginnt mit dem mythischen Streit zwischen Poseidon und Athene, in dem letztere das antike Senioritätsprinzip verletzte und Poseidon damit tief kränkte. Es geht weiter mit Athenes Sohn Erechtheus, zu dessen Zeugung Hephaistos beitrug, dann folgt der Athener Festkalender mit seinen zwölf Monaten.
Aufgrund dieser Struktur ist der Besucher gehalten, die Räume in der angegebenen Reihenfolge zu durchwandern. Natürlich steht einer anderen Abfolge nichts im Wege, doch wir betrachten es als sinnvoll, diese Reihenfolge einzuhalten. Man erfährt viel über den antiken griechischen Alltag, über die religiösen Riten und über das unverkrampfte Verhältnis zu den Göttern, denen man bekanntlich sämtliche menschliche Schwächen vom Betrug bis zum Ehebruch andichtete. Das macht die griechische Mythologie im Gegensatz zu den monotheistischen Religionen ja so unterhaltsam und menschlich.
Bei den historischen Ereignissen ist die Schlacht von Salamis zu nennen, in der die Griechen im Jahr 480 v. Chr. eine fast aussichtslose Lage in einen Sieg verwandelten, und die dadurch selbst mythischen Charakter angenommen hat. Daher wird auch diese Schlacht in einer eigenen Wandkarte mit erläuterndem Text gewürdigt.
Die Ausstellung verdeutlicht den Drang bereits des antiken Menschen, seine Ängste, Sehnsüchte und Weltdeutungen in bildhafter Form auszudrücken. Wegen der Beständigkeit gegenüber äußeren Einwirkungen haben dabei die bildhauerischen Werke die größte Überlebenschance. Daher kennen wir das Wesen der Antike hauptsächlich aus dieser Perspektive, von Mosaiken und Vasenmalereien abgesehen, die jedoch selbst wieder Teil einer bildhauerischen Arbeit sind. Der Besucher taucht in dieser Ausstellung tief in die antike Welt der Griechen ein und gewinnt eine Ahnung vom Lebensgefühl der Antike. Mehr kann man von einer Rückschau über zweieinhalbtausend Jahre nicht erwarten.
Die Ausstellung ist vom 4. Mai bis zum 4. September 2016 geöffnet. Näheres ist über die Webseite des Liebieghauses zu erfahren.
Frank Raudszus
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