Eine kritische Analyse des lateinischen Klassikers aus literarischer und politischer Perspektive.
„Gallia est omnis divisa in partes tres“ – dieser allerersten Satz aus Caesars „De bello gallico“ verfolgt wahrscheinlich noch heute viele ehemalige Lateinschüler im Schlaf, vor allem die in diesem Fach weniger erfolgreichen. Und wie in einer Art subtiler Rache an dem Lateinunterricht früherer Tage nimmt der Autor – Lehrstuhlinhaber für Klassische Philologie und höchstwahrscheinlich kein lateinischer Krisenfall zu Schulzeiten – diesen Satz in einer Art auseinander, die man als beispielhaft für die gesamte Analyse der sieben „commentarii“ über den siebenjährigen(sic!) Krieg in Gallien betrachten darf.
Schon das erste Wort ist entscheidend, da in Rom laut Schauer Bücher nicht nach ihrem Titel sondern nach dem ersten Wort benannt wurden. Damit war Gallien über dieses Buch automatisch an Caesar gebunden. Das „omnis“ – zu deutsch „ganz“ – ist ebenso wichtig, da Caesar mit diesem Wort ein „ganzes“ Gallien implizierte, das es damals in dieser Form weder gab noch als solches in Rom bekannt war. Jenseits der römischen Provinz „Gallia transalpina“ (heutiges Süd-Frankreich) begann für den normalen Römer eine undefinierte Welt unbekannter Völker und Stämme. Mit diesem einen Wort schuf Caesar buchstäblich Gallien, nämlich im Bewusstsein der Römer, und ordnete es sich als militärischem und literarischem Eroberer zu. Dazu passt dann auch noch „partes tres“, denn damit teilte er dieses soeben erfundene „ganze“ Gallien in drei Teile ein, die ebenfalls nicht auf historisch abgesicherten Erkenntnissen sondern nur auf seiner Definition beruhten. Die Art der Einteilung erlaubte es ihm im weiteren Verlauf der „commentarii“, die einzelnen Teile bzw. die mehr oder weniger erfolgreichen Feldzüge gegen sie taktisch ins rechte Licht zu setzen.
In ähnlicher Weise geht Schauer durch Caesars gesamten Kriegsbericht und leuchtet die politischen, persönlichen und literarischen Hintergründe bis in den letzten Winkel aus. Dabei gesteht er Caesar nicht nur außergewöhnliches militärisches Können zu, sondern hebt auch seine literarischen Fähigkeiten hervor. Schauer gehört nicht zu den nachgeborenen Moralisten, die eine historische Figur auf der Basis heutiger Erkenntnisse be- und verurteilen, sondern er lässt seiner Figur ihre historische und persönliche Würde. Doch das hindert ihn nicht daran, die wahren Beweggründe für die Aktivitäten seines Protagonisten herauszuarbeiten.
Die „commentarii“ sind auf den ersten Blick reine Tatsachenberichte, und in Ermangelung anderer zeitgenössischer Literatur über das konkrete Thema „gallischer Krieg“ verfällt man als Leser leicht der Annahme, es handele sich hier um nüchterne Tatsachenschilderungen. Doch dem ist nicht so, wobei Caesar nicht mit plumpen Lügen aufwartet – die wahrscheinlich schon zu seinen Lebzeiten entlarvt worden wären – sondern mit einer manipulativen Art der Darstellung, die nur Leser mit breitem historischen Hintergrundwissen erkennen können.
Caesars sehr eigene Darstellung beginnt laut Schauer bereits mit der Schilderung des Helvetier-Zuges im ersten Buch. Obwohl er die Helvetier als in vielen Kämpfen mit den Germanen gestählte Kämpfer schildert, behauptet er plötzlich, sie wollten vor den Germanen fliehen und ausgerechnet an die Antlantikküste in die Nähe des heutigen Bordeaux auswandern. Der Autor fragt mit Recht, woher sie die Verbindung zu dieser fernen Gegend – 1200 km! – haben konnten und weswegen sie annahmen, dort willkommen zu sein. Dieser Fall sei hier nur als Beispiel aufgeführt für weitere ähnliche Erklärungen bei späteren kriegerischen Aktionen, die gemäß Schauers Analyse alle nur dem Zweck dienten, Caesars Entscheidung für militärische Maßnahmen zu rechtfertigen.
Um Caesars Taktik zu verstehen, muss man wissen, dass er aus ältestem römischen Adel stammte und höchste Machtpositionen für sich als selbstverständlich betrachtete. Seiner Karriere war alles unterzuordnen. Nach seinem verunglückten ersten Konsulat im Jahr 59 – er musste gegen den gesamten Senat regieren – brauchte er dringend einen Erfolg als Provinzstatthalter, um nicht in der Versenkung zu verschwinden. Nachdem er durch List und Glück tatsächlich Gallien als Provinz errungen hatte, ging es für ihn darum, dort möglichst große Erfolge zu erzielen. Das war im spätrepublikanischen Rom nur durch große Eroberungen zu erreichen. Eine bloß erfolgreiche Verwaltung einer fernen Provinz ohne zusätzlichen Ruhm und Landgewinne für Rom war indiskutabel. Daher war eine kriegerische Eroberung Galliens für Caesars politisches Überleben dringend erforderlich, unabhängig davon, ob es dort Aufstände gab oder nicht.
Da Caesar sich der Bedeutung der öffentlichen Darstellung sowie seiner schriftstellerischen Fähigkeiten wohl bewusst war, nutzte er die „commentarii“ als ein strategisches Mittel für seine eigene Positionierung. Markus Schauer untersucht in dieser Hinsicht nicht nur die Inhalte der sieben Bücher, sondern ebenfalls die dramaturgische Gestaltung. Detailliert weist er anhand vieler Beispiele den bewusst gestalteten dramatischen Aufbau des Werks nach, bei dem Caesar sich anfangs noch auf sachliche Schilderungen beschränkt, um erst einmal Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Je weiter er jedoch militärisch in Gallien fortschreitet, desto dramatischer baut er seine Berichte auf und weckt damit die Begeisterung des Volkes daheim. Dramatisierte Berichte mit direkter Rede und Ansprachen hätten zu Beginn des Krieges plump und anmaßend geklungen, zum Schluss erfüllten sie jedoch genau die Erwartungen der heimischen Leser, seien es Politiker oder Bürger.
Wer sich für römische Geschichte interessiert, speziell für Caesar und den gallischen Krieg, findet in diesem Buch viele neue Erkenntnisse und Perspektiven. Wer dann noch „De bello gallico“ aus Schulzeiten kennt und nicht gar zu schlechte Erinnerungen daran hat, wird daraus einen ganz eigenen Nutzen ziehen. Vielleicht greift der eine oder die andere wieder einmal zum zerfledderten Schulbuch und blättert durch den lateinischen Text……
Das Buch „Der gallische Krieg“ ist im Verlag C.H.Beck erschienen, umfasst 271 Seiten und kostet 19,95 Euro.
Frank Raudszus
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