Im 5. Sinfoniekonzert setzt das Staatstheater Darmstadt das diesjährige Motto „Humor in der Musik“ konsequent um.
Dem Programmheft dieses Konzerts stand Joachim Ringelnatz´ Satz „Humor ist der Knopf, der verhindert, das uns der Kragen platzt“ voran. In unverblümter Direktheit drückt er das aus, was zumindest zwei Komponisten bisweilen gedacht haben mögen. Von einem – Bernd Alois Zimmermann -wissen wir es, weil er als Zeitgenosse sein Werk selbst kommentiert hat, von dem anderen – Wolfgang Amadeus Mozart – kann man es mit Fug und Recht annehmen, da er in seinem Leben genügend Anlässe für einen „platzenden Kragen“ vorfand.
Das Programm folgt einer Kreisform. Den Rahmen bilden zwei Werke, die einen eher subtilen musikalischen Humor aufweisen. Die zu Beginn erklingende „Symphonie Classique“ von Sergej Prokofjew verweist dabei auf die am Schluss stehende Sinfonie Nr. 94 von Joseph Haydn, da Prokofjew selbst sein Werk als den Versuch bezeichnete, so zu komponieren, wie es Joseph Haydn vielleicht Anfang des 20. Jahrhunderts getan hätte. Diesem bewussten Anachronismus haftet ohne Zweifel eine gehörige Portion musikalischen Humors an. Innerhalb des Rahmens dieser beiden Werke tummeln sich zwei wahrhaft groteske musikalische Streiche: Bernd Alois Zimmermanns „Musique pour le souper du Roi Ubu“ und Mozarts „Ein musikalischer Spaß“, KV 522. Auf einen Instrumentalsolisten verzichtete dieses Konzert; stattdessen trat der Darmstädter Schauspieler Matthias Znidarec als Sprecher in Zimmermanns „Ballett noir“ auf, wie dieser es selbst im Untertitel nannte. Die musikalische Leitung des Konzerts übernahm der schweizer Dirigent Simon Gaudenz, Leiter der Hamburger Camerata.
Es gehört schon einiger Mut dazu, zur Zeit des Ersten Weltkrieges, als andere Komponisten bereits mit neuen Tonsystemen experimentierten, eine Sinfonie im Stile Joseph Haydns zu komponieren. Zwar erweiterte Prokofjew die klassische Harmonik um Elemente des 20. Jahrhunderts, doch die Grundstruktur der Sinfonie war bewusst eng an das klassische Format angelehnt. Erstaunlicherweise ergab sich aus dieser Mischung eine frische und durchaus nicht verstaubt-akademische Musik, die sich einerseits von der schwülen Schwere der Spätromantik abhob und andererseits den lebensoffenen Charme Haydnscher Sinfonien versprühte. Die modernen Harmonie-Element verleihen ihr darüber hinaus etwas Ambivalentes, Schwebendes, womit sich die Sinfonie nahtlos in die musikalische Welt des 20. Jahrhunderts einfügte. Statt Spott erntete sie einen festen Platz in den Repertoires der Sinfonieorchester und der Musikindustrie. Der humoristische Aspekt liegt in der „Frechheit“ Prokofjews, alle Regeln der zeitgenössischen Musiktheorie und der Musikkritik zu missachten und diese durch den Rückgriff auf klassische Muster geradezu zu provozieren. Man kann sich vorstellen, dass er dabei diebischen Spaß empfunden hat. Das Orchester interpretierte Prokofjews Sinfonie mit einer hellen, geschärften Intonation, die besonders die modernen harmonischen Elemente betonte. Dadurch vermied Gaudenz eine zu enge Bindung an das klassische Vorbild und präsentierte sie als glaubwürdigen musikalischen Vertreter des frühen 20. Jahrhunderts. Das Orchester folgte ihm mit Präzision und viel Spielfreude.
Bernd Alois Zimmermanns „Musique pour le souper de Roi Ubu“ ist eine Collage aus der Musik von mindestens drei Jahrhunderten. Streicher haben hier keinen Platz, dafür aber umso mehr die Blechbläser, die verschiedenen Schlaginstrumente und sogar eine Orgel. Zimmermann betrachtete dieses Werk durchaus als provokative Parodie auf den Konzertbetrieb und das typische Publikum, dass seiner Ansicht nach die sogenannte „E-Musik“ nur noch als einen ununterscheidbaren Brei bekannter Themen und Motive rezipiere. Also realisierte er seine Vorstellung in diesem Werk. Wer genau hinhört, erkennt Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“, Johann Strauss´ „Radetzkymarsch“, dann kurz das sehnende Liebesmotiv aus Wagners „Tristan und Isolde“. Daneben verarbeitet Zimmermann Motive aus den Werken aller komponierenden Mitglieder der Berliner „Akademie der Künste“, für die er diese Komposition erarbeitete. Die Themen sind jedoch in einer solchen Art collagiert und verfremdet, dass nur Kenner sie auf Anhieb erkennen. Auch die anderen Motive bekannter Komponisten wie Schubert oder Beethoven hat Zimmermann derart kunstvoll in seine Collagen eingebaut, dass sie mitunter nur schwer zu erkennen sind. Des Öfteren eröffnet eine Instrumentengruppe ein bekanntes Motiv in herkömmlicher Weise, bis dann andere Instrumente diese Eröffnung harmonisch, melodisch und dynamisch überlagern, ja geradezu vernichten. Zimmermann wollte damit auf drastische Weise andeuten, dass letztlich die musikästhetischen Erwartungen des breiten Publikums der Tod fortschrittlicher Musik sind. Den Schluss dieser grotesken Musik, in der neben den „Brandenburgischen Konzerten“ sogar noch der Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ ertönt, bildet eine wagnerianische Apotheose, die das Walküren-Motiv in einen hämmernden, geradezu apokalyptisch wirkenden Rhythmus verwandelt und schließlich den gesamten Raum in ein akustisches Walküren-Inferno verwandelt, ganz im Sinne Wagners – möchte man sagen.
Die Komposition, die als siebenteilige Ballettfolge mit phantasmagorischen Titeln daherkommt, wird von einem Sprecher im besten Dada-Stil kommentiert und moderiert. Dazu kommt Matthias Znidarec im Frack auf einem roten Bobby-Car auf die Bühne gerollt und serviert dem Publikum surreale Texte und akrobatische Späße, lenkt den Dirigenten von seiner Arbeit ab und verjagt ihn sogar von seinem Podest, um mit ausgebreiteten Armen zum Publikum zu sprechen – sei es über Fußball, die AfD oder gar die intellektuelle Bedeutung von Jogginghosen. Zimmermann hatte bei dieser Rolle vorgegeben, die von vornherein auf konsistente Sinnhaftigkeit verzichtenden Texte bei jeder Aufführung zu aktualisieren – was Matthias Znidarec mit beißendem Humor tat und damit den musikalischen Witz mit sprachlichem abrundete.
Nachdem sich das Publikum in der Pause von diesem Feuerwerk musikalischen wie sprachlichen Witzes erholt hatte, ging es scheinbar ernsthaft weiter. Ein kleineres Kammerorchester nahm Platz und intonierte Mozarts „Ein musikalischer Spaß“. In diesem Werk nahm Mozart seine zweit- und drittklassigen Musikerkollegen aufs Korn, sowohl die Komponisten als auch die Ausführenden. Die Motive und ihre musikalische Anordnung sind von erbärmlicher Einfallslosigkeit, das Menuett glänzt durch rhythmische Schlichtheit, das Andante ist von süßlicher Sentimentalität, und im letzten Satz versucht sich der Komponist sogar stümperhaft an einem Fugato. Doch damit nicht genug: die ausführenden Musiker spielen das Stück ohne jegliches Gefühl für dynamische Abstufungen. Das abschließende Forte nach einem lyrischen Melodiebogen kommt wie ein Schlag daher, und der Dialog zwischen den Instrumentengruppen lässt jegliche Feinabstimmung vermissen. Der Clou des ersten Satzes ist der mehrfache Einsatz des Horns, wobei der Hornist jede Mal die Tonhöhe verliert und einen viertel Ton tiefer liegt. Später verschluckt er gar ein oder zwei Töne. Die Kontrabässe hauen ihre „Contras“ wie Schwerthiebe in die Streicherpassagen, und die ersten Violine verhaspeln sich einmal total, so dass das Spiel kurz zum Erliegen kommt, wobei sich alle vorwurfsvoll nach der schuldigen Spielerin umschauen. Der Höhepunkt ist jedoch die Kadenz des 1. Geigers im letzten Satz. Schon in den vorherigen Sätzen intoniert Wilken Rank seine Solo-Einlagen mit viel Körpereinsatz und Seelenschmalz, doch bei seiner Kadenz läuft er geradezu zu Höchstform auf und legt sein ganzes Herz in seine Improvisationen. Dabei verliert er völlig das Zeitgefühl, so dass sich die Bratschisten schon beim Dirigenten beschweren und dieser sich neben das Dirigentenpult setzt und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Als Wilken Rank schließlich mit einer unendlich lyrischen Wendung zum Tutti zurückfindet, endet das Stück schließlich mit drei fürchterlich dissonanten Schlussakkorden, da das Tempo die Musiker offensichtlich überfordert.
Die Musiker konnten bei diesem Stück alle Register ihres Könnens ziehen und taten das mit offensichtlich höchstem Genuss. Dabei ist es für einen Spitzenmusiker viel schwerer, richtig schlecht als gut zu spielen. Erstens geht es ihm – im wahrsten Sinne – gegen den Strich, und zweitens muss er erst das Gefühl für schlechtes Spiel entwickeln. Doch alle Beteiligten füllten die Rolle eines drittklassigen Provinzorchesters mit viel Gespür für den besten Effekt und mit viel Witz aus, so dass die Lacher aus dem Publikum nicht ausblieben. Und bei dem anschließenden begeisterten Beifall ging dann auch der 1. Geiger Wilken Rank strahlend an die Rampe und warf Küsschen ins Publikum.
Danach mussten sich alle erst einmal wieder sammeln – Musiker wie Publikum, denn mit Haydns Sinfonie Nr. 94, der mit dem „Paukenschlag“, ging es doch wieder ein wenig ernsthafter zu als bei Mozarts Dorfmusikanten. Doch stand dieses Werk nicht von ungefähr auf dem Programm, denn auch hier spielt der Humor eine wichtige Rolle. Haydn hatte sich schon länger darüber geärgert, dass die Zuhörer in den langsamen, lyrischen Sätzen gerne einschliefen, und so weckte er sie buchstäblich mit einem Schlag auf. Nach einem moderaten ersten Satz beginnt das Andante des zweiten mit einer einfachen Melodie in den Streichern. Der zweite Durchgang dieser Melodie versinkt fast im Pianissimo und endet – in einem gewaltigen Schlag des gesamten Orchesters, der auch den tiefsten Schläfer aufwecken dürfte. Aus Gründen der Nachhaltigkeit wiederholt Haydn diese Schlagtechnik im weiteren Verlauf des Satzes in verschiedenen Varianten, jedoch unverkennbar. Simon Gaudenz spielte diese Wiederholungen bewusst aus und schlug damit einen Bogen zurück zu Mozarts Stück. Zwar spielten sich hier die musikalischen Vorgänge auf einem wesentlich höheren kompositorischen und interpretatorischen Niveau ab, aber gewisse Ähnlichkeiten waren unüberhörbar, denn auch Haydn arbeitete zumindest in diesem Satz mit drastischen Mitteln. Doch die Betonung durch diese ganz konkrete Aufführung war wohl dem Thema „Humor in der Musik“ und besonders dem unmittelbaren Vorgänger geschuldet. So kam auch dieses Werk noch einmal mit einem Augenzwinkern daher, und die frische Interpretation der letzten beiden Sätzen, nun ohne speziellen Witz, rundete den Eindruck dieses außerordentlich kurzweiligen Konzertes nicht nur ab, sondern führte auch zurück auf eine wenn nicht sachlich-ernsthafte so doch musikalisch seriöse Ebene. Es wäre doch – bei allem berechtigten Witz – zu schade gewesen, wenn Mozarts Musik-Groteske der letzte Eindruck geblieben wäre.
Frank Raudszus
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