Die portugiesische „Companhia Nacional de Bailado“ gastiert in Darmstadt mit einer getanzten Version von Christoph Willibald Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“
Um es gleich vorweg zu sagen: das Beste an dieser Produktion des portugiesischen „Nationalballetts“ waren die Kostüme. Ihre Farben und Vielfältigkeit verliehen der Choreographie einen besonderen optischen Reiz. Die anderen Seiten einer tänzerischen Konzeption ließen jedoch Einiges zu wünschen übrig.
Wenn eine Compagnie eine bekannte Oper als Tanztheater auf die Bühne bringt, spielt die Musik eine zentrale Rolle. Dabei ist eine Neufassung der Musik instrumenteller oder interpretatorischer Art nicht unbedingt notwendig. Man kann auch auf die ursprüngliche Musik zurückgreifen und um diese Opernversion eine spannende Choreographie erstellen. Die Qualität der Musik ist dabei jedoch eine zentrale Forderung. Bei „Orfeo e Eurídice“ ist dies leider nicht der Fall. Gleich zu Beginn dröhnen blecherne, wenig differenzierte Klänge in deutlich überhöhter Lautstärke von der Konserve über die Bühne in den Zuschauerraum. Und dieser erste Eindruck ändert sich während der einstündigen Aufführung kaum einen Moment. Ob lyrische oder expressive Passagen: alles wird in der gleichen unpassenden Lautstärke abgespielt. Darüber hinaus quält die indiskutable technische Qualität der Konserve die Ohren der Zuhörer und mit Sicherheit auch der Tänzer. Feine Klangfarben sucht man vergebens, alle unterschiedlichen Frequenzen werden zu einem kaum differenzierten Brei zusammengerührt. Doch damit sind die musikalischen Probleme noch nicht erschöpft. Auch die Interpretation durch das hinter dieser Konserve stehende Orchester lässt stark zu wünschen übrig, wobei man nicht genau weiß, inwieweit dies durch die schlechte Technik verursacht ist. Die einzelnen „Nummern“ werden durchweg in einer höchst ähnlichen Intonation gespielt, die Metrik erinnert bisweilen an Zirkusmusik, und den Gesangseinlagen fehlt in den lyrischen Passagen jegliche Einfühlung. Pausen, die hohe Kunst des Theaters, gibt es auch nicht, sondern die einzelnen Musik- und damit auch Tanznummern folgen – wie bei einem Potpourri – nahtlos aufeinander. Diese Promenadenmusik eines Provinz-Kurorts lässt jegliche Feinfühligkeit und Differenzierung vermissen, und so kommt verständlicherweise keine musikalische Spannung auf.
Der Tanz lebt – wenn er sich denn auf eine Musik abstützt – von der Intensität und Spannung der Musik. Sind diese beiden EIgenschaften vorhanden, übertragen sie sich auf die Tänzer und motivieren diese zu einer Körpersprache, die die Spannung aufnimmt und weiter trägt. Fehlen der Musik Inspiration und Intensität, kann auch der Tanz auf der Bühne sich nicht zu Höchstform aufschwingen. Diesen Eindruck gewinnt man auch von Olga Roriz´ Choreographie, die nur selten in Höhen oberhalb des Bühnenbodens abhebt. Dabei hat sich Olga Roriz durchaus einige gute Ideen einfallen lassen. So setzt sie das über dreißig Tänzer und Tänzerinnen zählende Ensemble geschickt ein, und die großen Massenszenen sind noch das Beste an dieser Choreographie, denn da schlägt die laute und undifferenzierte Musik nicht so entscheidend zu Buche. Hervorzuheben sind dabei vor allem die Schlussszene, in der die Mänaden Orpheus zerreißen, teilweise auch die Szene, wenn Orpheus Eurydike in der Unterwelt sucht. Olga Roriz lässt in dieser Szene das gesamte Ensemble zu einem fiktiven Leichenhaufen zusammensinken, in dem Orpheus (Miguel Ramalho) umherirrt, einzelne Körper hochhebt und sie wieder sinken lässt, bis er die tote Eurydike (Henriett Ventura) findet. Nur wird diese im Grunde anrührende Szene nicht nur durch die schlechte Musik beschädigt, sie entwickelt auch bei einer überdurchschnittlichen Länge keine neuen choreographischen Ideen. Über die gesamte Dauer des mehrstrophigen Klageliedes wiederholt Miguel Ramalho die gleichen Bewegungsmuster. Hier hätte man durch langsam sich steigernde Variationen durchaus hohe Intensität erzielen können.
Am meisten leiden unter der Musik jedoch die Soloszenen. So ist auch der Rückweg aus dem Hades, bei dem Orpheus sich nicht zu Eurydike umdrehen darf, choreographisch gut gelöst, doch die geradezu brutal unsensible Konservenmusik lässt diese Tanzszene nicht zum „Schweben“ kommen sondern hält sie in zäher Schwerkraft am Boden, obwohl sich die beiden Solodarsteller alle Mühe geben und dabei technisch durchaus überzeugen. Hier hätte die richtige Intonation der Musik Wunder wirken können.
Am Ende gab es freundlichen Beifall, die Enttäuschung des Publikums war jedoch geradezu physisch zu spüren. Das konnte man auch den Gesprächsfetzen beim Verlassen des Theaters entnehmen.
Frank Raudszus
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