Das Variété „Da Capo“ präsentiert in Darmstadt das diesjährige Programm „WOW“.
„WOW“ bedeutet in der neudeutschen Jugendsprache soviel wie „toll“ oder „unglaublich“. Angesichts der akrobatischen leistungen, die an diesem Abend zu bestaunen waren,. ist dieser Titel durchaus angemessen. Doch James Jungeli hat sich nicht auf eine Revue höchst anspruchsvoller Akrobatik- Vorführungen zufrieden gegeben. Offensichtlich verlangt das Publikum eher nach witziger Unterhaltung, denn dieser Aspekt tritt in diesem Jahr stärker in den Vordergrund. Damit es die Clowns und Spaßmacher aber nicht zu toll treiben, hat er ihnen eine strenge Gouvernante zur Seite – oder besser gesagt: über sie – gestellt. Über dem Eingang zur Manege hängt ein übergroßer Frauenkopf an der Wand, weiß geschminkt, mit einer strengen langen Nase und einem kritisch zusammengezogenen roten Kussmund. Dieses Gesicht wird durch eine anspruchsvolle Mechanik animiert, so dass die Dame die Augen einzeln rollen und schweifen lassen kann – was sie auch tut -, den Mund nach oben, unten oder in die Breite ziehen kann, und sogar die kleinen Muskeln um die Augen bewegen sich, wenn die Dame genervt mit den Augen rollt. Dazu kommen strenge Kommentare zu den Bonmots und Witzen in der Manege, die sich durchaus auf unterschiedlichem Niveau bewegen. Überhaupt arbeitet James Jungeli in diesem Programm mit viel Selbstironie, und die Gouvernante an der Wand ist dabei nur ein Posten. Wenn die Witze schlüpfrig werden, verzieht sich ihr Gesicht zu altjüngferlicher Strenge, was jedoch die Künstler auf der Bühne nicht weiter zu stören scheint…
Der Akrobat auf den Stühlen, der auf einem säulenartigen Stapel einfacher Stühle dicht unter der Zeltkuppel unter anderem einen Handstand vorführt, findet dabei ihre gnädige Zustimmung, während das Publikum den Atem anhält und dann erleichtert Beifall klatscht. Dagegen bietet der Bauchredner, der auch als Conferencier durch das Programm führt, der Gouvernante genügend Angriffsfläche. Denn die bösen, schlüpfrigen und politisch inkorrekten Sprüche kommen alle von seinem Hund, den er liebevoll auf dem Arm trägt. Da wettert das freche Tier heftig gegen Offenbach und seine (anwesenden) Bürger, benennt das „Weiße Haus“ in „Onkel Toms Hütte“ um oder bezeichnet die Roma als „Rotationseuropäer“. Ausreichend Gründe für das Publikum zu lachen und für die Gouvernante noch strenger zu blicken.
Dagegen hat sie gegen die Lasershow mit den leuchtenden Männern, die direkt aus „Star Wars“ entsprungen zu sein scheinen, nichts einzuwenden, sondern erstarrt in Faszination, ähnlich wie die Zuschauer, die hier lernen, was man mit moderner Lasertechnik alles machen kann. Ein wahres Feuerwerk an Lichtideen. Da muss dann der amerikanische Clown das Publikum erst einmal aus den galaktischen Welten zurück in die Slapstick-Realität beamen, was er souverän mit einem zu einem bloßen Fahrradlenker reduzierten virtuellen Motorrad tut. Mit allen möglichen Geräuschen eines motorisierten Zweirads düst er über die Bühne und durch das Publikum und lässt dabei seine Sottisen vom Stapel. Auch einen Gast holt er sich auf den Beifahrersitz und veranstaltet mit ihm allerhand Späßchen. Die brasilianischen Turner setzen immer wieder zu spektakulären Übungen an, unterlaufen diese aber jedes Mal durch Slapstick-Einlagen. Man sieht dass, sie turnerisch etwas „drauf haben“, aber der Unterhaltungswert und die überraschende Pointe ist ihnen wichtiger als der atemberaubende doppelte Salto. Für den Witz ihrer turnerischen Übungen ernten sie viel Beifall. Den artistischen Höhepunkt der ersten Hälfte serviert dann eine schlanke junge Frau, die an einer anatomisch geformten Stange akrobatische Kunststücke vorführt, die man – aus eigener Körpererfahrung! – schlicht für unmöglich hält und die in einer Ganzkörper-Waage gipfelt, bei der sie sich nur noch mit dem Mund buchstäblich festbeißt.
Nach der Pause durchlaufen fast die selben Künstler noch einmal das Programm, dieses Mal jedoch mit anderen, noch gewagteren Vorführungen. Der Conferencier führt nun eine Transvestitin vor, die dem Publikum und ausgewählten Einzelgästen die schamlose Wahrheit über Mann und Frau und das enthüllt, was sie zusammenhält oder auseinander treibt. Dazu singt die „Transen-Puppe“ das berühmte Lied „Tunten aus Amsterdam“. Versteht sich, dass die Gouvernante an der Wand hier wieder ein recht indigniertes Gesicht aufsetzt. Die Lasershow überbietet ihren ersten Auftritt mit technisch anspruchsvollen Laserspielereien zu rockiger Musik noch einmal um Einiges, und auch der US-Clown belustigt wieder das Publikum, nun als Tischtennisspieler, der sich in pantomimischen Gesten und losen Sprüchen ergeht und seinen Gegenüber aus dem Publikum – der seine Sache übrigens recht gut machte! – ein wenig vorführt. Humor ist, wenn man trotzdem lacht!
Als neuer Posten tritt dagegen der Jongleur auf, der zuerst mit illuminierten Keulen – drei, vier, fünf…. – herumwirbelt und dann Hüte wirft. die im weiten Bumerang-Bogen immer wieder zu ihm zurückkehren. Man denkt immer, der Hut lande im Publikum, doch jedes Mal kehrt er reuig zu seinem „Herrchen“ zurück. Dabei wandert dieser durchs Publikum, als sei das Ganze nur ein kleiner Spaß. Hier stimmt die Abstimmung bis ins Detail. Nur bei den keulen machte ihm ein Gast einen Strich durch die Rechnung, als er eine gefallene Keule zurückwarf. Shit happens! Doch ein breites Lächeln, und alles war vergessen. Den zweiten Höhepunkt bot dann wieder die Stangenartistin aus der ersten Hälfte, die dieses Mal im fleischfarbenen Ganzkörperanzug wie nackt (!) in einer Glaskugel hoch über der Manege turnte und schließlich die beiden Hälften der sich öffnenden Kugel nur noch durch Hände und Füße – fast frei schwebend – zusammenhielt.
Die Schwerpunktverschiebung auf Unterhaltung und Witz hat durchaus seine Vorteile, vor allem für ein Publikum, das sich eher unterhalten als seltene Kunststücke bestaunen will. Die medien bieten heute jedem zu jeder Zeit Akrobatik vom Feinsten, und so liegt es nahe, dass die Zuschauer eher den unterhaltenden Aspekt und den Humor bevorzugen. James Jungeli kommt diesem Trend bewusst entgegen, allerdings will auch der humoristische Aspekt eines Variété-Programms gekonnt sein. Auf diesem Gebiet bestehen sicher noch Verbesserungsmöglichkeiten, denn einige Gags wiesen im Laufe des Abends doch Längen und Wiederholungen auf.
Frank Raudszus
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